Die Demo Odyssey der Schweizer Gruppe Alcatraz ist für viele Amiga-Nutzer bis heute eine der kreativsten und besten Schöpfungen überhaupt.
Für viele Interessenten war Odyssey damals eine große Motivation, sich den Homecomputer Amiga zu kaufen. Dieses Demo holt damals wie heute wirklich alles aus Commodores Hardware heraus. Und Hand aufs Herz: Wer möchte es den Erstellern nicht gleichtun?
Erklärung: Was versteht man unter dem Begriff Demoszene?
Die Demoszene entstand in der Zeit der Heimcomputer, als in vielen Haushalten ein 8-Bit-Computer in Form eines C64 u.v.m. stand. Die Mitglieder der Demoszene produzieren ohne kommerziellen Hintergrund digitale Kunst in Form von ausführbaren Programmen, die auf allen möglichen Computern laufen.
Das können aber auch Spielkonsolen, Digitalkameras, Notepads, moderne Lampen, smarte Kühlschränke oder andere Geräte sein, die der Hersteller dafür gar nicht konzipiert hat. Bei den verlinkten Beispielen handelt es sich um Umsetzungen des uralten Computerspieles Doom, welches man eigenhändig konvertiert hat.
Manche Demos (ganz kleine nennt man in der Szene Intros) wirken wie Musikvideos aus den 80er Jahren, andere wiederum nicht. Die Produktionen können seit jeher ganz unterschiedlich aussehen. Entscheidend über den Erfolg oder Misserfolg ist sowohl die Kreativität der Grafiker und Musiker als auch die Fähigkeiten der Programmierer, die an der Entstehung des Demos beteiligt sind.
Dänemark im Jahr 1991: Odyssey kitzelt das Maximum heraus
Kurz vor Ende des Demo-Wettbewerbs 1991 von „The Party“ dachten sicher viele Besucher, die Entscheidung über den Sieger sei eigentlich schon längst gefallen. Besser als Hardwired von Crionics & The Silents oder Voyage von Razor 1911 konnte es eigentlich nicht mehr werden. Doch weit gefehlt. Kurz vor Ende zeigte man auf der Leinwand ein Science Fiction-Epos namens Odyssey, das etwa 45 Minuten dauert.
Hornet, PGCS, Greg und Zoltar setzten neue Maßstäbe, auch wenn sie immer wieder dafür kritisiert wurden, dass ihre Story insgesamt zu lange brauchte, um genügend Fahrt aufzunehmen. Stets wurden neben dem vielen Lob kritische Stimmen laut, die das Demo als zu langatmig bezeichnet haben.
Die Rückkehr fand bei YouTube statt, Blender sei Dank!
Und nun, fast 32 Jahre später, hat sich ein Deutscher namens Alexander Scheel aufgemacht, diesen Meilenstein mit modernen Mitteln neu zu interpretieren. Und das allerdings, ohne seinen Charme zu zerstören. Klingt unmöglich? Ja, fast. Aber es ist ihm gelungen.
Scheel, der mit der ganzen Demoszene überhaupt nichts am Hut hat, stellte sein Kunststück im März 2023 auf YouTube vor. Er arbeitete ganz alleine und brauchte viele Monate, um Odyssey mit dem Open Source 3D-Werkzeug Blender neu zu interpretieren. Das Ergebnis ist ohne Übertreibung der pure Wahnsinn!
Es macht einfach Spaß, sich die uralte Geschichte, die sich um Unterdrückung und den einsamen Aufstand eines einzelnen Raumschiffpiloten dreht, noch einmal anzuschauen. Doch diesmal ist Odyssey auch ein optisches Erlebnis, was sich hier und heute sehen lassen kann. Eine Person hat das Ganze auf die Beine gestellt, wie kann das denn sein? Wir haben Alexander Scheel vor Kurzem ausführlich zu seinem digitalen Kunstwerk befragt.
Lars Sobiraj: Hallo! Vielleicht stellst Du Dich für den Anfang einfach mal kurz mit ein paar Eckdaten vor.
Alexander Scheel: Hallo. Also dann erstmal zu mir. Ich heiße Alexander Scheel, bin 45 Jahre alt und Vater von zwei Kindern. Ich bin Industriemechaniker und meine Hobbys sind Gaming und 3D-Modelling und -Rendering.
Lars Sobiraj: Wie kommst Du ausgerechnet auf ein Demo, welches bereits Anfang der 90er Jahre veröffentlicht wurde? Um das Ganze in Dänemark live mitbekommen zu haben, müsstest Du ja schon die 40 überschritten haben. Oder anders gefragt: Welchen Bezug hast Du zur Demoszene?
Was hat Dich dazu motiviert, so viel Arbeit in Dein Remake zu stecken? Um zu beweisen, dass es möglich ist? Oder vielleicht, um ein wenig Werbung für die Software Blender zu machen?
Odyssey wurde zum Synonym für die Fähigkeiten des Amiga
Alexander Scheel: Ich war damals etwa 14, als ich die Odyssey Demo von einem Kumpel kopiert bekommen habe. Ich war komplett überwältigt, dass die „Freundin“ (Amiga heißt auf Spanisch Freundin) zu so einer Wucht in der Lage war. Somit war es recht schnell meine absolute Lieblings-Demo.
Als ich älter wurde und keinen Amiga mehr hatte (Schande über mich 🙂 ), war Odyssey und vor allem die Musik immer mein Synonym für den Amiga. Als ich mich dann immer intensiver mit 3D-Grafik und 3D-Rendering beschäftigt habe, kam infolge auch recht schnell die Idee „irgendwann“ mal ein Remake von Odyssey zu machen.
Ich hatte sogar vor ca. fünf Jahren schon einmal einen Versuch gestartet, war aber mit der Qualität nicht zufrieden und habe es dann verworfen. Tatsächlich war es meine Frau, die mich angespornt hat, es noch einmal zu versuchen.
Lars Sobiraj: Wie viele Stunden beziehungsweise Tage hast Du an denn am Remake gearbeitet? Hattest Du irgendwelche Hilfe dabei?
Alexander Scheel: So ganz genau kann ich das gar nicht sagen, wie lange alles gedauert hat. Das erste 3D-Model habe ich im Oktober 2021 gebaut und von da an waren es etwa zwei bis vier Stunden täglich modellieren und animieren – mit kleinen Pausen.
Video besteht aus 70.000 Bildern bei 25 fps
Und immer, wenn ich nicht am PC war, habe ich die Einzelbilder rendern lassen. Da lag die Zeit je nach Szene zwischen 15 Sekunden und im schlimmsten Fall 40 Minuten pro Bild. Insgesamt waren es fast 70.000 Bilder für die 40 Minuten bei 25 fps (frames per second = Bilder pro Sekunde).
Die größte Hilfe, die ich hatte, kam von meiner Frau. Sie hat mich immer wieder ermutigt, es (Odyssey) durchzuziehen, egal wie lange es dauert. Sehr viel Hilfe habe ich aus Youtube-Tutorials bezogen, da sehr viele Szenen absolutes Neuland für mich waren, wie z.B. Charaktere, Sterne und Planeten.
Lars Sobiraj: Du hättest ja auch einen der bei YouTube verwendeten Remixes anderer Musiker verwenden können. Warum hast Du Dich für die Originalmusik entschieden? Wegen der Authentizität? Oder haben Dir die modernen Umsetzungen nicht so gut gefallen?
Alexander Scheel: Zur Musik. Mein Ziel war es, so nah wie möglich am Original zu bleiben, vom Schnitt und von den Szenen. Deshalb bot sich der originale Sound an, da die Remixe nicht bei jeder Szene von der Länge oder vom Loop gepasst hätten. Ich habe selbst überhaupt kein Talent für Musik und kenne auch niemanden, der da hätte aushelfen können.
Einsatz von Open Source Software als unerreichbares Ziel
Zur Software: Neben Blender kamen Gaea und Terresculptor für die Erstellung der Landschaften, Krita zur Bildbearbeitung und JSplacement für manche Texturen zum Einsatz. Bis auf Blender und Krita sind das alles keine Open-Source-Tools.
Lars Sobiraj: Gibt es dafür keine quelloffene Software, oder spielte das für Dich keine Rolle?
Alexander Scheel: Es spielt eine große Rolle für mich, dass die Software Open Source ist, da ich weiß, wie übertrieben teuer Bildbearbeitungs- und 3D-Software üblicherweise ist.
Ich habe Terresculptor 2.0 benutzt, welches „Open Use“ ist und bin dann auf die free Trial Version von Gaea umgestiegen. Dort war die einzige Limitierung eine Auflösung von maximal 1024×1024 (Bildpunkte) für die hightmap, was schon etwas knapp ist, aber noch okay war für meine Bedürfnisse.
Jsplacement war zumindest bis vor einigen Monaten noch „free“, aber den Link für den Download hat man aufgrund irgendwelcher Streitigkeiten gelöscht.
Odyssey Remake 2023: Begeisterte Reaktionen bei YouTube
Lars Sobiraj: Warum hast Du das Video nicht über Ostern auf der Demoparty Revision veröffentlicht, die jetzt gerade läuft? Du hättest damit bestimmt beim Wild Demo Wettbewerb einen der ersten drei Plätze gewonnen.
Alexander Scheel: Leider wusste ich nichts von der Demoparty Revision.
Lars Sobiraj: Oh echt? Die Reaktionen bei YouTube waren ja überwältigend. Hast Du Kontakt zu Alcatraz-Mitgliedern, hast Du Dich darum bemüht? Hast Du eventuell Feedback von ihnen erhalten?
Alexander Scheel: Es ist das erste Mal, dass ich mit meinem Hobby in die Öffentlichkeit gehe und wollte zuerst einmal sehen, wie weit ich da mit YouTube komme. Leider habe ich keinen Kontakt zu Alcatraz Mitgliedern, würde mich aber riesig freuen, wenn jemand von Ihnen das Remake sehen würde. Ich habe mich bisher aber auch noch nicht darum bemüht. Ich wollte nicht so direkt mit der Tür ins Haus fallen. 🙂
Alexander würde gerne bald das nächste Projekt starten
Lars Sobiraj: Gibt es noch mehr Amiga Demos, die Dich reizen, irgendwann mit Blender & Co. umzusetzen? Wenn nicht, wie sehen ansonsten Deine weiteren Pläne aus?
Alexander Scheel: Also, jetzt nach der ganzen Arbeit nehme ich mir eine kleine kreative Auszeit vom Rendern. Aber ab und zu kribbelt es schon wieder in den Fingern, ein neues Projekt zu starten. Aber etwas Genaueres ist da noch nicht geplant.
Lars Sobiraj: Dann erstmal vielen Dank für Deine Mühe mit dem Remake und den Antworten auf meine Fragen.