Die EU-Kommission will einen Gesetzesvorschlag auf den Weg bringen, der Chat- und Messengerdienste dazu anhält, User-Dateien zu durchleuchten
Eine EU-Verordnung gegen verschlüsselte Chats will die EU-Kommission im Rahmen eines Gesetzespaketes gegen Kindesmissbrauch am 30. März vorstellen. Ein entsprechendes Schreiben von Kommissarin Ylva Johansson an das EU-Parlament benennt bereits erste Eckpunkte der geplanten Regelung. Darüber berichtete ORF-Journalist Erich Möchel bei fm4.orf.at. 39 zivilgesellschaftliche Organisationen erheben in einem offenen Brief bereits ihren Protest gegen die geplante Maßnahme.
Winkt Tabubruch durch Chatkontrolle?
Mit der Begründung, besser gegen Kindesmissbrauch gerüstet zu sein, könnte mit der geplanten EU-Verordnung dann auch die Überwachung verschlüsselter Chats von Messengerdienste nicht mehr länger tabu sein. Die EU will Provider dazu verpflichten, User-Daten schon vor dem Abschicken und Verschlüsseln mittels Client-Side-Scanning zu durchsuchen. Anschließend gleicht man diese Daten mit einer Datenbank ab zum Auffinden von Kindesmissbrauchs-Darstellungen (CSAM).
Der Europaabgeordnete und Bürgerrechtler Dr. Patrick Breyer (Piratenpartei) kommentiert:
“Dieser EU-Big-Brother-Angriff auf unsere Mobiltelefone durch fehleranfällige Denunziationsmaschinen, die unsere gesamte private Kommunikation durchforsten, ist der erste Schritt in Richtung eines Überwachungsstaates nach chinesischem Vorbild. Wird der nächste Schritt sein, dass die Post alle Briefe öffnet und scannt? Organisierte Kinderporno-Ringe benutzen keine E-Mails oder Messenger. Die wahllose Durchsuchung aller Briefe verletzt die Grundrechte und schützt die Kinder nicht. Vielmehr besteht dadurch die Gefahr, dass ihre privaten Bilder in die falschen Hände geraten und Kinder kriminalisiert werden”.
Wehret den Anfängen
Ähnliche Vorstöße der EU-Kommission gab es schon seit 2020. Bereits hier suchte man nach verschiedenen Ansätzen, Kindesmissbrauch in ansonsten vertraulichen, verschlüsselten Datenströmen auszukundschaften. Zudem wies Europaabgeordneter der Piratenpartei Deutschland, Patrick Breyer, im vergangenen Jahr auf eine am 6. Juli 2021 durch die Mehrheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments verabschiedete Chatcontrol-Verordnung hin. Breyer machte auch gleichzeitig auf die Tragweite der geplanten Maßnahmen aufmerksam:
„Die EU will Anbieter dazu verpflichten, alle privaten Chats, Nachrichten und E-Mails automatisch nach verdächtigen Inhalten zu durchsuchen – allgemein und unterschiedslos. Das erklärte Ziel: Kinderpornografie strafrechtlich zu verfolgen. Das Ergebnis: Massenüberwachung durch vollautomatisierte Echtzeit-Messaging- und Chat-Steuerung und das Ende der Geheimhaltung digitaler Korrespondenz.“
Werden sichere Chats zum Kollateralschaden des EU-Gesetzespaketes gegen Kindesmissbrauch?
Angeführt von der Initiative European Digital Rights (EDRi) haben sich 38 weitere zivilgesellschaftliche Organisationen einem Protest gegen den vehement umstrittenen, weiteren geplanten Vorstoß der EU angeschlossen. In einem offenen Brief bringen die Unterzeichner, wie Center for Democracy & Technology (CDT), der Chaos Computer Club (CCC), der Deutsche Anwaltverein (DAV), die Deutsche Vereinigung für Datenschutz (DVD), Digitalcourage, Digitale Gesellschaft und die Electronic Frontier Foundation (EFF), ihre Besorgnis zum Ausdruck, die private Kommunikation von Personen könnte zu einem „Kollateralschaden der bevorstehenden Gesetzgebung“ werden.
Zu bedenken geben sie weiterhin, dass das geplante Gesetzespaketes gegen Kindesmissbrauch auch im Einklang mit den Grundrechten und -freiheiten stehen sollte. Ihre Besorgnis schließt ferner ein, dass die bevorstehenden EU-Gesetzgebung „nicht den Anforderungen der Verhältnismäßigkeit und Legitimität entspricht“.
Tarnkappe.info