Estland liegt laut der Studie der EUIPO ganz vorne beim Thema Online-Piraterie. Das will das dortige Justizministerium nun ändern.
Laut einer aktuellen Studie der European Union Intellectual Property Office (EUIPO) liegt Estland beim Thema Schwarzkopien mittels Download und Streams EU-weit an erster Stelle. Dem will man jetzt Einhalt gebieten.
Estland plant Einführung von DNS-Sperren
Estland ist das jüngste europäische Land, welches die Einführung eines Systems zur Sperrung von Piratenseiten erwägt. Die Regierung hat die Beteiligten um Beiträge zu einer Änderung des Urheberrechts gebeten, die eine lokale Verbraucherschutzbehörde ermächtigen würde, urheberrechtsverletzende Websites zu sperren. Aktivisten für digitale Rechte befürchten eine weitere Normalisierung bzw. Verschärfung der Internet-Zensur.
In den letzten Jahren hat sich die Sperrung von Websites zu einem der weltweit am häufigsten eingesetzten Mechanismen zur Bekämpfung von Piraterie entwickelt. Die Rechteinhaber haben auch gar keine andere Wahl, als darauf zurückzugreifen, weil alle anderen Maßnahmen schlichtweg ins Leere greifen.
Vor dem Erlass einer einstweiligen Verfügung wird man den Website-Betreibern einige Tage Zeit lassen, um Widerspruch einzulegen. Sollte dies nicht der Fall sein, wird man die Internet-Provider Estlands anweisen, die Sperrmaßnahmen umzusetzen. ISPs, die dem nicht folge leisten, müssen künftig mit Bußgeldern rechnen.
In mehr als vierzig Ländern verhindern Internetdienstanbieter den Zugriff ihrer Kunden auf eine Vielzahl von Piraten-Websites, sei es aufgrund einer gerichtlichen Anordnung oder einer gesetzlichen Regelung. Neuestes Beispiel ist die gigantische Schattenbibliothek Anna’s Archiv, welche kürzlich von italienischen ISPs gesperrt werden musste.
Verbraucherschutzbehörde soll es regeln
Die EU-Länder sind für derartige Maßnahmen besonders aufgeschlossen. Estland erwägt nun einen ähnliches Vorgehen. Das Justizministerium hat eine Initiative vorgelegt, die die Behörde für Verbraucherschutz und technische Regulierung (TTJA) dazu ermächtigen würde, Maßnahmen zur Sperrung von Piratenseiten anzuordnen.
Diese Anordnungen würden lokale Internetanbieter dazu verpflichten, bestimmte Websites zu sperren, um den Zugang unmöglich zu machen. Zwar liegt laut Torrentfreak noch kein vollständiger Gesetzesentwurf vor, doch werden die Beteiligten, darunter Rechteinhaber, Medienorganisationen und Verfechter digitaler Rechte, gebeten, ihre Positionen einzureichen.
Nach Angaben des Justizministeriums führt die derzeitige Situation aufgrund der mangelnden Regulierung zu einem erhöhten Piraterieaufkommen. Das deckt sich, wie gesagt, auch mit der dritten Studie der EUIPO. Man hofft so allen Ernstes, die Einnahmen der Rechteinhaber wieder anzuheben.
Internet-Gesellschaft in Estland protestiert
Während die meisten Rechteinhaber über den Vorschlag erfreut sein werden, ist die Estonian Internet Society der Meinung, dass der Vorschlag zu weit geht. Die Gruppe für digitale Rechte hat einen Trend zu mehr „Zensur“ in dem Land festgestellt. Man sieht diesen Vorschlag des Justizministeriums als nächsten Schritt in diese Richtung.
Vorstandsmitglied Märt Põder erklärte gegenüber ERR.ee, dass es unklar sei, ob diese Maßnahmen irgendeine Wirkung haben werden. Nachdem man zuvor die Blockade russischer Propaganda eingeführt hat, ist die gezielte Bekämpfung von Piratenseiten eine „verwirrende und inakzeptable Eskalation„. Dies sei gefährlich für die Freiheit des Internets, auch weil der Plan besteht, neben der DNS-Sperren auch invasivere IP-Sperren einzusetzen.
Põder glaubt, Estland stehe auch deswegen so weit oben beim Thema Schwarzkopien, weil dort kaum jemand ein VPN* einsetzt, um die eigene IP-Adresse zu verschleiern. Das wird aber eine der Folgen des geplanten Vorgehens sein. Wenn die Surfer ihre Lieblingsseiten nicht mehr erreichen können, werden viele einen Proxy oder VPN einsetzen.
Die NGO wird ihre Bedenken an die Regierung weitergeben, die nach Ablauf der Frist im nächsten Monat mit der Prüfung aller Antworten der Interessengruppen beginnen wird. Dies wird letztendlich darüber entscheiden, ob der Plan vorankommt oder nicht.
In den letzten Jahren hat die estnische Internet-Gesellschaft heftig gegen jegliche Sperrung in ihrem Land protestiert. Derzeit sind nur Online-Casinos formell verboten, aber auch altersbedingte Pornosperren stehen auf der Tagesordnung, und jetzt auch die Sperrung von Piratenseiten.
„Diese Initiative des Justizministeriums kommt für die Internetnutzer in Estland völlig überraschend, und das ist nicht gut„, so Põder abschließend.
Übrigens führt Estland nicht alle Negativstatistiken an. Bei der PISA-Studie steht das Land im europäischen Vergleich ganz vorne an der Spitze. Und dies bekanntlich ganz im Gegensatz zum ach so modernen Deutschland.
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