Telegram räumt auf – aber zu welchem Preis? Mit einem Schlag wurden zwei Mega-Schwarzmarkt-Netzwerke im Wert von 35 Mrd. USD gesperrt.
Telegram räumt mit einer Härte auf, die selbst Szenekenner überrascht. Zwei gigantische Schwarzmarkt-Netzwerke, die über 35 Milliarden US-Dollar an kriminellen Umsätzen generierten, sind Geschichte. Der Messenger hat damit die größte digitale Säuberung seiner Geschichte vollzogen. Doch was steckt wirklich hinter der spektakulären Aktion – und warum gerade jetzt?
Telegram räumt auf – oder wird aufgeräumt?
Telegram hat sich in den letzten Jahren zum Marktplatz der Schattenseiten des Internets entwickelt – unmoderiert, verschlüsselt, schwer kontrollierbar. Nun zieht der Dienst plötzlich die Reißleine. Gemäß dem Blockchain-Forschungsunternehmen Elliptic wurden Tausende Gruppen und Kanäle entfernt, darunter zwei chinesisch dominierte Netzwerke, die unter anderem auch in den USA aktiv waren.
Illegale Marktplätze Huione und Xinbi geschlossen – über 35 Milliarden US-Dollar in Stablecoins abgewickelt
Am 13. Mai 2025 wurden zwei der weltweit größten illegalen Online-Marktplätze – Huione Guarantee und Xinbi Guarantee – offline genommen. Gemeinsam ermöglichten sie Transaktionen im Wert von über 35 Milliarden US-Dollar in Stablecoins, darunter Geschäfte mit gestohlenen Daten, Geldwäsche, Menschenhandel und sogar Folterausrüstung. Die Schließung erfolgte durch Telegram auf Grundlage von Ermittlungen der Blockchain-Analysefirma Elliptic.
Von Silk Road zu Telegram: Der Wandel illegaler Marktplätze
Frühere Plattformen wie Silk Road und Alphabay waren über das anonyme Tor-Netzwerk zugänglich. Später verlagerte sich das Geschehen zunehmend auf Telegram, das mit über einer Milliarde Nutzern ein perfektes Umfeld für digitale Kriminalität bot. Eine besondere Rolle spielten dabei sogenannte Garantie-Marktplätze – vor allem chinesischsprachige Plattformen, die auf die Anforderungen professioneller Online-Betrüger zugeschnitten waren.
Daten, Drogen, Deepfakes – und Milliarden: Funktionsweise der Garantie-Marktplätze
Wie Elliptic berichtete, verkauften die Garantie-Marktplätze selbst keine Waren oder Dienstleistungen. Sie stellten eine Infrastruktur bereit, auf der Händler ihre Angebote unter Schutzmechanismen wie Treuhandservices und Sicherheitsgarantien anbieten konnten. Die meisten Zahlungen erfolgten über USDT (Tether). Transaktionen wurden von Bots überwacht, die für eine automatisierte Abwicklung sorgten.
Durch diese Struktur konnten Betrüger Dienstleistungen wie Geldwäsche, den Kauf gestohlener Identitätsdaten oder SIM-Karten und die Entwicklung betrügerischer Webseiten einfach über Drittanbieter einkaufen – ohne eigene Infrastruktur aufbauen zu müssen. Auch physische Gewaltmittel wie Elektroschockfesseln und Schlagstöcke standen zum Verkauf.

Huione Guarantee: Der größte illegale Marktplatz der Geschichte
Huione Guarantee – auch als Haowang Guarantee bekannt – betrieb die kambodschanischen Huione Group. Diese unterhielt Beteiligungen in verschiedensten Branchen, unter anderem im Zahlungsverkehr über Huione Pay. Bis 2024 war Huione Guarantee prominent auf der Website von Huione Pay präsent. Laut Elliptic wickelte der Marktplatz seit 2021 Transaktionen im Gesamtwert von über 27 Milliarden US-Dollar ab.
Telegram versuchte Anfang 2025 bereits, gegen die Plattform vorzugehen, doch Huione konnte seine Kanäle mithilfe von Backups und NFTs für neue Usernamen rasch wiederherstellen. Dennoch schrumpfte die Nutzerzahl eines Hauptkanals von über 800.000 auf rund 250.000.
Am 13. Mai 2025 folgte der entscheidende Schlag: Telegram sperrte sämtliche Kanäle und Benutzernamen von Huione, womit eine Rückkehr massiv erschwert wurde. Huione kündigte zunächst die Einstellung seines Betriebs an und später die vollständige Schließung. Gleichzeitig wurde deutlich, dass ein Übergang zu einem anderen Marktplatz geplant war – Tudou Guarantee, an dem Huione bereits 30 % Anteile hielt. Die Nutzerzahlen von Tudou stiegen daraufhin um knapp 30 %.
Xinbi Guarantee: Der zweitgrößte Player zeigt Widerstand
Auch Xinbi Guarantee, strukturell fast identisch zu Huione, musste seine Aktivitäten einstellen. Der Marktplatz hatte seit 2022 Transaktionen über 8,4 Milliarden US-Dollar verarbeitet. Besonders brisant: Neben klassischem Betrugszubehör wurden auch Einschüchterungsdienste, Begleitservices und sogar Leihmutterschaften angeboten. Nach der Sperrung kündigte Xinbi unter dem Namen „Xinbi 2.0“ einen Neustart an – Insider vermuten jedoch einen geplanten Exit-Scam.
Auswirkungen auf die kriminelle Online-Infrastruktur
Die Abschaltung dieser Plattformen stellt einen massiven Einschnitt in das digitale Betrugs-Ökosystem dar. Beide Marktplätze waren zentrale Knotenpunkte für chinesische Geldwäschenetzwerke und banden zehntausende von Nutzern ein. Mit ihrem Transaktionsvolumen erzielten die beiden Märkte über 35 Milliarden US-Dollar. Damit übertrafen sie im direkten Vergleich gemäß Elliptic:
„Darknet-Märkte wie Silk Road (216 Millionen US-Dollar) und Alphabay (639 Millionen US-Dollar) bei weitem. Der größte bekannte Tor-basierte Marktplatz war der russischsprachige Hydra mit 5,6 Milliarden US-Dollar“.
Fazit: Telegram räumt auf – aber nicht freiwillig
Telegram galt bislang als weitgehend unmoderierte, sichere Umgebung – diese Annahme wurde auch mit der aktuellen Maßnahme weiterhin erschüttert. Allerdings zeigt sich bereits ein Trend zur Dezentralisierung: Manche Garantie-Plattformen entwickelten bereits eigene Apps oder veröffentlichen sogar eigene Klone von Telegram, um künftige Sperren zu umgehen.
Dank der Nachverfolgbarkeit von Krypto-Transaktionen und der Arbeit von Firmen wie Elliptic konnte die Finanzinfrastruktur hinter diesen Marktplätzen offengelegt werden – ein entscheidender Schritt zur Zerschlagung des bisher größten Netzwerks krimineller Marktplätze. Diese Ereignisse verdeutlichen, dass zentralisierte Plattformen langfristig kein sicherer Hafen für Cyberkriminelle sein werden. Gleichzeitig mahnen sie zur Wachsamkeit gegenüber neuen, dezentralen Alternativen, die schwerer zu überwachen und zu kontrollieren sind. Der digitale Untergrund ist damit nicht gestorben – er verlagert sich nur.
Telegram räumt auf, keine Frage. Einige Medien feiern die Aktion als längst überfälligen Schritt gegen Onlinekriminalität. Doch der Zeitpunkt ist auffällig. Regulatorischer Druck aus den USA und Europa nimmt zu, besonders bei Plattformen, die als rechtsfreie Räume gelten. Telegrams „plötzliche“ Kehrtwende wirkt daher nicht wie innere Einsicht – sondern wie externer Zwang.