Kennzeichenscanner werden schon lange nicht mehr nur von Behörden, sondern auch von Unternehmen eingesetzt. Sie stehen nahezu überall.
In den USA wurde eine Frau aus Denver durch ein automatisiertes Kamerasystem zu Unrecht beschuldigt, ein Paket gestohlen zu haben. Wie lokale Medien berichteten, vertraute die Polizei blind auf die Daten einer privaten Firma. Ihr Kennzeichenscanner hatte die Nummernschilder und Fahrzeugbewegungen aufgenommen und gespeichert. Erst nach Tagen konnte die Frau durch eigene Nachweise ihre Unschuld beweisen.
Ein Fehlalarm mit Folgen
Das Unternehmen hinter dem System heißt Flock Safety. Es betreibt in den Vereinigten Staaten ein wachsendes Netz automatisierter Kennzeichenerkennung. Nach eigenen Angaben sind inzwischen über 5 000 Städte angeschlossen. Die Kameras erfassen jedes vorbeifahrende Fahrzeug und gleichen es in Echtzeit mit polizeilichen Datenbanken ab. Kritiker sprechen längst von einem privat betriebenen Überwachungsnetz, das kaum einer staatlichen Kontrolle unterliegt.
Was wie ein Extrembeispiel amerikanischer Überwachung wirkt, hat in Deutschland längst eine Parallele. Auch hier werden Kennzeichen automatisch erfasst, ausgewertet und mit Fahndungsdaten abgeglichen. Und auch hier kam es bereits zu einem Skandal, bei dem Bürger ohne Anlass erfasst wurden.
Der Kennzeichenscanner Skandal an der Grenze
In den vergangenen Jahren setzten Behörden an der Grenze zu Polen stationäre Kennzeichenscanner ein, um gestohlene Fahrzeuge aufzuspüren. Die Geräte erkannten jedes Kennzeichen, verglichen es mit Fahndungslisten und speicherten die Daten. Doch wie Recherchen zeigten, hat man die Systeme über Jahre falsch betrieben.
Laut dem brandenburgischen Datenschutzbeauftragten hat man Hunderttausende Nummernschilder von unbescholtenen Bürgern gespeichert, obwohl gar keine Fahndung vorlag. Auch Löschfristen wurden nicht eingehalten. Der Landesdatenschutz erklärte, das Vorgehen verstoße gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. In einigen Fällen konnten Beamte nicht einmal genau erklären, wie die Systeme arbeiteten oder wer alles Zugriff auf die Daten hatte.
Besonders brisant ist, dass viele dieser Scanner automatisiert weiterliefen, selbst nachdem interne Prüfungen Unregelmäßigkeiten festgestellt hatten. Eine lückenlose Kontrolle gab es nie. Damit zeigt sich, dass selbst in einem Land mit strengen Datenschutzgesetzen Fehler über Jahre unbemerkt bleiben können, wenn sich niemand zuständig fühlt.
Technik ohne Verständnis
Hier zeigt sich dieselbe Grundproblematik wie in den USA. Die Technik funktioniert präzise, aber das Verständnis für ihre Grenzen fehlt. In vielen Dienststellen mangelt es an Schulung. Statt kritisch zu prüfen, vertrauen Mitarbeiter der Polizei auf die Software und nehmen deren Ergebnisse als gegeben hin.
Wer die Systeme bedient, verlässt sich häufig auf Zahlen, Diagramme und Trefferlisten, ohne zu hinterfragen, was genau dort gemessen wird. Doch Algorithmen sind keine Wahrheit, sondern Modelle mit Wahrscheinlichkeiten. Erkennt das System ein Kennzeichen falsch, kann schon ein kleiner Buchstabenfehler fatale Folgen haben.
Hinzu kommt, dass die Systeme selbst nicht unfehlbar sind. Schon Reflexionen auf Nummernschildern, verschmutzte Oberflächen oder schlechte Lichtverhältnisse können zu Fehlinterpretationen führen. Auch KI-gestützte Auswertungen arbeiten mit Wahrscheinlichkeiten, nicht mit Gewissheiten. Dennoch wird in den Köpfen der Mitarbeiter in der Praxis aus einem Prozent Unsicherheit oft eine hundertprozentige Überzeugung.
Und gerade das ist gefährlich, denn viele Polizisten sind in der Ausbildung nicht auf algorithmische Fehler vorbereitet. Eine falsche Kennzeichenerkennung kann einen Polizeieinsatz auslösen, der für die betroffene Person nicht nur stressig, sondern im schlimmsten Fall lebensgefährlich wird.
Kennzeichenscanner: Kontrolle ohne Kontrolleure
In Deutschland ist der Einsatz solcher Systeme streng geregelt. Eine automatische Kennzeichenerfassung ist nur dann erlaubt, wenn sie zur Fahndung nach konkreten Straftaten dient oder eine Gefahr abgewehrt werden soll. Eine flächendeckende Überwachung ganzer Regionen, wie sie Flock Safety in den USA betreibt, wäre hierzulande nicht zulässig.
Trotz dieser gesetzlichen Grenzen bleibt Missbrauch möglich, wenn Kontrolle, Ausbildung und technische Aufsicht versagen. Viele Systeme laufen über Jahre hinweg mit falschen Einstellungen, ohne dass es jemand bemerkt. Oftmals fehlt schlicht das Verständnis dafür, wie die erfassten Daten verarbeitet, gespeichert und abgeglichen werden. So entsteht Überwachung, die auf dem Papier begrenzt ist, in der Praxis aber viel tiefer reicht, als die meisten ahnen.
Auch Transparenz ist ein Problem. Bürger erfahren in der Regel nicht, ob und wann ihr Kennzeichen überhaupt aufgenommen und gespeichert wurde. Datenschützer fordern seit Langem, dass Betroffene ein Recht auf Information erhalten sollen, ähnlich wie bei Auskünften über gespeicherte Personendaten. Doch bislang geschieht das nur auf Antrag und meist erst nach langer Wartezeit.
Wenn Überwachung privat wird
Während staatliche Systeme für Kennzeichenscanner und vieles mehr gesetzlichen Regeln unterliegen, breitet sich die private Überwachung zunehmend unkontrolliert aus. Türkameras und smarte Türklingeln wie Amazons Ring sammeln Tag und Nacht Videodaten. Amerikanische Datenschützer haben Ring wiederholt kritisiert, weil Aufnahmen über firmeneigene Cloud Systeme auch von Ermittlungsbehörden abgerufen werden konnten. In manchen Städten existieren direkte Kooperationen zwischen Polizei und dem Konzern, wodurch private Nutzer unbeabsichtigt Teil einer öffentlichen Überwachungsstruktur werden.
In Deutschland wäre ein solches Modell zwar nur eingeschränkt erlaubt, doch der Trend zeigt deutlich, wohin die Reise geht. Immer mehr Menschen installieren Kameras, die auch öffentliche Bereiche miterfassen. Das gezielte Überwachen von öffentlichem Raum durch Privatpersonen ist hierzulande nicht erlaubt. Werden öffentliche Wege, Plätze oder Straßen durch private Kameras systematisch aufgezeichnet, greift das Datenschutzrecht, und es drohen rechtliche Konsequenzen.
Server in den USA speichern Daten von EU-Bürgern
Besonders kritisch ist, dass viele Geräte wie Ring ihre Daten in Cloud Servern speichern, die in den USA betrieben werden. Zwar erlaubt das neue EU US Data Privacy Framework unter bestimmten Bedingungen den Datentransfer in die Vereinigten Staaten. Doch Datenschützer bezweifeln, dass der dortige Schutz mit europäischen Standards vergleichbar ist. Die Aufnahmen verlassen damit faktisch den europäischen Rechtsraum, was der DSGVO widerspricht. Nutzer wissen oft nicht, dass auch US-Behörden auf ihre Daten zugreifen könnten.
In der Praxis werden solche Verstöße jedoch selten geahndet. Viele Behörden reagieren nur auf Beschwerden einzelner Betroffener. Solange niemand Anzeige erstattet, bleiben die Aufnahmen meist unbeachtet. Datenschutzbeauftragte kritisieren seit Jahren, dass die Kontrolle privater Überwachung faktisch kaum stattfindet. Auch die Datenschutzkonferenz weist in ihrer Orientierungshilfe zur Videoüberwachung durch nicht öffentliche Stellen auf diese Lücke hin.
Im Februar 2025 warnte auch heise online vor einer neuen Welle privater Videoüberwachung in Deutschland. Die Zahl der installierten Kameras wächst rasant. Und selbst Datenschützer sprechen inzwischen von einer bedenklichen Entwicklung, die zeigt, wie schleichend Überwachung zum Alltag wird und wie wenig Bewusstsein noch dafür vorhanden ist.
Die Stadt als Beobachter
In vielen Städten wird bereits über die Einführung sogenannter Smart City Systeme diskutiert. Diese vernetzen Kameras, Sensoren und Verkehrsanalysen in Echtzeit. Befürworter sehen darin eine Chance, Kriminalität zu verhindern und den Verkehr zu steuern. Kritiker warnen jedoch, dass solche Systeme eine neue Form der Dauerüberwachung schaffen, bei der Bürger zu Datenpunkten werden.
Mit dem Einzug von Künstlicher Intelligenz in diese Systeme dürfte sich das Problem noch verschärfen. Wenn Kameras lernen, Gesichter, Bewegungen und Verhaltensmuster automatisch zu bewerten, verschwimmt die Grenze zwischen Sicherheit und Überwachung. Auch an Bahnhöfen und Flughäfen experimentiert man bereits mit automatischer Gesichtserkennung. Pilotprojekte in Berlin und Hamburg zeigen, wie sich Überwachung in Echtzeit technisch umsetzen lässt. Datenschützer warnen, dass solche Systeme kaum noch zwischen gezielter Fahndung und allgemeiner Beobachtung unterscheiden können.
Die Vision der smarten Stadt klingt modern, effizient und technologisch fortschrittlich. Doch sie birgt das Risiko, dass Algorithmen Entscheidungen treffen, die Menschen gar nicht mehr nachvollziehen können. Wenn Daten fehlerhaft sind oder falsch interpretiert werden, geraten Bürger schnell unter Verdacht, ohne es zu wissen. An diesem Punkt wäre der Weg in Orwells 1984 nicht mehr weit.
Wenn Gewöhnung gefährlicher ist als Technik
Erschreckend ist weniger, dass Überwachung zunimmt, sondern wie selbstverständlich man sie mittlerweile hinnimmt. Viele Menschen akzeptieren Kameras im öffentlichen Raum, solange sie sich selbst nicht betroffen fühlen. Damit verschiebt sich die Grenze des Normalen leise, aber stetig, bis Kontrolle nicht mehr als Eingriff, sondern als Komfort wahrgenommen wird.
Wer heute ein modernes Wohnhaus betritt, wird fast überall von einer Kamera erfasst, sei es im Eingangsbereich, im Aufzug oder auf dem Parkplatz. Das Gefühl der Beobachtung ist längst Teil des Alltags geworden. Viele bemerken es gar nicht mehr, weil Überwachung inzwischen Teil der Infrastruktur ist, so unsichtbar wie WLAN oder die Straßenbeleuchtung.
Kennzeichenscanner – Zwischen Technik und Verantwortung
Ja, die Technik kann helfen, Täter zu finden. Doch sie kann auch Unschuldige treffen, wenn die Mitarbeiter sie ohne Wissen und eine entsprechende Schulung einsetzen. Automatisierung ersetzt keine Ermittlung. Kameras ersetzen kein Denken.
Der Fall aus Colorado und der Kennzeichenscanner Skandal an der Grenze zeigen dasselbe Muster. Wenn man Überwachung ohne Verständnis betreibt, entsteht automatisch Kontrolle ohne jede Verantwortung. Technik braucht Wissen, klare gesetzliche Grundlagen und Menschen, die sie kritisch prüfen.
In Deutschland verhindern strenge Datenschutzgesetze zwar den flächendeckenden Missbrauch. Aber sie schützen nicht vor menschlicher Nachlässigkeit. Vertrauen entsteht nicht durch Kameras, sondern durch Verantwortung. Wer Sicherheit mit Überwachung verwechselt, verliert am Ende beides.




















