Amazon setzt auf eine Strategie, die seine Nutzer mithilfe von DRM noch enger an sich binden soll. Das Firmwareupdate 5.6.5 und KFX bringt alles ins Rollen.
Nachdem Amazon im vierten Quartal 2014 mit katastrophalen Verkaufszahlen bei E-Books und seinen Readern aufwartete, versucht der Konzern nun das Ruder herumzureißen. Amazon setzt auf eine Strategie, die bestehende User noch enger an das Produkt bindet. Somit stellt man weite Kreise der Leserschaft seiner E-Books zukünftig vor grundlegende Entscheidungen. Das neue E-Book-Format KFX und das Firmwareupdate 5.6.5 sollen die endgültige Wende bringen.
Amazon wirft Kindle Paperwhite 3 zu Schleuderpreisen auf den Markt
Dabei wird, wie schon der Vorgänger, der neue Reader Paperwhite 3, zu extrem günstigen Konditionen auf den Markt geworfen, vor allem aber soll ein neues Dateiformat für E-Books helfen die Kaufentscheidung der Leser im Sinne von Amazon zu beeinflussen.
Mit Veröffentlichung des neuesten Firmwareupdates 5.6.5 hat Amazon vor wenigen Tagen fast still und heimlich grundlegende technische Änderungen an seinem Distributionskonzept vorgenommen. Die Konsequenzen daraus und deren Tragweite, dürften nur den wenigsten Nutzern bisher bekannt sein, welche das Zwangsupdate auf ihrem Kindle ausgeführt haben. Ein Aufbegehren blieb im Netz bisher zumindest weitgehend aus, wie auch die Details zur neuen Firmware äußerst spärlich gehalten werden. Verwunderlich, wo doch Artikel schon zu kleinsten technischen Neuerungen bei Kindle und Co. sonst wie Pilze aus dem Boden der digitalen Blogs schießen.
Kern des Updates ist KFX, das nunmehr dritte E-Book-Format aus dem Hause Amazon.
Das neu entwickelte Dateiformat für E-Books ist zu keinem bisherigen Format kompatibel, weder zu den direkten Vorgängern noch zu dem beliebten freien Format EPUB. Das Amazon beim Dateiformat für E-Books und dem daran hängenden DRM eigene Wege geht, hat ja nun schon Tradition und vermag erstmal kaum zu erstaunen. Diesmal geht Amazon jedoch deutlich weiter, als es sich bisher ausnahm.
Release Notes verschweigen die wichtigsten Informationen
In den Release Notes zum Update spricht Amazon oberflächlich von kosmetischen Veränderungen und Verbesserungen bei Kommentier- und Suchfunktionen. Die wesentliche Veränderung verbirgt Amazon hinter der banal anmutenden Einführung einer neuen Schrift, sowie einer neuen Wort- und Silbentrennung.
Ein Hinweis auf ein neues Dateiformat fehlt ebenso, wie der Hinweis auf die Änderungen beim Kopierschutz (DRM). Hierzu sei erwähnt, dass die von Amazon benannten Funktionen vor allem zur Kontrolle und Erfassung des Nutzerverhaltens dienen. Nur wegen der Kosmetik bedurfte es hier keines neuen Dateiformats.
Um Missverständnissen vorzubeugen, mit der neuen Firmware kann man nach wie vor auch die alten Formate MOBI und AZW3 lesen, somit per Sideload immer noch eigene E-Books auf den Kindle bringen. Jedoch wird, so ist es angekündigt, die gesamte Amazon-Bibliothek in den nächsten Wochen auf das neue Format umgestellt. Die bisherigen Formate werden dann nur noch für die älteren Reader verfügbar sein, welche das neue Format nicht beherrschen. Bereits im alten Format heruntergeladene Bücher werden ersetzt, nachdem das Zwangsupdate auf dem Reader ankam und das betreffende Buch im neuen Format verfügbar ist. Das alte (frei) konvertierbare Format ist dann nicht mehr verfügbar und der spätere Weg vom Kindle auf ein anderes Gerät somit verbaut. Bücher die schon jetzt im Shop mit dem neuen Format hinterlegt sind, werden mit dem Zusatz „Erweiterte Schriftfunktion: aktiviert“ gekennzeichnet. Eine offene Kennzeichnung in welchem Format die Bücher angeboten werden erfolgt nicht.
DRM-freie Formate schafft man mittelfristig ab
Kovid Goyal vergleicht die erneute Einführung eines neuen Dateiformats durch Amazon mit einem „gekochten Frosch“. Das Wasser wird schrittweise immer heißer. Der Frosch beschwert sich zwar, arrangiert sich notgedrungen aber immer irgendwie mit dem Zustand. Am Ende ist er schließlich tot. Das der Macher des unter E-Book-Freunden sehr beliebten Calibre sich und seine Software dabei nicht vor dem Kochtopf sieht, ist klar. Mit dem neu vorgelegten Dateiformat und dem Vertrieb des Paperwhite 3 zu Dumpingpreisen, unternimmt Amazon einen großen Schritt in Richtung Abschaffung der alten Dateiformate und damit auch im Aussperren von DRM-freien oder befreiten E-Books per Sideload.
Amazon nutzt seine Marktstellung auch gegenüber den Autoren und Verlagen. Man behält sich die Hoheit über das neue Format vor. Es gibt keine offene Dokumentation wie bei vielen anderen Unternehmen üblich, die durch Schnittstellen neue Branchenstandards setzen. Amazon gibt die zu verwendenden Authoring-Tools vor und macht sich damit zum Herren über diesen Produktionsschritt. Klingt banal, ist aber alles andere als das! – Amazon schafft sich die Möglichkeit durch geringfügige und fortgesetzte Änderungen, sowohl Autoren und Verlage, als auch Hersteller von Applikationen wie eben auch Calibre und dessen Plugins auf Kurs zu bringen und dieser Kurs führt weg von Sideloads und freien E-Books.
Gemeinfreie Werke verschwinden
Besonders dreist wird das Vorgehen bei der Konvertierung von freien Klassikern, also Büchern die auf Grund ihres Alters keinem Urheberrecht mehr unterliegen und Allgemeingut sind. Durch das Konvertieren dieser Bücher in der Amazon-Bibliothek, verschwinden diese Klassiker nun hinter einem DRM-Riegel. Goethe als freies Kulturgut auf einem Kindle? – In naher Zukunft, also nur noch für den Preis der individuellen Informationshoheit auf dem eigenen Gerät.
Der Kauf verkommt damit zur dauerhaften Leihe, das Eigentum wird zum begrenzten Nutzungsrecht.
Für den alleinigen Nutzer von Amazon ändert sich vordergründig nichts. Ein späterer Umstieg wird für ihn praktisch ausgeschlossen. Der Leser somit auf ewig gebunden, solange er nicht auf „seine“ Bücher verzichten will.
Amazon: geringer Preis vs. Freiheit der Nutzer
User welche E-Books nicht allein von Amazon beziehen und das ist die große Masse, werden durch das Zwangsupdate zum neuen Format schrittweise entweder diese Freiheit verlieren oder sich abwenden so lange Amazon diesen Kurs steuert. Der Preis für das Abwenden ist klar und von Amazon bewusst so gewählt. Die Leser sollen sich lieber, genau wie der Frosch arrangieren. Sie bekommen es mit etwas Kosmetik und dem vermeintlich billigen neuen Reader versüßt.
Dieser Weg wird nicht über Nacht beschritten. Vielmehr wird mit vielen kleinen Schritten ein langer Leidensdruck geschaffen. So z.B. durch exklusive Neuerscheinungen. Diese bietet man mittelfristig nur noch im neuen Format an. Der Kunde wird so zur alleinigen Nutzung von Amazon und seiner Hardware gedrängt.
DRM als Knebel
Neu ist die Absicht von Amazon nicht. Bereits in der Vergangenheit hat man Schritte in diese Richtung getan. Neu ist auch die Methode nicht und in der Vergangenheit war sie wenig erfolgreich. Dass Amazon dabei DRM als Knebel einsetzt, was eigentlich mal Schutz der Urheber- und Verbraucherrechte sein sollte, erinnert an den Zauberlehrling, der zum Bade rief. Amazon nutzt seine Macht um seine Marktstellung auszubauen. Die vollständige Kontrolle über das Medium hat Amazon aber nicht. Der Weg von Amazon führt damit in die Gegenrichtung zu Verlagen die lieber auf digitale Wasserzeichen statt hartem DRM setzen. Das Kaufverhalten der Konsumenten wird entscheiden. Die Kontrolle liegt schlussendlich doch beim Nutzer.
Der Autor dieses Gastkommentars, Jimmy Draut, ist seit 1999 selbständiger IT-Consultant und auch als E-Entrepeneur und Medienberater tätig.
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