Zeugen sind künftig verpflichtet, Vorladungen der Polizei Folge zu leisten und zur Sache auszusagen: sie haben eine Aussagepflicht.
Mit dem Entwurf des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens wurden nicht nur der Staatstrojaner und die Online-Durchsuchung beschlossen, es sind zudem noch andere, erwähnenswerte Änderungen in Kraft getreten. So soll es eine Aussagepflicht von Zeugen geben.
Bundestag will Aussagepflicht einführen
So ist neu, dass Zeugen künftig verpflichtet sind, Vorladungen der Polizei Folge zu leisten und zu einer Sache auszusagen. „Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung von Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt“. So der Wortlaut.
Für Opfer von Straftaten können Zeugen wichtige Unterstützung leisten. Dennoch war bisher niemand verpflichtet, gegenüber der Polizei eine Aussage zu machen und das war zudem völlig unabhängig davon, ob dem Zeugen darüber hinaus noch besondere Zeugnisverweigerungsrechte (zum Beispiel Verwandtschaft mit dem Beschuldigten) oder Aukunftsverweigerungsrechte (Gefahr der Selbstbelastung) zustanden. Dies galt nicht nur bei der ersten Befragung vor Ort. Auch einen Anhörungsbogen als Zeuge musste keiner beantworten. Ebenso brauchte man zu keinem Vernehmungstermin auf der Polizeiwache zu erscheinen.
Die Rechtsanwälte der Kanzlei Vetter & Mertens führen auf ihrem Blog zur neuen Aussagepflicht aus. „Die große Frage in der Praxis wird zunächst sein, wie konkret dieser Auftrag der Staatsanwaltschaft sein muss. Das Gesetz bleibt hier unglaublich – man könnte auch sagen unverschämt – vage. […] Außerdem hat der Gesetzgeber darauf verzichtet, eine schriftliche Ladung oder eine bestimmte Ladungsfrist einzuführen. […] Denkbar ist weiterhin, dass die Polizei von ihrer Ladungsmöglichkeit auch in einer Art und Weise Gebrauch macht, welche die Lebensgestaltung eines Zeugen erheblich beeinträchtigt.“ Demnach wären viele Fragen dazu noch offen oder nur angedacht, nicht jedes Detail geregelt.
Gesetz hat man „unverschämt vage“ formuliert
Die größte Gefahr in der Neuregelung sehen die Anwälte jedoch in einer Grauzone, die sich mitunter bei Ermittlungen ergibt. „Nämlich dann, wenn nicht ganz klar ist, welche Rolle eine Person eigentlich innehat. Ist sie Zeuge? Oder vielleicht doch schon Beschuldigter? Oder möglicherweise beides, wenn es um mehrere Tatkomplexe geht?“. Diese Frage hinge oft von der Einschätzung eines Ermittlers ab, führen sie weiter aus. Als Personen noch nicht zu einer Aussage gezwungen waren, spielte es keine Rolle für sie, ob sie beschuldigt wurden. Ober ob man sie nur als Zeuge geladen hat. Denn niemand musste auf Fragen des Ermittlers eingehen.
Die Aussagepflicht bringt nun aber die Gefahr mit sich, dass die Vorgeladenen Angaben zur Sache machen, die sie ohne Pflicht zum Erscheinen nie geäußert hätten. Auch der Zeitpunkt, in dem ein Zeuge zum Beschuldigten wird und entsprechend zu belehren ist, ließe sich somit kreativ weit nach hinten verlagern. Dabei könnte man bei einer nicht vorhandenen Audioaufnahme auch nicht mehr nachweisen, dass man den Beschuldigten nicht belehrt hat.
Zeugen können schnell zu Angeklagten werden
Jeder kann bereits innerhalb von Sekunden zum Zeugen werden. Auch völlig unverhofft, denn ganz egal, ob bei einem Unfall, einer Schlägerei oder bei einem Diebstahl – jeder kann einmal in die Situation kommen, eine mögliche Straftat zu beobachten. Nimmt die Polizei die Ermittlungen auf, befragen sie die Zeugen. So wäre das Fazit der Anwälte der Kanzlei Vetter & Mertens: „Umso wichtiger wird es dann sein, dass man die dürftigen Rechte zumindest ansatzweise kennt, die man im Umgang mit der Polizei künftig noch hat“. Bleibt also abzuwarten, welche Folgen die geplante Aussagepflicht haben wird.
Tarnkappe.info