Datenschutz ist unwichtig. Wir erläutern, warum bei der anstehenden Wahl die Angst vor Überfremdung wichtiger ist, als die Piraten zu wählen.
Wir erläutern, warum bei der anstehenden Wahl die Angst vor Überfremdung entscheidender sein wird, als alle digitalen Themen zusammen. Während zu befürchten ist, dass die AfD zweistellig in den Bundestag einziehen wird, sind die Piraten seit vielen Monaten komplett bedeutungslos. Wie kam es dazu?
Piraten: Angst vor Überfremdung kontra Datenschutz
Keine der zur Wahl stehenden Parteien außer der Piratenpartei hat in diesem Jahr digitale Themen in den Fokus ihrer Wahlkampagnen gerückt. Die FDP setzt sich immerhin in Teilen damit auseinander. Allerdings werden in deren Plakatwerbung Datenschützer als ewige Bedenkenträger und wirtschaftliche Bremsklötze abgestempelt, weswegen man fordert: „Digital first. Bedenken second.“. Der Liberalisierung der Finanzmärkte soll nun offenbar der absolute Kontrollverlust über all unsere Daten folgen. Eine bequeme Einstellung, denn in dem Fall müsste man zum Schutz unserer Daten rein gar nichts tun.
Dabei gab es früher mal eine Partei, die sich solchen Fragestellungen kritisch und mit Erfolg angenommen hat. Angefangen hat die Piratenbewegung übrigens in Schweden, wo 2006 die Beschlagnahmung der Server von The Pirate Bay für die Entstehung der gleichnamigen politischen Bewegung sorgte. Zehn Monate später trafen sich Politikinteressierte in der Berliner c-base, um die Piratenpartei Deutschland zu gründen.
Aus den 53 Teilnehmern sind vergleichsweise schnell über 10.000 Mitglieder geworden. Alles Menschen, denen es nicht egal ist, ob Apple, Google & Co. und somit auch diverse Geheimdienste mit ihren Daten machen können, was immer sie wollen. Doch die Sache mit den Piraten wurde, wie wir alle wissen, trotz der anfänglichen Euphorie leider keine Erfolgsgeschichte.
Leider keine Erfolgsgeschichte…
Als ich den Piraten im Mai 2010 erstmals live und in Farbe begegnete, sah deren Zukunft noch rosig aus. Wie ein kreatives Chaos wirkte der Bundesparteitag im wunderschönen Bingen am Rhein. Die Halle hatte damals der Breakpoint-Organisator und IT-Unternehmer Simon „Scamp“ Kissel besorgt, der aus dem Staunen nicht mehr herauskam. Es gab außerhalb der Demoszene tatsächlich Leute, die ihm noch mehr auf den Keks gehen konnten, wie er erstaunt zum Besten gab. Wer von den Piraten gegen seinen Willen nach draußen befördert wurde, hat seinem Frust nicht nur wie ein Demoszener lautstark Luft gemacht.
Nein, sie kramten ihr Smartphone mit samt Paragraphen und Kommentaren hervor, um daraus zu zitieren. Kissel wurde nicht selten in Grund und Boden geredet, um die angeblich fehlende juristische Grundlage für das von ihm erteilten Hausverbotes zu erörtern.
Wenige Monate später war ich im Ruhrgebiet auf einem Landesparteitag der NRW-Piraten zugegen. Der frühere Kassenwart hatte dem Vorstand nichts als einen Haufen unsortierter Zettel hinterlassen. Von einer geordneten Buchführung keine Rede. Niemand konnte erörtern, woher die vorhandenen Gelder kamen oder wofür sie ausgegeben wurden. Bekanntlich blieb dies nicht das letzte Mal, dass so etwas geschah.
Warum die AfD in den Bundestag einzieht und die Piraten bedeutungslos sind
Nach dem triumphalen Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus ging es leider nur noch steil bergab. Nicht diejenigen Personen, die sich zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger einsetzen wollten, hatten dort das Sagen. Die Führung hatten die wenige Menschen inne, die sich aufgrund der Größe ihres Egos und ihrer Ellenbogen am meisten dazu berufen fühlten. Doch Probleme gab es nicht nur im Abgeordnetenhaus. Es folgte ein Bundesvorsitzender auf den nächsten.
Niemand war dazu in der Lage, das Schiff vor dem Kentern zu retten. Die Berliner Fraktion hatte als Vorreiter auch auf Bundesebene die Führung übernommen und steuerte das Boot hart in Richtung Klippen. Wehe jemand wollte sie davon abhalten, der musste Kiel holen gehen und ward nie wieder gesehen. Wer es genauer wissen will, kann sich eines der Bücher kaufen, in denen das Scheitern der Orangen, wie sie auch manchmal genannt werden, im Detail behandelt wird. Und wenn man hinterher nicht viel schlauer sein sollte, dann hat man wenigstens einen der Fachbuch-Autoren durchgefüttert, das ist doch auch was wert.
Piraten: Irgendwann war der Welpenschutz abgelaufen
Wie dem auch sei. Nach einiger Zeit offenbarten sich die Probleme der Piratenpartei sehr deutlich, auch der Welpenschutz, den jede neue politische Bewegung genießt, ist irgendwann vorbei. Dann wird die getane Arbeit bilanziert und im wahrsten Sinne des Wortes abgerechnet. Schnell zeigte sich, anders zu sein als die anderen Volksvertreter, reicht auf Dauer nicht. Substanz musste her, da kam aber aus Berlin lange Zeit nichts rüber. Auch in Düsseldorf machten manche Abgeordnete wie Birgit Rydlewski mehr Reden von ihren geplatzten Kondomen und der letzten Nacht mit einem Unbekannten, als von ihrer Oppositionsarbeit.
Dazu kam und kommt bis heute der arrogante Tonfall, der bei technischen Themen vorherrscht. Doch wenn man stets mit erhobenem Zeigefinger auf die Fehler Dritter hinweist und glaubt alles besser zu wissen, so schlägt das Pendel irgendwann gnadenlos zurück. Auch an den öffentlich ausgetragenen Streitereien (zumeist bei Twitter) änderte sich im Laufe der Jahre nichts. Selbst dann nicht, als klar war, dass man im ersten Anlauf den Einzug in den Bundestag verpassen würde. Nun wird sich die Geschichte wiederholen. Allerdings mit dem Unterschied, dass die Piraten schon lange von den Medien ignoriert werden.
Die besten Leute sind längst über Bord gegangen
Dazu kommt, dass die Piratenpartei ihre besten Leute schon vor langer Zeit verloren hat. Mit der Führungsriege von 2010 hat die heutige nichts mehr gemeinsam. Man kämpft gegeneinander noch immer mit allen Mitteln, obwohl es kaum noch etwas zu erreichen gibt. Es bleibt sogar abzuwarten, ob es den Piraten auf Kommunalebene dauerhaft gelingen wird, den Fuß in der Tür hat halten. Mehr zu erreichen ist eh schon lange nicht mehr denkbar.
Was dabei leider letzten Endes auf der Strecke blieb und bis heute bleibt, ist die Netzpolitik an sich. Wir haben in dieser Ausgabe des Tarnkappe Magazins zusammengetragen, welche Tiefpunkte sich die Große Koalition innerhalb der letzten Jahre in allen digitalen Belangen geleistet hat. Fest steht schon jetzt, es sind nicht wenige!
FDP & Grüne haben Piraten-Themen übernommen
Nach dem Aufkommen der Piraten wurden netzpolitische Themen schnell von der politischen Konkurrenz übernommen, um sie wieder zu vergessen. Warum? Ganz einfach, weil man mit Datenschutz, dem Kampf gegen Abmahnungen, Netzsperren oder behördlicher Zensur schlichtweg keine Wahl gewinnen kann.
Die Menschen interessieren sich für den Erhalt ihres Arbeitsplatzes, für ihr Einkommen und die Aussicht auf ihre Rente. Sie wollen die gleichen lebenswerten Bedingungen für sich und ihre Kinder. Ob die NSA oder Google Schindluder mit unseren Daten treibt, juckt niemanden. Die Verwertung und den Verkauf von Informationen riecht man nicht, hört man nicht und schmeckt man nicht. Daten erscheinen den meisten flüchtig zu sein. Und was soll es eigentlich? Solange man seinen Mail-Anbieter oder sein Lieblings-Netzwerk für lau nutzen kann, spielt der Rest doch eh keine Rolle, oder. Würde Facebook im Umkehrschluss eine Monatsgebühr von 5 Euro einführen, wäre es bald sehr leer dort.
Auf den Hund gekommen: der frühere Bundesvorsitzende Bernd Schlömer, aktuell ein FDP-Mitglied.
Die AfD, so ekelhaft wie erfolgreich
Und die AfD? Die mag zweifellos ihre eigenen Fehler begehen, das will ich gar nicht kleinreden. Doch diese Partei war stets erfolgreich darin, Ängste in der Bevölkerung zu schüren. Angst vor Überfremdung. Und Angst davor, dass das hart erarbeitete Gehalt beim nächsten Bankencrash nichts mehr wert sein könnte, wenn der Euro ins Bodenlose stürzt. Dazu kommt Angst, dass sich unsere Gesellschaft weiter in Richtung Multi-Kulti verwandelt oder hierzulande zu viele Flüchtlinge aufgenommen werden. Doch wie viele Kulturen sind zu wenig oder gar genug? Ab welcher Anzahl Flüchtlinge sind es zu viele, die Schutz bei uns suchen? Wie kann man die politisch Verfolgten sehr viel schneller von den reinen Wirtschaftsflüchtlingen trennen? Was sollen wir tun mit den Banken, die in Berlin oder Brüssel niemand kontrollieren kann oder will? Viele Fragen und keine Antworten.
Doch genau das ist das Erfolgsrezept der AfD. Sie präsentieren uns jede Menge Probleme aber geben keine Antworten, wie man diese lösen kann. Das nämlich wäre schwierig, weil derartige Probleme niemand mal eben im Vorbeigehen lösen kann. Und dann müsste man zugeben, dass es neben Schwarz und Weiß auch noch andere Zwischentöne gibt. Dass Politik kompliziert ist und stets die Suche nach gehbaren Kompromissen beinhaltet, die möglichst wenigen wehtut. Allen kann man sowieso nicht gerecht werden. Und wirklich schnell geht in einer Demokratie auch keine Veränderung vonstatten. Doch nichts anderes ist es ja, was man uns auf den AfD-Plakaten anpreist.
Angst vor Überfremdung, vor jeder Veränderung
Doch Ängste vor Veränderung und einfache Parolen, die auch das einfache Volk versteht, das zieht. Denn dabei geht es um die Befriedigung unserer Grundbedürfnisse. Es geht darum, seinen Lebensstandart zu halten, die Rente zu sichern und seine Kindern eine gute Schul- und Berufsausbildung angedeihen zu lassen, damit auch sie später gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Um nicht viel anderes geht es auch bei den anderen etablierten Parteien. Die Grünen haben sich noch einen Hauch Umweltschutz mit auf die Fahnen geschrieben.
@de_Wastl Sind wir ehrlich: Die Piraten haben fertig. Es wird fast (nur) noch tot-diskutiert, während die (Ideen-)Macher gehen.
— Stefan aka. Pandur (@stefan_pandur) 15. Dezember 2015
Datenschutz ist trotz der Piraten leider kein Grundbedürfnis
Doch Datenschutz, so wichtig er ist. Dies ist kein Grundbedürfnis und auch nichts, womit ich am Ende des Monats meinen Kühlschrank füllen kann. Angst kann man mit dem Thema auch keinem einjagen. Edward Snowden? Wer war das nochmal? Auch er ist längst vergessen, wenn man ehrlich ist. NSA, BND, oder L.m.a.A.., das interessiert bis auf ein paar CCC-Jünger (ich bin selbst einer, deswegen darf ich das sagen) niemanden mehr.
Mein Politiklehrer sagte mal etwas vor Urzeiten, was bis heute nichts an Wahrheit eingebüßt hat:
Jedes Volk bekommt die Regierung, die es verdient.
Oh weh, schaut man über den großen Teich hinüber zum USA-first Trumpel-Tier, so sind dies wahrlich keine guten Vorzeichen. Doch ohne Mama Merkel oder den US-Elefanten im Ego-Laden hätten wir nichts mehr, worüber wir uns aufregen könnten.
Oder wie seht Ihr das? Hinterlasst bitte Eure Meinung im Kommentarbereich, danke!
P.S.: Alle Fotos von Lars Sobiraj. Dieser Beitrag war das Editorial von Ausgabe Juli/August des Tarnkappe Magazins:
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