Smartphone Control, Chatkontrolle
Smartphone Control, Chatkontrolle
Bildquelle: stockcake

Chatkontrolle ist laut Meredith Whittaker alter Wein in neuen Schläuchen!

Für Meredith Whittaker, die Präsidentin von Signal, ist die Neuauflage der Chatkontrolle nur ein Marketing-Gag und absolut nicht tragbar.

Laut Meredith Whittaker ist der neue Vorschlag zur Chatkontrolle nichts weiter als ein Marketing-Gag. Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sei das Mittel der Wahl. Nur so könne man die Privatsphäre der eigenen Nutzer in einem „Zeitalter beispielloser staatlicher und unternehmerischer Überwachung“ schützen.

Meredith Whittaker: Die Privatsphäre darf man nicht abschaffen!

Der gefährliche Wunsch, sie zu untergraben, scheint nie zu sterben„, schrieb Whittaker in ihrem Statement. „Seit Jahrzehnten sind sich die Experten einig. Es gibt keine Möglichkeit, die Integrität der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu wahren und gleichzeitig verschlüsselte Inhalte der Überwachung auszusetzen.

Dennoch tauchen immer wieder Vorschläge auf, die genau dies zum Ziel haben – alter Wein in neuen Schläuchen, unterstützt von teuren Beratungsfirmen, die sich mehr um Marketing als um die ernsten Probleme kümmern, um die es hier geht. Diese peinlichen Branding-Übungen können die Fachwelt natürlich nicht überzeugen.“ Die Abstimmung über den neuen Vorschlag soll morgen stattfinden.

Branding-Übungen von Marketing-Strategen

Diese peinlichen Branding-Übungen können die Fachwelt natürlich nicht überzeugen.“ Trotzdem versucht man es immer wieder, den Bürgerinnen und Bürgern diese neue Form der Überwachung als harmlos zu verkaufen. Doch laut der Präsidentin von Signal gebe es „keine Möglichkeit, solche Vorschläge im Zusammenhang mit Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation umzusetzen, ohne die Verschlüsselung grundlegend zu untergraben und eine gefährliche Schwachstelle in der Kerninfrastruktur zu schaffen, die globale Auswirkungen weit über Europa hinaus hätte.

suspect
Foto: Lars Sobiraj.

Meredith Whittaker: Es steht einfach zu viel auf dem Spiel

Rhetorische Spielchen sind nett im Marketing oder in der Boulevardberichterstattung, aber sie sind gefährlich und naiv, wenn es um ein so ernstes Thema geht, bei dem so viel auf dem Spiel steht. Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Das massenhafte Scannen privater Kommunikation untergräbt die Verschlüsselung grundlegend. Punktum.

Meredith Whittaker
Meredith Whittaker. Quelle privat.

Ob dies nun durch Manipulationen an der Zufallszahlengenerierung eines Verschlüsselungsalgorithmus geschieht oder durch die Einführung eines Systems zur Hinterlegung von Schlüsseln oder dadurch, dass die Kommunikation gezwungen wird, ein Überwachungssystem zu durchlaufen, bevor sie verschlüsselt wird. Wir können dies eine Hintertür, eine Vordertür oder „Upload-Moderation“ nennen.

Aber wie auch immer wir es nennen, jeder dieser Ansätze schafft eine Schwachstelle, die von Hackern und feindlichen Nationalstaaten ausgenutzt werden kann, indem der Schutz der unknackbaren Mathematik aufgehoben und stattdessen eine hochwertige Schwachstelle geschaffen wird“, schließt Meredith Whittaker ihre Argumentation ab.

Hälfte der Daten der US-Behörden im Vorjahr wertlos

Gestern berichtete der DER SPIEGEL, dass das Bundeskriminalamt mehr als die Hälfte der Chats, Fotos und Videos, die die US-Dienste freiwillig an sie weitergegeben haben, im Jahr 2023 als „nicht strafrechtlich relevant“ eingestuft hat. Das waren so viele wie nie zuvor. Auch die Betreibergesellschaft von Threema kündigte an, man werde notfalls andere Kommunikationsdienste aufrufen, die EU mit ihnen zusammen zu verlassen. Gestern hat das Magazin POLITICO den finalen Gesetzestext geleakt, den man hier einsehen kann.

EU-Bürger sollten dagegen protestieren

Dass eine Technologie wie die Chatkontrolle Unschuldige treffen wird, ist kein hypothetisches Szenario, sondern Realität“, schrieb Lukas Küffner, Vorsitzender der Piratenpartei. „Noch ist jedoch nichts entschieden. Es liegt an jedem Einzelnen, Einfluss auf die Abgeordneten im EU-Parlament zu nehmen. Wir brauchen Proteste, online und offline. Ist die Chatkontrolle erst einmal besiegelt, birgt sie unkontrollierbares Missbrauchspotential.

Überwachung

Der mittlerweile ausgeschiedene EU-Abgeordnete Dr. Patrick Breyer glaubt, man stehe „am Rande eines so extremen Überwachungsregimes, wie es nirgendwo sonst in der freien Welt existiert.“ Nicht einmal Russland oder China hätten für Smartphone Apps derartige Hintertüren für die Behörden eingerichtet, schrieb er.

Um Kritiker innerhalb der französischen Regierung zum Schweigen zu bringen und die Öffentlichkeit zu täuschen, enthält der endgültige Gesetzestext Lippenbekenntnisse zu sicherer Verschlüsselung, während er sie in Wirklichkeit zerstört, wie Hunderte von Wissenschaftlern deutlich gemacht haben„, so Breyer.

Signal und Threema werden keine Chatkontrolle mitmachen!

Meredith Whittaker hat schon vor Monaten angekündigt, Signal werde sich aus Europa zurückziehen, sollte die EU die Chatkontrolle tatsächlich einführen. Im Vorfeld der Abstimmung am Mittwoch trifft sich am heutigen Dienstag eine Arbeitsgruppe. Man hält eine „Fragen und Antworten“-Sitzung zum aktuellen Vorschlag ab. Interessant ist in dem Zusammenhang auch, dass eine NGO aus den USA ursprünglich führende EU-Politiker gezielt auf die Idee mit der Chatkontrolle gebracht hat.

Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Außerdem brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, seit 2014 an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert.