Piraterie
Bildung vs. Piraterie
Bildquelle: niu niu, Kimberly Farmer

Statistischer Gag der EU: Zusammenhang zwischen Piraterie und Bildung

Die Gamestar titelte kürzlich, eine Studie habe gezeigt, dass ein Zusammenhang zwischen Bildung und Piraterie bestehe. Doch stimmt das?

Wissenschaftliche Studien sind oftmals zahlenlastig. Und was zahlenlastig ist, wirkt gleich um einiges glaubwürdiger. Dabei ist Statistik ja ein wichtiges und grundsätzlich maximal zuverlässiges Instrument zur Aufdeckung von Zusammenhängen. Nicht selten sind das sogenannte latente Zusammenhänge, auf die man so aus der Intuition heraus nicht gekommen wäre. Vielleicht ein bisschen so, wie eine von der EU-Kommission über zwei Jahre hinweg unter Verschluss gehaltene Piraterie-Studie aus dem Jahr 2017. Laut Resümee der Untersuchung seien keine signifikanten, also statistisch belastbaren Verdrängungseffekte zwischen illegalen und legalen Angeboten festzustellen. Indes zeigte sich ein förderlicher Einfluss von Piraterie auf den Absatz von Games. Hierbei handelte es sich wohlgemerkt um ein ausgesprochen sauber und mit hoher methodischer Sachkenntnis angefertigtes Papier. Und dessen Ergebnis dürfte für viele – nicht zuletzt wohl auch für die Auftraggeber – derart eindrücklich gewesen sein, dass man es kurzerhand in der Schreibtischschublade hatte verschwinden lassen.

GameStar-Redaktion zeigt sich begeistert

Ähnlich überrascht ob des Potenzials statistischer Methoden war man gestern wohl in der GameStar-Redaktion. Hier titelte man: „Netflix und Co.: Studie Zeigt überraschenden Zusammenhang zwischen Bildung und Piraterie“ und bezog sich damit auf eine im Juni 2022 frisch veröffentlichte Studie der Beobachtungsstelle des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO). Für die Studie wurden im Februar 2022 etwa 22.000 junge Menschen im Alter von 15 bis 24 Jahren in allen 27 Mitgliedsstaaten der EU befragt, wie es um ihr Konsumverhalten bezüglich Produktpiraterie stehe. Dabei schloss man sowohl Replikationen von Luxusartikeln (Kleidung, Armbanduhren), als auch urheberrechtlich geschützte Werke (Warez wie Filme, eBooks, Software) mit ein. Und dabei zeigte sich der gestern in der Gamestar-Redaktion gefeierte Zusammenhang zwischen Piraterie und Bildung.

Das Ergebnis ist signifikant, aber nicht bedeutend

Wohlgemerkt handelt es sich laut Bericht auch um einen statistisch signifikanten Zusammenhang. Aber was heißt das eigentlich? Etwa, dass es sich um einen irgendwie bedeutungsvollen Zusammenhang handelt? Oder um einen „wahren Zusammenhang“? Naja, nein. „Statistisch signifikant“ ist ein streng fachkontextbezogener Begriff und bedeutet grob übersetzt, dass das vorliegende Ergebnis überzufällig, also höchstwahrscheinlich nicht durch Zufallseffekte zustande gekommen ist. Über die Sinnhaftigkeit des gesehenen Zusammenhangs, die Bedeutung oder den Wahrheitsgehalt eines Ergebnisses sagt dieser Parameter allein nichts aus.

Macht Piraterie intelligent?

Aber wie steht es denn nun um den Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau und dem Warez-Konsum der EU-Jugend? Ist es wahr? Ist man intelligenter, wenn man illegal downloadet? Machen Warez schlauer? Wissen weniger Intelligente vielleicht einfach nichts von The Pirate Bay? Oder hat die GameStar etwas missverstanden? Nun, hier muss man eben zwischen dem statistisch-mathematischen Wahrheitsgehalt und der statistisch-methodischen Sinnhaftigkeit dieser Untersuchung unterscheiden. Denn die GameStar hat die Studie unter allen Aspekten korrekt zitiert: Junge Menschen mit abgeschlossenem Universitätsabschluss nutzen deutlich mehr illegale Quellen (28 %), als Jugendliche mit abgeschlossenem Haupt-, Real-, oder Gymnasialabschluss (21 %) und solche ohne weiterführendem Schulabschluss (15 %).

Es handelt sich um eine Scheinkorrelation

Hierbei – und dieser Fehler spricht vielmehr gegen die Urheberschaft der Studie, als gegen die Redakteure der GameStar – muss jedoch die Beschaffenheit des Samples beachtet werden. Denn dieses speist sich zu 69 % aus Jugendlichen im Alter von 15 bis 21 Jahren. Also aus einer Alterskategorie, die in Europa irgendwo zwischen Pausenhof der Mittelstufe und dem Übergang ins Studierendenleben steht. Mehr als zwei Drittel des Samples kann also rein altersbedingt noch gar keinen Universitätsabschluss haben. Für die Berechnung (statistische Testung) eines Bildungseffekts hätte allenfalls ausschließlich mit der Altersgruppe 22 bis 24 gearbeitet werden dürfen (aber selbst dann wäre diese demographische Schlussfolgerung nicht seriös gewesen). Das wurde gemäß den hier präsentierten Daten aber nicht getan.

Kein Bildungs-, sondern ein Alterseffekt

Daher handelt es sich hier um eine zwar statistisch signifikante, aber daneben ziemlich bedeutungslose Korrelation. Allein schon aufgrund der nicht bevölkerungsrepräsentativen, stark rechtsschiefen Altersverteilung hätte dieser Scheinkorrelation keine Aufmerksamkeit geschenkt werden dürfen. Denn sie ergibt sich nicht aus der Aufdeckung eines sinnvollen Zusammenhangs zwischen Bildungsstand und Warez, sondern aus dem nicht beachteten statistischen Drittvariableneffekts des Alters. Denn ein großer Teil der „gebildeten“ Hochschulabsolventen dürfte im Sinne der akademischen Ausbildung zu Produktpiraten werden. Es fehlen für den kostenlosen oder wenigstens kostengünstigen Bezug von wissenschaftlichen Papern nämlich schlicht die legalen Möglichkeiten. Und von solchen haben die Jugendlichen im Teenie-Alter ja dank Netflix und Co mehr als genug. Es handelt sich um einen Alterseffekt, nicht um einen Bildungseffekt.