Revision 2021
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Bildquelle: Revision 2021

Revision 2021: Twitch löscht Kanal wegen angeblicher Nacktheit

Wegen der angeblichen Darstellung nackter Haut hat Twitch einen Streaming-Channel der Demoparty Revision ohne Vorwarnung gelöscht.

Der Streaming-Anbieter Twitch hat Ostersamstag ohne Vorwarnung ein Konto der Demoszene-Party Revision gekündigt. Ohne die Unterstützung von media.ccc.de wäre die Veranstaltung möglicherweise komplett ausgefallen. Das Echo bei Twitter fiel entsprechend episch aus.

Revision 2021: Alles baut auf Twitch auf, bis der Kanal plötzlich weg war

Man stelle sich folgendes Szenario vor. Eine Handvoll Personen organisiert eine Online-Party. Sie bauen dabei, wie jedes Jahr, auf den Streaming-Anbieter Twitch. Wegen der Corona-Pandemie musste man schon in 2020 die Saarbrücker Veranstaltung komplett ins Internet verschieben. Entweder das, oder man hätte sie ausfallen lassen. Doch das stand nicht zur Debatte.

Seit dem Jahr 2011 findet die Revision jedes Jahr über Ostern statt. Dies ist weltweit die wichtigste Veranstaltung für die Demoszene. Weit mehr als 1.000 Menschen treffen sich normalerweise im E-Werk im Zentrum von Saarbrücken. Wie schwer es ist, ein reales Treffen unter den gegebenen Bedingungen zu organisieren, davon berichtet unser englischsprachiger Beitrag „Demoparties in times of Corona„. Der Demoszene-Enthusiast und Unternehmer Simon Kissel kann davon ein Lied singen. Seine geplante Party Under Deconstruction 2020 zwischen Weihnachten und Neujahr musste er letzten Endes absagen.

Revision: Was ist ein Streaming-Event ohne Bild und Ton wert?

Das Team der Revision setzte von Anfang an auf ein reines Online-Meeting. Es gibt einen Channel für die Online-Seminare, den (dann gesperrten) Main-Stream, einen Chat bei Discord und Sofaworld. Sofaworld ist, einfach ausgedrückt, der Inhalt und Umgebung des E-Werks in digital, wo sich die Besucher virtuell sehen und miteinander interagieren konnten. Es war sogar möglich, in der Halle virtuell die große Leinwand zu sehen, wo die ganzen Produktionen gezeigt wurden. Mehr Infos dazu gibt es hier.

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Screenshot von Sofaworld aus dem Vorjahr. Vorne die Leinwand der Veranstaltungshalle.

5.000 Zuschauer ausgesperrt

Twitch

Das Problem war nur, Twitch drehte Ostersamstag den Veranstaltern mitten drin ohne Vorwarnung den Hahn ab. Der Main Channel mit allen Übertragungen war gesperrt.

Auf die Anfrage der Veranstalter hat Twitch als auch das deutsche Team bis heute nicht reagiert. Revision-Veranstalter Reza Esmaili teilte uns auf Anfrage mit, es gebe wegen der Sperre noch keine genauen Infos. Er persönlich geht aber nicht davon aus, dass ein Algorithmus von Twitch aus Versehen zugeschlagen hat, um den Kanal zu sperren. Doch ohne offizielle Stellungnahme könne er uns auch nicht mehr sagen.

Als sich die Veranstalter der Revision per Twitter fragend an Twitch wendeten, bot sich spontan Lukas Schauer vom Chaos Computer Club an. Man könne den Stream recht schnell über den hauseigenen Dienst media.ccc.de online bringen, auch wenn die Qualität möglicherweise etwas schlechter sei.

Das heißt, der CCC hat mal eben ca. 5.000 Zuschauern ihr Osterfest gerettet. Von den Machern ganz zu schweigen, die in die Vorbereitungen mehrere Monate Arbeit gesteckt hatten. Und die nun von jetzt auf gleich nicht mehr wussten, wie sie ihr Event weiter durchführen sollen.

Twitch reagiert einfach nicht

Die Gründe für die Sperre bleiben ungenannt. Bei Twitter hat Nutzer Radio PARALAX Gerüchte gestreut, es habe angeblich Diffamierungen im Chat gegen Ausländer, Schwule und andere Kulturen gegeben. Ein Freund habe ihm dies berichtet. Doch der Macher des Retro-Webradios war trotz mehrfacher Nachfrage bei Twitter nicht für eine Stellungnahme erreichbar. Ein Revision-Orga reagierte zeitnah auf die Anschuldigungen. Er schrieb, dass man ein solches Verhalten im Chat grundsätzlich nicht tolerieren würde. Update: Radio Paralax äußerte sich nun bei uns im Forum. Die Sperre kam wohl wegen einer kurzen Sequenz in einem Demo, wo nackte Haut zu sehen war. Die Macher des Webradios halten das aber auch für überzogen.

Mit dem Vorwurf der „Nacktheit“ hat die Aussage sowieso nichts gemeinsam. Das kann den gelöschten Streaming-Kanal wegen „Nudity“ so oder so nicht erklären. Auch Twitch hat auf unsere Anfrage per Twitter vor zwei Tagen nicht geantwortet.

Fazit

Zu viel oder überhaupt irgendwelche nackte Haut in der Demoszene? Das kommt eigentlich nicht vor. Die Begründung ist nicht nachvollziehbar.

Doch es bleibt dabei: Es ist ihr Twitch. Sie können damit machen, was immer sie wollen. Egal ob sie Metallica durch Dudelmusik ersetzen, jemand aus dem Team den Zensurhammer schwingen will, oder aus Versehen ein Algorithmus zuschlägt. Es ist und bleibt ihr Twitch und somit ihre Entscheidung. Wer solche Angebote nutzen will, muss sich das immer wieder vor Augen halten. Das ist auch bei YouTube, Facebook, Instagram etc. nicht anders.

Alles, was man tun kann, ist, sich zu überlegen, ob man sich diesem Kontrollverlust wirklich ausliefern will. Bei nächster Gelegenheit kann sich die Problematik wiederholen. Kann passieren, muss aber nicht. Von daher wäre es begrüßenswert, wenn die Revision Orga nächstes Jahr komplett auf media.ccc.de bauen würde, um solche Risiken von vornherein zu minimieren. Ja, auch dort bleibt es beim Kontrollverlust. Auch der Chaos Computer Club hat die Gewalt darüber, wer streamen darf und wer nicht. Aber zumindest ist beim CCC die Gefahr minimal, dass sich so etwas wiederholt.

Der Tweet hier bringt das Ganze eigentlich recht gut auf den Punkt:

Tarnkappe.info

Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Außerdem brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, seit 2014 an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert.