Es hatte sich einiges verändert bei der letzten Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses mit BND-Präsident Gerhard Schindler und Hartmut Pauland.
Nachbetrachtung. Es hatte sich einiges verändert bei der letzten Sitzung des NSA-Untersuchungsausschusses mit BND-Präsident Gerhard Schindler und dem Abteilungsleiter der Technischen Aufklärung im Bundesnachrichtendienst, Hartmut Pauland. Ein enormes Zuschauer- und Medieninteresse, alle Zuschauerplätze waren voll besetzt. Auf dem Flur standen mindestens 19 Fernsehkameras, die Presse kampierte sogar in Campingstühlen auf dem Flur vor dem Europasaal im Paul-Löbe-Haus des Bundestages. An gleicher Stelle war Ende letzten Jahres das Medieninteresse kaum noch messbar neben jenen, die dort als kleine Gemeinschaft regelmäßig erscheinen.
Die Kameras lichteten sich zusehends bis der Autor zusammen mit dem Politik-Fernsehsender Phoenix allein mit der Kamera auf dem Flur stand. Irgendwann war auch Phoenix verschwunden, zum Untersuchungsausschuss in der Edathy-Affäre, dort wo alle anderen Kameras jener Tage zu finden waren. Und beinahe wäre das Thema NSA-Affäre langsam aber sicher aus der Öffentlichkeit verschwunden. Totgelaufen, aus die Maus.
“Ausspähen unter Freunden” war eigentlich tabu
Doch dann die überraschende Wende. Plötzlich stand der Verdacht im Raum, der Bundesnachrichtendienst (BND) könnte höchst selbst der NSA dabei geholfen haben, Wirtschaftsspionage gegen Deutschland zu betreiben. Dies geschah offenbar mittels dem BND untergeschobene Selektoren, also den Schlagworten, die derzeit durch alle Medien laufen. Gemeint sind damit im Prinzip nichts anderes als „Suchbegriffe“. Letzteres ist dann doch technisch etwas komplizierter, aber zeigt schon sehr deutlich, dass die Medien etwas vereinfachen, damit sich der Durchschnittsdeutsche auch etwas darunter vorzustellen vermag. Und so bleibt eben jener mit der Frage zurück, warum man das dann eben nicht gleich Suchbegriffe nennt. Egal, interessant ist der Umstand, dass eben jene Selektoren schon seit Monaten im NSA-Untersuchungsausschuss behandelt werden und so neu vieles davon nicht ist.
Die Angelegenheit sorgte erst in dem Moment für erneutes Aufsehen, als die Wirtschaftsinteressen und der Satz von Angela Merkel mit dem „Ausspähen unter Freunden“ zum Bumerang wird, weil man es da selbst wohl nicht so genau genommen haben könnte. So als wäre es eigentlich völlig egal, ob die Millionen Bundesbürger, die sich längst in ihrer Ohnmacht abgefunden haben, und ihre Grundrechte völlig egal wären. Nun sind die Kameras wieder da und mehr als je zuvor, selbst die Glaubwürdigkeit der Kanzlerin und ihr Stuhl geraten ins Wackeln, weil man im Bundestagswahlkampf den irreführenden Anschein erweckt hatte, ein No-Spy-Abkommen mit den USA würde konkret verhandelt.
Bundesregierung bemüht sich um Schadensbegrenzung
Nun mag man all das als Nebensächlichkeit betrachten, doch bei näherem Hinsehen bildet genau jenes wiedererweckte Medieninteresse die Rahmenbedingungen, in denen man die Geschehnisse und Aussagen von Gerhard Schindler und Hartmut Pauland vor dem Untersuchungsausschuss betrachten und analysieren muss. Mittlerweile ist die NSA-Affäre, die mit Edward Snowden begann, im Kanzleramt und ganz konkret bei der Bundeskanzlerin angekommen und so ist das Interesse einer Schadensbegrenzung für die Bundesregierung allgegenwärtig. Wie blank die Nerven liegen, merkt man auch daran, dass das Führungspersonal der Unionsfraktion dem Koalitionspartner über die Medien unverholen die Möglichkeit von Neuwahlen in Aussicht gestellt hat, um diesen zu ermahnen es bei der Aufklärung nicht zu bunt zu treiben.
Viele Eigeninteressen spielen eine Rolle. Während die Einen nach Schadensbegrenzung eifern, kommt das politische Berlin auf der anderen Seite teilweise einem Haifischbecken gleich, in das man gleich literweise Blut gekippt hat. Die Erwartung fetter politischer Beute führt zu einer Dynamik, die immer schriller wird. Mittendrin der Bundesnachrichtendienst, der aktuell nirgendwo eine Lobby hat und wegen seiner Geheimhaltungspflichten den Prügelknaben der Nation ohne Verteidigungsmöglichkeit spielen muss, unabhängig davon, ob das nun im Einzelfall und in der Härte auch durch die Fakten gerechtfertigt wäre.
Anders als die BND-Mitarbeiter, die sich gegenwärtig von der Politik ganz sicher verlassen fühlen, verfügt die politische Führungsebene im Kanzleramt, die die Kooperation mit der NSA gewollt und auch zu verantworten hat, über die politische Erfahrung und über genug Mitarbeiterstäbe, jene Rahmenbedingungen genauestens zu analysieren. Dort weiß man sehr genau, was die gestressten Journalisten wollen und für ihre Berichterstattung benötigen. Knackige Sätze und eine Story, die sich dem Zuschauer und Leser gut verkaufen lässt. Am Besten noch frühzeitig vor dem Sendetermin, denn für eine zeitaufwendige Recherche komplexer Sachverhalte hat ja ohnehin keiner mehr Zeit, wenn einem die Redaktion im Nacken sitzt. Und so wird bedarfsgerecht geliefert. Nicht ohne den gewünschten Spin gleich mitzuliefern.
NSA-Untersuchungsausschuss gut inszeniert
Nachdem BND-Präsident Gerhard Schindler den Aufzug in die 4. Etage des Paul-Löbe-Hauses nimmt und dort von all jenen oben genannten Kameras in Empfang genommen wird, posiert Schindler für sie stehend vor Beginn der Vernehmung. Sogar ein kurzes Lächeln huscht dabei über sein Gesicht, wohl wissend, dass es in wenigen Augenblicken jenes Bild sein wird, das zu diesem Thema über alle Sender läuft und in allen Zeitungen zu finden sein wird.
Bedenkt man all das, wird einem die Inszenierung des Moments erst richtig deutlich. Wer glaubt, dass die knackigen Sätze, die all jene Medien gierig verbreitet haben, nicht mit genauestem Kalkül gewählt wurden, übersieht all jene Rahmenbedingungen, die das Setting liefern, in denen der Untersuchungsauschuss zur Bühne wird. Zum Beispiel, dass längst in der Abteilung 6 des Bundeskanzleramtes – jener Abteilung, die dort für den Bundesnachrichtendienst zuständig ist – eine „Projektgruppe NSA-Untersuchungsausschuss“ die Kuh vom Eis holen … Aufklärung betreiben soll. Dazu werden dann unter anderem auch regelmäßig Treffen mit Zeugen des Untersuchungsausschusses im Kanzleramt anberaumt und diese vom Kanzleramt auch vor ihrer Aussage nach Berlin eingeflogen.
Und aus selben Aufklärungsinteresse heraus, unterbricht der Leiter dieser Projektgruppe, Regierungsdirektor Wolff, den NSA-Untersuchungsausschuss regelmäßig in dessen öffentlichen Sitzungen mit dem Einwand, dass diese oder jene Frage nicht vom formellen Untersuchungsgegenstand des Ausschusses gedeckt sei oder bringt ähnliche Einwände vor. So oft, dass er in dieser Sitzung selbst vom Ausschussvorsitzenden der CDU, Patrick Sensburg, scharf belehrt wurde. Selbst bei Sachverhalten, die längst in Zeitungen behandelt wurden, unterbrach Wolff auch in dieser Sitzung wieder den Abgeordneten Ströbele, um den formellen Einwand vorzubringen, dass die Information trotz dessen Veröffentlichung weiterhin als geheim eingestuft sei.
Regierungsdirektor Wolff als Schleusenwärter
Wolff wirkt dabei auf den Besucher in etwa so wie ein Schleusenwärter, der versucht das bei Flut über sein Wehr getretene Wasser zurückzuholen. Aber das ist ihm egal, denn er hat einen Auftrag, den er verfolgt und dieser besteht eindeutig nicht darin, die von der Kanzlerin suggerierte Aufklärung der Öffentlichkeit umzusetzen. Dagegen wirkt es natürlich geradezu heroisch, wenn Gerhard Schindler seinerseits Fehler im BND einräumt, wohlgemerkt ohne persönliche Verantwortung zu übernehmen und schon gar nicht indem er die Kanzlerin dabei weiter in Bedrängnis bringt. Das versteht sich zwar von selbst, aber genau solche Sätze sind es, die den wartenden Medienvertretern den Schmierstoff für ihre Berichte liefern.
Und so wird dann auch von BND-Präsidenten Schindler die Selektorenprüfung als „von Anfang an unzureichend“ bezeichnet oder der Mediensatz des Tages geprägt, dass Deutschland abhängig von der NSA sei und nicht umgekehrt. Das passt natürlich gut, wenn man das Bedrohungsszenario eines möglichen Terroranschlages durch Verärgerung der NSA heraufbeschwören und nach Möglichkeit allen ein Interesse an der Nichtaufklärung einreden möchte.
Gerhard Schindler: bloß nicht festnageln lassen!
Während Gerhard Schindler den Medien das liefert, was sie brauchen, merkt man jedoch in der Fragenrunde der Abgeordneten, dass lediglich die Argumentationslinie der Regierung bestätigt werden soll und Schindler ein fähiger Jurist ist, denn es gibt kaum Aussagen, die keine Konjunktive, Bedingungsvorbehalte und Notausgänge beinhalten. Teilweise überschlägt Gerhard Schindler sich dabei, möglichst viel davon in eine seiner Antworten auf die Fragen der Abgeordneten einzubauen oder möglichst komplexe Antworten zu liefern, die kaum einer versteht und auch garantiert nicht medial transportiert werden. Kaum etwas, wo man ihn wirklich drauf festnageln könnte. Und so wirkt es auf den Beobachter auch unfreiwillig komisch, wenn Schindler felsenfest behauptet, dass es eben doch konkrete Verhandlungen mit den USA bezüglich eines No-Spy-Abkommens gegeben habe, weil er ja selbst mit den Amerikanern verhandelt habe, er aber auf Nachfrage zu den genauen Umständen nur nichtöffentlich etwas sagen könne und wolle.
Das hilft in erster Linie der Kanzlerin, ohne dass man seine Aussage konkret einer Überprüfung unterziehen könnte. Zu durchschaubar für den Beobachter, aber die komplexen Sachverhalte interessiert die Medien nicht, da diese – man ahnt es – in in wenigen Minuten oder Textzeilen weitaus schwieriger zu vermitteln wären als die geäußerten griffigen Sätze. Und wenn Schindler dann doch mal konkrete Aussagen tätigt, muss man genau hinhören, denn als er mit breitem Lächeln einen Geheimschutzverstoß ankündigt und sagt, dass man den Élysée-Palast in Paris nicht ausspäht, schließt das eben auch nicht aus, dass man Glasfaser-Transitleitungen nach Frankreich anzapft. Die darauf folgende Frage von Konstantin von Notz „Seit wann?“ beschreibt dabei auch sehr gut, dass im NSA-Untersuchungsausschuss mit allen Haken und Ösen gearbeitet wird, denn das Spiel mit verschiedenen Zuständen auf der Zeitachse gehört regelmäßig zum festen Repertoire der BND-Zeugen.
Geheimhaltung als Deckmantel: demokratische Grundwerte über Bord geworfen
Eins hat sich aber trotz des wechselnden Medien- und Zuschauerinteresses für den NSA-Untersuchungsausschuss nicht verändert: Die peinlichen Momente, die den Beobachter des Untersuchungsauschusses regelmäßig erstaunen und facepalmieren lässt, wenn den demokratischen Grundwerte der Bundesrepublik die Schamesröte in das Gesicht getrieben wird. Das peinliche Schweigen auf Fragen, die ständigen Versuche des Herrn Wolff vom Kanzleramt und dem für die BND-Zeugen engagierten Star-Anwalt Jonny Eisenberg bei jeder sich bietenden Gelegenheit sensible Punkte von der Öffentlichkeit fern zu halten und in die nichtöffentliche Sitzung zu verlagern und vieles mehr, das sich manchmal eben nur schwer transportieren lässt, aber den Beobachter fassungslos zurücklässt.
Waren es vor Monaten BND-Diplom-Mathematiker, die sich im NSA-Untersuchungsausschuss plötzlich an keine konkrete Zahl mehr erinnern konnten oder Telekom-Mitarbeiter, die zwar Glasfaserleitungen für den BND anzapften, aber auf mehrfache Nachfrage nicht erinnern wollten, was Ihr Job ist und was sie eigentlich seit Jahren tun, gab Abteilungsleiter Hartmut Pauland kurz vor Gerhard Schindler den Märtyrer, der von allem nichts gewußt habe und auch trotz aller berechtigter Fragen für einen Abteilungsleiter und der Snowden-Enthüllungen bis März 2015 keinen Schimmer von dem Tun seiner Untergebenen haben wollte, obwohl diese wochenlang Selektoren prüften und löschten und schon 2005 die Ablehnungsdatei für Selektoren angelegt hatten.
Selbst die Snowden-Enthüllungen hätten nicht dazu geführt, dass man in der Führungsetage des BND mal auf die Frage gekommen sei, ob das mit den Selektoren wirklich alles in Ordnung ist, die man von der NSA erhält. Da liegen 10 Jahre behauptetes Nichtwissen vor einem, trotz aller Anhaltspunkte. Wenn das so stimmen würde, müsste man sich mit dieser BND-Führung und dem Kanzleramt wirklich Sorgen um die Sicherheit Deutschlands machen, aber nicht wegen möglicher Terroristen, sondern weil wichtige sicherheitspolitische Aufgaben von Leuten wahrgenommen werden, die offenbar nicht mal merken würden, wenn eben diese Terroristen mit einem Schild „Vorsicht Bombe“ vor Ihnen stünden. Aber dem ist natürlich nicht so, sondern hier handelt es sich um höchst intelligente Personen mit jahrelanger Berufserfahrung und das macht diese Aussagen eben auch so schreiend unglaubwürdig.
Pauland opfert sich
Nach 42 Dienstjahren meinte der ehemalige Regiments- und Batallionskommandeur wohl, sei es nun seine Aufgabe sich für die nötige Brandmauer zum Kanzleramt ehrenvoll ins Messer werfen zu müssen, denn er äußerte auf die vor Unverständnis geprägte Frage, ob er von dem Satz „Melden macht frei“ schon einmal etwas gehört habe, dass er von der zugrunde liegenden Geisteshaltung nichts halte, denn damit würde man sich nur der Übernahme von Verantwortung entziehen. Er gab damit durch die Blume zu verstehen, dass es Ausdruck eines militärischen Selbstverständnis und Ehrbegriffs sein könnte, warum lieber ein Nichtwissen behauptet wird, anstatt Anderen die Verantwortung weiterzureichen. Wie ehrenhaft das vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestages ist, mag man selbst beurteilen.
Pauland, der bei der Elektronischen Kampfführung in Frankenberg begann und u.a. über die Geheimdienstabteilung beim NATO-Hauptquartier, im Bundesverteidigungsministerium als Leiter des Militärischen Nachrichtendienstes landete, bevor er Abteilungsleiter der Technischen Aufklärung des BND wurde, fing jedenfalls zu Beginn merklich stolz an zu berichten, dass der „Metadatenzentrierte Ansatz“ beim BND maßgeblich auf ihn zurück ginge, jedoch wurde er im Laufe der Vernehmung immer leiser, so leise, dass man ihn teilweise kaum noch hören konnte und er selbst lange Pausen brauchte, um eine Antwort auf die Fragen zu finden. Der SPD-Abgeordnete Christian Flisek fand die Darstellung sogar so unglaublich, dass er Pauland an dessen Wahrheitspflicht erinnerte und stellte offen in den Raum, ob womöglich eine mögliche Beeinflussung die Aussage erklären könnte. Flisek sprach vom praktizierten „3-Affenprinzip“ und „Schwarzem Peter„-Spiel.
Selbst gestandene Abgeordnete tun manchmal schwer daran, diese Vorgänge im Untersuchungsausschuss in die richtigen Worte zu kleiden. Nach der Sitzung, die in der Nacht unterbrochen werden musste, drückte das Flisek auf Nachfrage jedoch sehr schön mit der Aussage aus: „Ja, man stellt sich hier viele Fragen. Man schlägt sich ja wirklich mit der Hand vor die Stirn, wenn man sieht, dass Sonderprüfungen in Unterabteilungen stattgefunden haben, stichprobenhafte Sonderprüfungen, die dann doch zu umfangreichen Ergebnissen geführt haben, umfangreiche Selektorenzahlen kritisch waren und das nicht dazu geführt hat, dass das einerseits nach oben gemeldet wurde an die Spitze und damit auch nicht ans Kanzleramt als Aufsichtsbehörde und andererseits das auch nicht zum Anlass genommen wurde, hier umfassendere Kontrollen durchzuführen“ [Anmerkung: Dies ist auch in unserem Videobericht zu finden].
BND-Präsidentschaft vorbei
Das Kapitel BND-Präsident ist nun erst einmal vorbei, doch stehen bereits die nächsten prominenten Minister und Kanzleramtsmitarbeiter auf dem Terminplan. Aus den Medien hört man, dass viele EU-Nachbarländer für die NSA vom BND ausgespäht worden sein sollen. Im Ausschuss hat das leider niemand eingeräumt, aber das Thema bleibt spannend. Bleibt zu hoffen, dass das mediale Interesse, die damit verbundene Hektik der Verantwortlichen und last, but not least die vielen Kameras so schnell nicht von der Bildfläche verschwinden werden. Man wird sehen, welche Konsequenzen der NSA-Untersuchungsausschuss am Ende haben wird. Auch oder gerade für Gerhard Schindler.
Tarnkappe.info