Machen die Demonstrationen "Freiheit statt Angst" noch Sinn, die schon seit Jahren im Spätsommer bzw. Frühherbst organisiert werden?
Seit Jahren gehört für Datenschutz-Interessierte die im Spätsommer oder Frühherbst in Berlin abgehaltene „Freiheit statt Angst“-Demonstration fest zum jährlichen Veranstaltungs-Kalender. Handelt es sich deswegen um bloße Tradition, um aktivistisches Battle-Reenactment, ein Überbleibsel aus Zeiten, in denen die Vorratsdatenspeicherung und die Online-Durchsuchung fast täglich in den Medien waren? Sind solche Demos total 2008? Oder haben sie auch in der heutigen Zeit noch einen sinnvollen Platz?
Freiheit statt Angst Demos nicht mehr zeitgemäß?
In meinen Augen könnte der Eindruck, derartige Aktionen seien nicht mehr zeitgemäß, nicht weiter von der Realität entfernt sein. Eher ist das Gegenteil der Fall. Zwar ist es zweifellos richtig, dass sich in der Szene und gerade um die Freiheit statt Angst (FsA) viele Traditionen und Rituale entwickelt haben. Das allein bedeutet jedoch keineswegs, dass die aktuelle Entwicklung nicht ausreichend berücksichtigt wird. Es sollte, wie ich finde, als gutes, aufmunterndes Zeichen dafür verstanden werden, dass schon seit Jahren entschlossen und mit großen Erfolgen gekämpft wird, dass sich nicht nur die Überwacher organisiert haben, sondern auch wir, die Gegenseite. Das ist gut – und war kaum jemals so wichtig wie gerade jetzt.
Selbst zu Zeiten der größten rot-schwarzen Sicherheitshysterie, damals, als zehntausende Menschen die Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung unterzeichneten (damals, als meine Aktivisten-Generation im Zuge der Ereignisse lernte und neue Erfahrungen machte, womöglich ganz hipster-mäßig „bevor es cool war“), war das Thema nicht aktueller, dringender als heute.
NSA
Alleine die NSA-Affäre – prominentestes, erschreckendstes, aber bei Weitem nicht einziges Beispiel für aktuelle Datenschutz-Themen – sollte ausreichend Grund für alle an Datenschutz und individuellen Freiheiten interessierten Menschen sein, im Rahmen der FsA auf die Straße zu gehen. Oder, falls sie dies nicht können, in anderer Form oder zu anderem Zeitpunkt aktiv zu werden. Was Edward Snowden im Laufe des vergangenen Jahres über die Überwachungsprojekte der NSA und des GCHQ aufgedeckt hat, geht weit über das hinaus, was im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung praktiziert und von zahlreichen Menschen – zu Recht – angeprangert wurde.
Dabei besteht durchaus die Möglichkeit, dass es sich bei dem, was wir bereits wissen, nur um die Spitze des freiheitsfeindlichen Eisbergs handelt. Dennoch hält sich bislang der öffentliche Aufschrei in erstaunlich engen Grenzen. Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Sind die technischen Hintergründe zu kompliziert? Die veröffentlichten Nachrichten einfach zu viele, zu erschreckend, so dass eine gewisse Abstumpfung einsetzt? Haben einige Menschen bereits resigniert oder wissen vor lauter Überwachung nicht mehr, wo sie anfangen sollen?
Es ist noch nicht zu spät!
Egal, was es ist, das manche Leute zurück halten mag, es gibt eine beruhigende Gewissheit: Es ist noch nicht zu spät. Wir können noch immer auf die Straße gehen oder anderweitig politischen Druck ausüben, können noch immer kämpfen. Wieso nicht mit der FsA-Demo, die dieses Jahr am 30. August in Berlin stattfindet, den Anfang machen oder aber ein bereits vorhandenes Engagement in Gesellschaft (hoffentlich vieler) Gleichgesinnter ausbauen? Ich werde da sein. Nie war es so wichtig wie heute – und aufgeben gilt nicht. Lasst uns gemeinsam kämpfen. Lasst uns protestieren als sei es 2008, lasst uns die Erfahrungen und die gesammelte Entschlossenheit der Bewegung nutzen.
Passend dazu ist das Motto der Demonstration in diesem Jahr „Aufstehen statt Aussitzen“. Also, lasst uns aufstehen. Versucht nicht, die repressiven Umtriebe der Politiker und Geheimdienst-Bosse auszusitzen, denn in diesem Spiel sind diese Leute eindeutig die Besseren. Lasst nicht zu, dass unsere Bundesregierung die Exzesse der USA aussitzt und sich mit Pro-Forma-Veranstaltungen wie dem zahnlosen NSA-Untersuchungsausschuss aus der Affäre zieht.
Kämpft um eure Privatsphäre. Zeigt den Politikern die rote Karte und erklärt euch solidarisch mit Edward Snowden, ohne den wir von vielen empörenden Eingriffen in unsere Rechte gar nichts wüssten. Fordert lautstark und öffentlich eure Freiheit und die eurer Mitmenschen. Nur darum geht es letztendlich. Freiheit ist eines der kostbarsten Güter und wird dies auch immer bleiben. Das dürfen wir niemals vergessen – und in diesem Bewusstsein müssen wir handeln. Freiheit statt Angst. Wen sehe ich in Berlin?
Tarnkappe.info