Vorgestern veröffentlichte Arte die Dokumentation "Das dunkle Imperium von Pawel Durow". Wir haben uns den Film genauer angesehen.
Die neue Doku von Arte klingt leider so sehr nach Boulevard-Journalismus, so reißerisch man sie auch aufgebaut hat. Das größte Problem, auf das die Macher von „Das dunkle Imperium von Pawel Durow“ gestoßen sind, betrifft auch die Behörden in aller Welt: die mangelnde Kooperation des Firmengründers. Durow ließ sich weder zu einem Videointerview herab, noch gab es Antworten auf die von ihnen gestellten Fragen. In der Folge mussten die Redakteure ihren Mut zur Lücke unter Beweis stellen. Man konnte sich vielfach nur auf das berufen oder zeigen, was der Firmengründer schon Jahre zuvor an Fotos und Informationen freigegeben hatte.
Doch bekanntlich ist Durow sehr gut darin, sich selbst in Szene zu setzen. Der CEO ist als Vorkämpfer für Meinungsfreiheit und Samen-Spender von rund 100 Kindern in aller Welt bekannt. Bei Instagram tritt er als muskelbepackter Sportler auf, der in Eiswasser badet und seinen Kopf gerne mit dunklen Kapuzen verhüllt, um auch noch mysteriös zu wirken.
Pawel Durow: Vom Gymnasiasten zum Firmengründer
Wahrscheinlich mangels genügend Informationen klammerte die Dokumentation Pawels Kindheit in Turin aus. Die Erzählungen beginnen mit Videos der Gebrüder Durow auf einem Gymnasium in Sankt Petersburg. Vor ihm absolvierte sein älterer Bruder an der gleichen Schule das Abitur und war Jahre später auch an der Entwicklung von Telegram und VKontakte beteiligt. VK sieht noch so aus wie Facebook früher und wird in Russland bis heute von Millionen Menschen intensiv genutzt.
Russlands Regierung zwang die Brüder zum Verkauf von Vkontakte
Nur fünf Jahre nach der Gründung des sozialen Netzwerks VK eskalierten die Auseinandersetzungen mit den russischen Geheimdiensten. Man bedenke auch: In Sankt Petersburg gelang es nicht nur Durow, eine steile Karriere zu machen. Auch Wladimir Putin stieg dort zwischenzeitlich zu einem bekannten Politiker auf. Putin arbeitete sich vom Verwaltungsbeamten zur rechten Hand des Bürgermeisters hoch und wurde 1992 erster stellvertretender Bürgermeister. Nachdem Anatoly Sobtschak abgewählt wurde, verließ Putin die Stadt, das traf Jahre später auch auf Durow zu.
2014 verkaufte der Mitgründer auf Druck der russischen Regierung seine VK-Geschäftsanteile und verließ wenige Monate später sein einst eigenes Unternehmen komplett. Danach war Durow zwar ein häufiger Gast seines Mutterlandes, aber kein Einwohner mehr. Er bemühte sich erfolgreich um eine mehrfache Staatsangehörigkeit.
Warum Telegram so wenig moderiert
Interessant und schlüssig klingt die Erklärung, warum Telegram so wenig gegen organisierte Kriminalität unternimmt. Durow hatte sich stets mit der Tatsache gebrüstet, sein Team arbeite ähnlich effektiv wie eine Spezialeinheit. Trotz mehr als einer Milliarde Nutzer beschäftigen sich weltweit nur wenig mehr als 30 Menschen mit dem Betrieb von Telegram.
Das angemietete Büro des angeblichen Hauptsitzes ist verwaist. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leben und arbeiten daheim, verteilt auf der ganzen Welt. Eine Razzia im Büro von Kuwait wäre sinnlos, außerdem unterhält der CEO enge Verbindungen zur Staatsführung des Landes.
Doch das ist noch nicht alles. Denn wer kaum etwas zensiert, spart beim Betrieb viel Geld. Nach Angaben von Meta sollen rund 15.000 Content Reviewer für Facebook und Instagram tätig sein, um gemeldete Inhalte zu sichten und diese bei Bedarf zu löschen. Zuckerberg hat diese Tätigkeit fast ausschließlich an Fremdfirmen übergeben. Zwar entwickelt Telegram auch seine Erkennungssysteme für kritische Begriffe ständig weiter und spricht automatische Sperren aus, was auch schon in unserer öffentlichen Telegram-Gruppe passiert ist. Doch gibt es bei Telegram kein Heer an Stundenlöhnern, die nichts anderes tun, als sich den ganzen Tag lang fragliche Inhalte anzuschauen.
Die Grenzen automatischer Zensur mittels Algorithmen & der KI
Das Problem bei den Algorithmen und der Künstlichen Intelligenz ist, dass sie beispielsweise nur schwerlich Ironie oder Sarkasmus erkennen können. Folglich ist unklar: Was hat der Autor ernst gemeint, was nicht? Verpackt jemand seine ungewollte Mitteilung besser oder benutzt bisher nicht gesperrte Begrifflichkeiten, schlägt die KI auch nicht an. Ein Katz-und-Maus-Spiel, was man mit den wenigen Angestellten freilich nicht gewinnen kann.
Doch Hand aufs Herz: darum ging es Durow auch nie! Nicht nur, dass er sich in der Öffentlichkeit stets für Deregulierung und mehr Freiheit ausspricht, vor allen Dingen konnte er mit dieser Strategie bis zu seiner Verhaftung im September letzten Jahres schlichtweg sehr viel Geld sparen. Er hat auf die Moderation seines Messengers inklusive eigenem sozialen Netzwerk schlichtweg mehr oder weniger ganz verzichtet.
Warum ließ die deutsche Justiz Telegram so lange gewähren?
Unklar bleibt, warum sich die deutsche Justiz das Gezerre so lange gefallen ließ. Den Löwenanteil der Lösch- und Auskunftsanfragen hat Durows Team über Jahre hinweg ignoriert. Und das auch bei schwerwiegenden Delikten. Kein Wunder, wenn sich Cyberkriminelle und Querdenker Telegram als Zufluchtsort ausgesucht haben. Sie mussten lange Zeit nicht befürchten, enttarnt oder gelöscht zu werden. Urheberrechtsverletzungen? Für Telegram waren auch die lange Zeit beinahe irrelevant.

Die Betreibergesellschaft wurde bis letzten Herbst nur aktiv beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Doch Verbreiter von Fake-News, Rechtsradikale und Kriminelle gibt es in wirklich jedem sozialen Netzwerk, sie nutzen zudem alle Messenger der Welt. Allerdings sind deren Betreiber bereit, Geld in die Hand zu nehmen, um eingehende Meldungen und behördliche Anfragen zu bearbeiten, statt als Ausrede ständig von Meinungsfreiheit zu sprechen. An dem Punkt trennt sich die Spreu vom Weizen.
US-Gericht stampfte einzige Einnahmequelle von Telegram ein
Ursache der mangelnden Moderation war natürlich auch, dass der Firmengründer lange Zeit nicht so recht wusste, von was er die laufenden Kosten seines Online-Projekts tragen soll. Der Verkaufserlös von VK wäre irgendwann ausgegeben gewesen. Auch sein Versuch Unternehmensanteile in Form seines eigenes Kryptonetzwerkes zu veräußern, scheiterte. Die US-Börsenaufsichtsbehörde SEC fühlte sich bei seinem geplanten Wertpapierverkauf (ICO) doch sehr an einen Aktienhandel erinnert, das sie beim Krypto-Netzwerk TON nicht hätten kontrollieren können. Ein US-Gericht hat das Vorhaben dann schlichtweg per Urteil verboten. Durow schäumte regelrecht, doch das nützte ihm nichts.
Das dunkle Imperium von Pawel Durow – unser Fazit
Wirklich viel Neues wird man hier nicht erfahren, wenn man sich im Vorhinein schon ausführlich über Telegram informiert hat. Doch wenn man den anhaltend reißerischen Tonfall ganz gut ertragen kann, wird man in fast 90 Minuten recht gut unterhalten.
Neu war für mich persönlich die Wikipedia-Spende in Höhe von einer Million Dollar im Januar 2012 und wie es eigentlich wenige Monate später zum Symbol des Messengers, zum blauen Papierflieger, kam. Noch zu VK-Zeiten warf Durow und ein Kollege als Flieger gefaltete Rubelscheine aus dem Fenster des hoch gelegenen Vkontakte-Büros. Als es bei den Passanten unten auf der Straße wegen den Scheinen im Wert von jeweils etwa 124 Euro zu Ausschreitungen kam, stellte Durow und sein Kollege den Freiflug der Geldscheine wieder ein. Im Gedächtnis ist die Aktion trotzdem geblieben.
Am Ende fordert man von Telegram, man solle doch der Community die Führung über ihr eigenes Netzwerk überlassen. Komisch nur, dass man sich bei Durow zwar ständig an die Firmenchefs amerikanischer Tech-Konzerne erinnert fühlt. Doch die Dokumentation fordert diese nicht dazu auf, ebenfalls die Kontrolle über ihre Unternehmen aufzugeben. Wenn schon, denn schon, oder?
Wer sich „Das dunkle Imperium von Pawel Durow“ anschauen will, kann dies derzeit nur auf der Website von Arte selbst tun. Im Gegensatz zu älteren arte-Dokus hat man diese noch nicht bei YouTube hochgeladen.























