Der satirische Monatsrückblick, diesmal mit Julian Assange, der Überwachung von Chats und Video-Überwachung in Bergisch Gladbach.
Lange, dunkle, fast schon winterliche Nächte, noch ganz unter dem Eindruck von Halloween. Was gibt es um diese Jahreszeit schöneres, als sich ausführlich mit schaurig-schönen Gruselgeschichten zu beschäftigen? Glücklicherweise mangelt es an diesen beim besten Willen nicht. Vergesst „Ouija“ und „Lights Out“, vergesst die Horrorclowns – am gruseligsten ist doch immer noch das wahre Leben. Das wissen auch viele Politiker, Aktivisten und Prominente und geben sich reichlich Mühe, uns die Albträume nicht ausgehen zu lassen. Unser Monatsrückblick deckt auf, wer in den letzten Wochen für Gänsehaut und Panik sorgte.
Monatsrückblick Oktober: Per Leak durch die Galaxis
Keine Gruselgeschichte, sondern eine Erfolgsstory: WikiLeaks feierte Anfang des Monats sein zehnjähriges Bestehen. Allerdings wissen alle Horrorfilm-Fans: auch und gerade zwischen Torten, Geschenken und niedlichen Kätzchen lauert oft das Grauen. So auch hier? Nun, das ist eine Frage des Blickwinkels.
Zumindest würden Kritiker wohl bemerken, dass der Umgang von WikiLeaks-Chefredakteur Julian Assange mit der Wahrheit mitunter in etwa so kreativ ist wie bei den Gegenstücken aus Hollywood. Realität oder nur eine Schmutzkampagne politischer Gegner? Assanges betont optimistisches Interview, das als einzigen Fehler von WikiLeaks „wir haben gerade kein Geld“ anführt (das ist schon kein Zaunpfahl mehr, sondern eher das ganze NATO-Draht-Konstrukt des kürzlich abgerissenen Flüchtlingslagers in Calais), trägt jedenfalls nichts dazu bei, seinen Ruf in dieser Hinsicht zu verbessern. Kritik wird großzügig umschifft, Fehlentscheidungen klein geredet, Erfolge dafür um so ausführlicher gewürdigt. Zudem drängt sich der Eindruck auf, dass Assanges Ego demnächst eine solche Masse annehmen müsste, dass es als schwarzes Loch erst London und dann die ganze Erde verschlingt… was zumindest ein passabler Science-Fiction-Grusel wäre.
Bei aller Kritik an Herrn Assange und seinem Todesstern-artigen Ego ist natürlich das Fortbestehen und die weitere Aktivität von WikiLeaks zweifellos ein Grund zum Feiern. Gruseliger als alle Eskapaden dieser oft allzu menschlichen Nerds ist die Vorstellung einer Welt, in der WikiLeaks nicht als Korrektiv für die Exzesse und unnötige Geheimnistuerei der Mächtigen fungiert.
Ist der Ruf erst ruiniert, chattet sich’s ganz ungeniert
Typisches Problem der Digital Natives: Mitunter wachen wir nachts schweißgebadet auf mit dem Gedanken, dass irgendwer unsere Browser-History, Chat-Logs oder E-Mails gefunden hat. Völlig egal, ob es nun gewisse kriminelle Handlungen sind, die wir lieber geheim halten wollen, betrunkene Nonsens-Nachrichten, unsere verbesserungswürdige Grammatik und Rechtschreibung oder doch einfach nur die Tatsache, dass wir eigentlich total nette, normale Menschen sind und diejenigen, die uns online für ziemlich draufgängerische Freaks halten uns maßlos überschätzen – irgendwelche Leichen haben wir, was das angeht, alle im Keller. Und sei es nur die Gefahr, dass jemand unseren schlechten Ruf ruiniert.
Wie realistisch dieses Szenario ist? Das können alle Netzaffinen jetzt auf einer Skala von Yahoo! bis Signal bewerten, je nachdem, wie sie so kommunizieren. Bei wem es eher Richtung Yahoo! tendiert, der sollte schon einmal anfangen, Hinweise auf seine illegalen Aktivitäten aus seinen Mails und Chat-Nachrichten heraus zu zensieren – oder aber, je nachdem, ein paar dazu zu erfinden.
Surveillance of the Walking Dead
Nicht nur für Menschen, die gerne chatten und e-mailen, bieten die Überwachungsfantasien unserer Regierung häufig Anlass zum Gruseln. Auch Oma Erna, die WhatsApp wahrscheinlich für eine neue Boyband hält, wird mitunter unversehens zum Opfer, wenn sie mal kurz mit dem Dackel rausgeht. Zum Beispiel, wenn Oma Erna in Bergisch Gladbach wohnen würde. Da nämlich geht es in Sachen Kamera-Überwachung nicht immer mit rechten Dingen zu.
Nun könnten böse Zungen anmerken, dass alleine schon die Vorstellung, im beschaulichen Bergisch Gladbach zu wohnen, zum Gruseln ausreicht. Oder dass die Kameras dort allenfalls den über den Platz wehenden Dornbusch oder aber die ersten Anzeichen einer Zombie-Apokalypse auf die Festplatte bannen könnten, keineswegs aber menschliches Leben. Und zweifellos hätten wie so viele wohl auch diese Gruselgeschichten einen wahren Kern. Dennoch ist des Pudels (oder Dackels) Kern hier zweifellos der ebenso sorg- wie rücksichtslose Eingriff in die Privatsphäre der Bevölkerung. Cineastische und literarische Mahnungen, wie sowas enden kann, gibt es ja zu Hauf.
Sir Correa, to the rescue!
Für so manchen Geek und Nerd ist es wohl der schlimmste Horror, dass das Internet ausfällt. Keine Chat-Kommunikation (ob Yahoo! oder Signal), keine Games und auch keine mehr oder weniger legalen Medien-Angebote. Womöglich ist in Zeiten des Homeoffice noch nicht einmal mehr das Ausüben der eigenen Arbeit möglich.
Und damit kommen wir wieder zu Julian Assange. Dem WikiLeaks-Chefredakteur wurde nämlich von seinen ecuadorianischen Gastgebern kurzerhand der Internet-Zugang gekappt. Grund dafür waren wohl Bedenken, dass WikiLeaks durch ständige kompromittierende Leaks über Hillary Clinton unzulässig in den US-Wahlkampf eingreift.
Brauchen die USA wirklich Ecuador als strahlenden „preux chevalier“ hoch zu Ross, das Schwert zur Verteidigung der Schwachen gezückt? Hat Julian Assange eine nicht minder mittelalterlich anmutende Privatfehde mit Hillary Clinton? Wird, im Gegensatz dazu ganz neuzeitlich gedacht, die Lebensqualität eines Geeks wirklich in MBit/s gemessen, und wenn ja, in welchem Zirkel der wieder ganz mittelalterlichen Hölle befindet sich Herr Assange dann gerade? Ist Donald Trump die Reinkarnation des Sherrifs von Nottingham?
Fragen über Fragen. Vor allem aber interessiert mich eines: was soll die Sperrung von Assanges privatem Internet-Zugang gegen die Veröffentlichung weiterer Leaks bewirken? Er dürfte wohl kaum die Geheimdokumente auf einem USB-Stick in der Botschaft aufbewahren. Das Ganze ist in etwa so, als wollten die Behörden die Veröffentlichung des neuen Sonata-Arctica-Albums verhindern, indem sie einen Tag vor dem Release den Gitarristen festnehmen. Einen tieferen Sinn zu suchen, ist in diesem Fall aber wohl vergebliche Liebesmüh. Wahrscheinlich handelt es sich wieder einmal um Behörden, die schlichtweg das Internet nicht verstanden haben.
Die Glosse bekommt Grüße aus Absurdistan
Habt ihr euch schon hinter dem Sofa verkrochen, oder haltet ihr noch tapfer durch? Ich hoffe, mein kleines Gruselkabinett hat euren Nerven keine bleibenden Schäden zugefügt. Ein bisschen wohlige Gänsehaut ist dagegen natürlich ausdrücklich erwünscht, ebenso wie ungläubiges Lachen und gerne auch kritisches Nachdenken. Schließlich ist die politische Realität ein bisschen wie ein Horrorclown: Humor und Grauen liegen mitunter dicht beeinander. Das gilt nicht nur für Reichsbürger, bei denen man, wie bei der Kinderüberraschung, gleich mehrere Dinge auf einmal bekommt: Alberne Verschwörungstheorien! Und lustige Fantasiedokumente! Selbst verliehene Titel, die Computerspieler ebenso wie die Diktatoren von Bananenrepubliken vor Neid erblassen und alle Anderen vor Fremdscham erröten lassen. Und instabile, faschistoide Menschen, die bei geringer Provokation wild um sich schießen und so ernstes Leid anrichten.
Mit diesen Grüßen aus der BRD GmbH verabschiede ich mich für diesen Monat von euch. Macht es gut, passt auf euch auf und wir lesen uns in einem Monat beim nächsten Monatsrückblick wieder.
Annika Kremer von
Tarnkappe.info