darknet, stefan mey
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Darknet: Waffen, Drogen, Whistleblower – Buchrezension

Rezension des Buches "Darknet: Waffen, Drogen, Whistleblower" von Stefan Mey. Ist es wirklich mehr als nur ein Amazon für den Untergrund?

Das Darknet wird in den Medien immer wieder in der Luft zerrissen. Angeblich diene es nur dem Verkauf illegaler Drogen und Waffen. Doch was steckt wirklich dahinter? Was erwartet uns dort? Und warum ist dessen Existenz wichtig unabhängig davon, ob man in demokratischen Staaten lebt oder nicht. Der Journalist Stefan Mey hat sich für sein Buch ausführlich bei allen möglichen Stellen erkundigt und versucht so sachlich wie möglich darüber zu berichten.

Wie gut ist das Buch Darknet: Waffen, Drogen, Whistleblower?

Der Wahlberliner Stefan Mey ist seit 2010 studierter Publizist und Soziologe. Danach hat er in seiner beruflichen Laufbahn einige Experimente durchgeführt, die ihm wohl nicht ausnahmslos alle gelungen sind. Mey war tätig als „Freelancer auf bescheidenem Niveau“, wie er es bei Xing selbst so schön ausdrückt. Er schrieb und schreibt heute für alle möglichen Print- und Online-Medien. 2004 war er Gründer einer eigenen Jugendzeitschrift namens YOUnique, später schlug er sich als Betreiber eines Liebes- und Lifestyleportals oder eben als freier Journalist für heise online, Golem.de, Le Monde Diplomatique u.v.m. durch. Seine Jugendzeitschrift musste mangels finanzieller Grundlage wieder eingestellt werden. Alternative Medien haben es echt schwer, wie er uns per E-Mail mitteilte. Auch beim 2010 gegründeten Lust- & Liebesportal steht nun ein Schweizer statt Mey im Impressum. Letztes Jahr dürfte der umtriebige Autor aber vor allem mit den Recherchen für sein aktuelles Buch beschäftigt gewesen sein.

i2p

Viele Medien schreiben Schwachsinn über dieses Thema

Das Thema Darknet ist zwar spannend. Doch über kaum etwas anderes wird bei TV, Print oder Rundfunk so viel Blödsinn verzapft, wie dazu. Wer den Berichterstattungen der letzten Monate / Jahre nicht entkommen ist, muss glauben, im Darknet gehe es ausschließlich um verbotene Dienstleistungen wie der Druck gefälschter Pässe, Ausweise, Führerscheine oder den Verkauf illegaler Drogen und Waffen. Ja, darum geht es auch zum Leidwesen der Betreiber von Tor und den Machern der Verschleierungssoftware I2P, Freenet oder RetroShare. Aber eben bei weitem nicht nur. Zudem werden in den Medien diverse Begriffe schlichtweg falsch benutzt oder sogar verkehrt erläutert. Das Deepweb ist beispielsweise nicht das gleiche wie das Darknet. Und das Internet ist weit mehr als nur das, was man mit dem Browser besuchen kann.

US-Behörden finanzieren und bekämpfen gleichzeitig das Tor-Projekt

Mey nimmt diese Begrifflichkeiten in den Mund. Aber erst, nachdem er sie nacheinander verständlich erläutert hat. Spannend wird es im Buch „Darknet: Waffen, Drogen, Whistleblower“ bei der Finanzierung und den vielen Widersprüchen, die sich hinter dem Tor-Netzwerk verbergen. Manche US-Behörden wie das FBI, die DEA oder das Finanzministerium der Vereinigten Staaten würden nichts lieber tun, als Tor sofort abzuschalten und als nächstes den Bitcoin zu verbieten. Andere US-Behörden haben hingegen den langfristigen Betrieb erst mit ihren umfangreichen Spenden ermöglicht. Größere Geldgeber sind zum Beispiel das US-Außen- und Verteidigungsministerium. Also Stellen, von denen manche sogar für die Aufrechterhaltung der NSA zuständig sind. Widersprüchlicher geht es kaum. Im Gegensatz zur Online-Enzyklopädie Wikipedia oder dem Browserhersteller Mozilla haben es die Macher von Tor trotz ihrer Popularität bis heute nicht geschafft, sich von den Zuwendungen staatlicher Stellen unabhängig zu machen. Von daher können die Macher von Tor die bestehenden Widersprüche so bald nicht auflösen.

 

Darknet – nur eine Art Amazon für den Untergrund?

Apache Tor-Server Broken Tor

Stefan Mey bedauert völlig zurecht, dass man aus dem Darknet so viel mehr hätte machen können. Die größte Anlaufstelle im Tor-Netzwerk ist ausgerechnet die Datenkrake Facebook. Wer sich mit seinem Account anmeldet, ist sowieso nicht mehr anonym. Danach kommen ausschließlich Spiegelseiten großer kommerzieller Anbieter wie die New York Times, Washington Post etc. Also einhundertprozentige Kopien von Webseiten, die in gleicher Form auch über das Clearnet erreichbar sind. Zwar gibt es abseits der illegalen Handelsplätze auch vereinzelte Angebote, die exklusiv im Tor-Netzwerk angeboten werden. Doch das ist im Angebracht der Möglichkeiten, die einem das Darknet bietet, extrem wenig.

Letzten Sommer wurde zum Beispiel das deutschsprachige Forum Germanyhusicaysx hochgenommen, was ausschließlich mit dem Tor-Browser erreichbar war. Zu ihrem Pech erlaubten die Foren-Betreiber auch Gespräche über illegale Themen, weswegen das BKA im Juni 2017 wahrscheinlich einschritt und nebst einigen Verhaftungen auch den Server vom Netz zu nehmen. In seinen besten Zeiten erreichte germanyhusicaysx.onion bis zu 20.000 Seitenzugriffe täglich, doch im Vergleich zu den meisten anderen Webseiten oder Foren ist dies lächerlich wenig. Die zahlreichen Nachahmer (diverse URLs wurden in den Kommentaren unter unserem Bericht gepostet) dürften noch weniger Zugriffe generieren. Auch die Kommunikations-Software SecureDrop wird im Buch ausführlich vorgestellt. Viele Verlage haben sich diese oder eine ähnliche Möglichkeit zur Kommunikation mit anonymen Hinweisgebern (Whistleblowern) eingerichtet, doch dafür alleine braucht man kein komplett verschlüsseltes Netzwerk.

Arbeit der Ermittler beleuchtet

Interessant sind auch die Gespräche mit diversen Vertretern der Polizei und Cybercrime Units, die sich mit der Verfolgung von anonymen Straftätern beschäftigen. Sie haben in der Zwischenzeit andere Methoden entwickelt, um Anbieter voneinander zu unterscheiden und mögliche Zusammenhänge zwischen den Verkäufern auszumachen. Sie warten zumeist auf den einen entscheidenden Flüchtigkeitsfehler, den ein Uploader von Kinderpornos oder der Anbieter von Gewehren oder Kokain macht. Doch machen wir uns nichts vor. Wer sich ein wenig umschaut, wird all das auch im Clearnet kaufen können. Die Bewertungssysteme der Händler und E-Commerce-Shop-Systeme sind teilweise sogar die gleichen.

Für das Darknet ist es aber noch nicht zu spät. Weder wurde flächendeckend eine Methode entwickelt, um die Nutzer zu identifizieren und auch werden die Menschenrechtsorganisationen oder andere NGOs abgesehen vom höheren technischen Aufwand nicht davon abgehalten, ihre Aktivitäten auf das Darknet auszuweiten oder sogar das Clearnet aus Sicherheitsgründen komplett zu verlassen. Fest steht: Das Darknet würde das Potenzial besitzen, um das Internet komplett umzukrempeln. Man könnte sich total neu und auch besser aufstellen. Diesmal ganz ohne Überwachung durch IT-Konzerne oder Geheimdienste. Und ohne Angst, die eigene Meinung öffentlich zu äußern. NGOs und Verlage könnten daraus deutlich mehr als ein paar Spiegelseiten machen, wenn man denn bereit wäre, auf die Besucherströme der Suchmaschinen und somit auf Aufmerksamkeit und Erlöse aus Banner-Werbung zu verzichten. Doch wer will das schon? Im Moment zumindest kaum jemand. Und so dümpelt das Darknet trotz einer umfangreichen staatlichen Finanzierung weiter vor sich hin …

Fazit

Doch zurück zum Buch. „Darknet: Waffen, Drogen, Whistleblower“ ist ohne Einschränkung empfehlenswert. Wer eine unabhängige Quelle sucht, dessen Autor sich dem Thema sachlich und nüchtern angenähert hat, der ist hier genau richtig. Mey ist kein Informatiker. Wohl aber ein Journalist mit viel technischem Grundverständnis. Und jemand, der die technischen Hintergründe gut verständlich darlegen kann.

Tarnkappe.info

Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Früher brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert. In seiner Freizeit geht er am liebsten mit seinem Hund spazieren.