Es ist ein Jahr her, dass Snowden mit seinen Enthüllungen über die NSA begonnen hat. Spiegelbest stellt aus persönlicher Sicht dar, was sich geändert hat.
Al-Qaida ist für die Amerikaner das, was die NSA für das Netz ist. Dieser Vergleich kam erst in den letzten Wochen auf. Langsam – ein ganzes Jahr jetzt – ist die Erkenntnis gesackt, dass die NSA der Netzgemeinde auf heimischem Grund den Krieg erklärt hat – so wie Al-Quaida den Amerikanern in New York den Krieg erklärt hat.
Snowden macht der NSA das Leben seit 365 Tagen schwer
Es wird deutlich, dass unsere Gesellschaft im Netz und durch das Netz existiert. Mag sein, dass keine deutsche Partei eine Netzpolitik hat. Es bedeutet aber nicht, dass das Netz unwichtig ist, sondern dass die Parteien den Anschluss an die moderne Wirklichkeit verloren haben. Scheinkontrolle ist Scheinmacht. Wir haben Mitleid mit den Politikern, so wie wir mit früh ausgemachten Verlierern sympathisieren. (Die Dienste mit unqualifiziertem Personal auszustatten – wie es die Deutschen tun – ist jedenfalls ein gangbarer Weg.)
Die nationalen Regierungen – auch die amerikanische – haben die Kontrolle über das Internet nie gehabt und nur scheinbar die Kontrolle über die dort arbeitenden Organe ausgeübt. Nehmen wir an, dass sich Obama und Merkel verbünden. Gälte dies auch für die NSA? Sascha Lobo empört sich in einem lesenswerten Beitrag über den machtlosen Staat. Für mich als kleinem Netzanarchisten ist diese Erkenntnis nicht neu. Die Netzgemeinde steht den Netzdiensten gegenüber – ‚international‘ gegen ‚international‘. Ich sehe keinen ‚Staat‘.
Einheiten, die aus dem Netz entstanden sind, können nicht national sein. Jedenfalls nicht im Kern. (Jedenfalls nicht, wenn sie über qualifiziertes Personal verfügen.) Genauso wenig wie Filesharern mit nationalen Gesetzen beizukommen ist, lassen sich im Netz operierende Dienste kontrollieren. Es gibt keine ‚deutschen‘ Buchpiraten und keine ‚amerikanische‘ NSA. Es gibt schöne Reden und bewegtes Unverständnis, aber das Netz ist so wenig national wie es Meeresströme sind.
Ich möchte vor allem darauf zu sprechen kommen, wie sich das Netz für mich verändert hat. Ganz aus persönlicher Sicht … war das Netz vor Snowden hierarchisch, unzugänglich und überheblich. Auf der einen Seite die Gurus. Geht es noch schlauer? Auf der anderen Seite die dumm anzunehmenden User (= DAU). Geht es noch dümmer? In weiten Teilen herrschte im Netz eine Art Geheimspreche mit dem Zweck der Abschottung von dem digitalen Plebs. Stufenweise ging es nach oben. Irgendwo unter den Wolken – der CCC und solche Netzolympier.
Nun, diese Leute sind kleinlaut geworden, sehr kleinlaut. Es hat sich gezeigt, dass unser Netz von Semiprofessionellen entwickelt wurde, während die NSA still und unbemerkt das fachlich sehr viel bessere Personal eingesetzt hat. Dazu muss gesagt werden, dass die NSA aufklären und entschlüsseln, also reagieren musste, mithin den schwierigeren Part hatte. Am Ende eines Jahres steht die Erkenntis, dass die NSA in allen Belangen überlegen war. Die NSA hat uns alle – die Nutzer und die Entwickler – zu DAUs gemacht. Auch eine bittere Erkenntnis ist eine Erkenntnis …
Nach einem Jahr Snowden sind wir zusammengerückt. Der Grad der Blödheit im Unterschied ist gering – von der NSA aus gesehen. Nachdem Greenwald gesagt hat, dass er PGP nicht einsetzen kann, fiel mit einem Mal das Tabuwort von der Nutzerfreundlichkeit. Greenwald war ja nun ein dämlicher User, aber eben wichtig. Auch in meinem technisch sehr aufgeschlossenen Umfeld wurde die Anwendbarkeit von PGP nun als ein Witz bezeichnet. Das war für mich eine Art Schlüsselerlebnis.
Überhaupt war es ein Jahr des Zusammenrückens. Jeder User ist nun potentieller Feind – von der NSA aus gesehen. Nicht nur wir Filesharer müssen uns vor staatlichen Stellen schützen, jeder Nutzer muss nach Snowden immer daran denken, dass er potentiell verdächtig ist. Es gibt nicht ‚legal‘ und ‚illegal‘ getrennt im Netz – es gibt nur peinlich sichtbar und möglichst unsichtbar. So gesehen verhalten sich alle Nutzer nun, als seien sie Filesharer. Ein schöner Gedanke.
Natürlich passiert etwas. Dieser Blog hier – als Beispiel – wurde auf verschlüsselte Übertragung umgestellt und temporär versenkt. (Warum etwas, das im Blog gelesen werden soll, vorher verschlüsselt übertragen werden muss, erschließt sich mir in diesem Zusammenhang zwar nicht, nun ja …) Es gibt zahlreiche Startups wie Posteo, die zu Stars geworden sind. China verbietet die Nutzung von Windows in seiner Verwaltung. Router werden bald ‚Made in Europe‘ sein. Es tut sich was, im Netz und für das Netz.
Ich finde bei aller Aufgeregtheit vergessen wir, dass die NSA nicht mehr unsichtbar operiert. Ich als angeblicher Buchpirat kann euch versichern, dass ich nur ungern meinen Klarnamen überall lesen würde.
Tja, so seh ich das: In diesem Jahr wurde ein unsichtbarer Jäger zum allseitig Gejagten! Mal schauen, was das zweite Jahr nach Snowden der NSA bringt :)
Bildquelle i42n , thx!
Tarnkappe.info