Nach der Anwerbung per Telegram meldete sich der 2015 verstorbene Joseph Scipilliti, um Erbwillige um Scans ihrer Ausweise zu bitten.
Joseph Scipilliti als Helfer in der Not? Manche Storys muss man nicht suchen, sie kommen von ganz alleine zu einem. So schrieb mich kürzlich bei Telegram jemand mit der Vorwahl +229 aus Benin in Westafrika an. Es ging vornehmlich darum, ich solle bei der Erbschaft von 80.000 Euro behilflich sein.
Für das Profilbild benutzte man die Aufnahme einer etwa 60-jährigen Frau. Die Bilder-Suchmaschine Tineye, die das Web nach Fotos durchforsten kann, wurde zumindest nicht fündig. Zweifellos soll das Profilbild auf die Gesprächspartner vertrauenserweckend wirken.
Joseph Scipilliti hilft dabei, 80.000 Euro zu verschenken?
Die Dame aus Benin, die sicher keine ist, kann abgesehen von ein paar Fehlern, komischerweise fließend Deutsch. Obwohl sie von einer Madame Katharina schreibt, wählte sie für Telegram selbst den Namen Marie Katharina. Sie kam sehr schnell zur Sache. Sie schrieb:
Hallo, es ist die Axa Bank.
Wir haben eine große Summe von Madame KATHARINA erhalten, die im Krankenhaus liegt und sich in einem kritischen Zustand befindet und eine Spende machen möchte. Madame KATHARINA bittet darum, schnell einen Erben zu finden und bittet um Diskretion, da es sich um eine große Geldsumme handelt, die er niemandem geben möchte. Er besitzt alle rechtlichen Dokumente und sucht eine Vertrauensperson, die ihm sein Eigentum anvertraut, seinen letzten Wunsch durch die Schaffung humanitärer Werke erfüllt oder ganz einfach, damit diese Summe nicht von den Behörden eingezogen wird. Dabei handelt es sich um einen Betrag von 80.000 €, den Sie ohne Erstattung erhalten. Bitte geben Sie uns eine zuverlässige Antwort, damit wir Ihnen sagen können, was zu tun ist.
Nach meiner kritischen Reaktion (siehe unten) versuchte sie zu beschwichtigen. Ihr würden angeblich „alle rechtlichen Dokumente der Summe“ vorliegen, schrieb sie mir. Auch bot man mir an, mit der Dame, die das viele Geld loswerden will, selbst zu chatten. Ihr würde es nicht darum gehen, dass ich etwas bezahlen soll und es stecke bei ihrer Anfrage nichts Arglistiges dahinter.
Dann legte sie den Köder aus: „Lass mir deine WhatsApp, um mit dem Anwalt der Dame zu chatten.“
Kein Gespräch mit der sterbenskranken Rentnerin
Doch statt Madame Katharina, die ursprünglich von ihrem Krankenbett aus chatten sollte, meldete sich per WhatsApp jemand, der versuchte, sich als ihr Anwalt vorzustellen. Die Kontaktperson schrieb, er sei Joseph Scipilliti. Er sei der Anwalt der Frau, die eine Spende machen möchte. Als Beweis der eigenen Identität fügte er ungefragt ein Foto und den Scan eines Dokuments einer Rechtsanwaltskammer hinzu. Dumm nur, dass seine Handynummer eine deutsche Vorwahl besitzt, obwohl er als Aufenthaltsort Frankreich angegeben hat.
Dann begann eine regelrechte Fragestunde. Ich wurde gefragt, welchen Beruf ich ausübe und ob ich Kinder habe. Man benötige die „Informationen, um herauszufinden, wer Sie sind“, schrieb mir der Mann. Er wolle sicherstellen, dass das Geld in guten Händen bleibt. Deswegen erkundigte er sich auch, was ich mit dem Guthaben nach dem Erhalt anstellen möchte. Ich antwortete ausweichend. Das würde ich jetzt noch nicht wissen, sondern mir erst Gedanken machen, sobald das Geld da sei.
Bereits verwester Jurist verlangt nach einem Scan meines Ausweises
Dann wurde es endlich wirklich interessant. Es folgte die Frage nach meiner Bankverbindung und die Aufforderung, ich solle ihm eine Kopie meines Personalausweises zuschicken, damit er diesen in die Akten einfügen könne. Auf Nachfrage nach seiner Identität schickte er mir erneut den Scan des französischen Justizministeriums zu. Dann folgte ein privates Foto, was offenbar in einem Restaurant aufgenommen wurde. Auf den Hinweis, dass sein Dokument aus dem Jahr 1991 stammt, antwortete er mir, die „Berufskarte“ habe er am Anfang seiner Karriere ausstellen lassen.
Warum funktioniert die Masche überhaupt?
Die Täter müssen wirklich denken, dass ihre Opfer blind, dumm oder einfach nur gierig sind. Schon die erste Suchanfrage ergab, dass sich Joseph Scipilliti selbst erschossen hat. Zuvor stürmte er in die Anwaltskammer in Melun (außerhalb von Paris) und schoss drei Mal auf dessen Vorsitzenden. Die „Bluttat“ fand sogar ihren Weg in die deutschsprachige Boulevardpresse, die BILD-Zeitung berichtete im Oktober 2015 darüber.
Die übermittelten Fotos sind überall im Web präsent. Das betrifft sogar die Identitätskarte von Scipilliti. Wie also kann jemand, der seit sechs Jahren tot ist, munter fröhlich mit mir chatten, fragte ich ihn. Der Kriminelle antwortete: „Wenn ich gestorben wäre, könnte ich dir nicht schreiben“. Die Logik klingt erdrückend schlüssig, wenn man nur frech genug lügt. Doch die Geschichte mit der angeblichen Erbschaft und dem Anwalt, der unbedingt die Ausweis-Scans haben will, ist und bleibt nichts als reine Fantasie. Und wohl auch ein Mittel zum Zweck, um an meinen Personalausweis zu gelangen.
Cyberkriminelle haben ständig Bedarf an echten Dokumenten
Wie wir schon im Zusammenhang mit Catfishing bei Lovoo berichtet haben, nutzen die meisten Cyberkriminellen die Dokumente für die Eröffnung von Bankkonten unter dem Namen des Opfers. Da die illegalen Girokonten nicht sonderlich lange halten, benötigen die Täter ständig Nachschub und somit neue Ausweispapiere, die sie bei den Banken einreichen können. Natürlich könnte man die Scans auch bei Untergrund-Foren oder Online-Shops zum Verkauf anbieten. Doch das ist nicht sonderlich lukrativ.
Vorsicht bei Lockangeboten! Niemand sucht einen Erben!
Verbraucherschutzorganisationen warnen seit Jahren eindringlich, dass man bei Lockangeboten stets extrem skeptisch sein soll. Vielfach muss man vor dem Antritt des angeblich großen Erbes einige anfallende Kosten begleichen, um das Verfahren abzuschließen, das es nie gab. Nach der Überweisung verabschieden sich die Täter dann auf nimmer wiedersehen. Warum? Ganz einfach, sie haben ihr Ziel erreicht. Ob die Kontaktversuche per Fax, als Spam-Mails oder via Telegram durchgeführt werden, ändert nichts an der Masche. Die Kriminellen hoffen in vielen Fällen zurecht, dass bei ihrem Gegenüber das Hirn aussetzt, sobald sie glauben, bald reich zu werden.
Bitte das Gehirn eingeschaltet lassen!
Natürlich gibt es keine Madame KATHARINA, die im Krankenhaus liegt und mit der man chatten darf, obwohl man das schon tut. Und auch Rechtsanwalt Joseph Scipilliti wird wohl kaum aus dem Grab steigen, um im Auftrag seiner Mandanten nach Erbwilligen zu suchen. Eine einzige Suchanfrage im Web hätte gereicht, um beim Angeschriebenen erhebliche Zweifel zu schüren. Doch das machen wohl die wenigsten Menschen, ansonsten hätte man sich längst eine andere Masche ausgedacht. Irgendwann, wenn nur genug von dem Betrugsversuch gehört haben, werden die Täter andere Namen benutzen und dann die dafür notwendigen Papiere entweder aus dem Netz kopieren oder mittels Photoshop verfremden.
Frechheit siegt
Dem Täter kann man zumindest nicht vorwerfen, dass er auf den Kopf gefallen ist. Meine Bitte, doch einmal nach seinem eigenen Namen im Internet zu suchen, konterte er mit den Worten:
Frau, ich habe genug zu tun. Ich bin nicht hier, um die Dummheit zu rechtfertigen, die im Internet über mich erzählt wird.
Tarnkappe.info