Studie: Welche Portale sind führend beim illegalen IPTV? In welchen Ländern ist das Interesse am größten? Und wer sind die Helfershelfer?
Welche Portale sind beim Thema illegales IPTV ganz vorne dabei? In welchen Ländern ist das Interesse an solchen Diensten am größten? Welche Unternehmen unterstützen die Online-Piraten bei ihrem Vorhaben? Volker Rieck hat diesen Graubereich untersucht und dazu kürzlich eine neue Ad-hoc Studie veröffentlicht.
Im November 2018 erschien die letzte Ad-hoc Studie zum Thema illegale IPTV Streams, erstellt von FDS File Defense Service. Mittlerweile geht das Thema trotz gelegentlicher Erfolge von Strafverfolgungsbehörden weiter durch die Decke. Zu lukrativ muss das Trittbrettfahren und Weiterverkaufen von fremden Inhalten sein, dafür gehen die Betreiber offenbar auch große Risiken ein.
Ein kürzlich bekannt gewordener Fall betraf in erster Linie Sportrechte der Sender Sky und DAZN, die in erster Linie an Konsumenten in Italien verkauft wurden. Auf 65.000 „Nutzer“ kam allein der italienische Dienst, den die Maßnahme betraf und er setzte damit eine Million Euro pro Jahr um.
Piraterie – ein Problem, das fern in der Welt stattfindet? Unsinn.
Wenn man Politiker auf die Problematik anspricht, dann herrscht oft das berühmte Schulterzucken vor. Viele politische Entscheider verweisen dann gern einmal auf irgendwelche Offshore-Länder, bei denen man ja ohnehin nichts machen könne. Dass das grundfalsch ist, haben wir immer wieder belegt. Letzter spektakulärer Fall war der Filehoster Share-Online.biz, der mit einer Briefkastenanschrift in Belize aufwartete, das Geschäft wurde allerdings u. a. aus Aachen heraus betrieben. Auch die Server, die Share-Online benutzte, standen in Europa, genauer gesagt in den Niederlanden. Die Webseite selbst lag bei einem Rechenzentrum in Frankreich. Belmopan ist eben nicht Aachen, womit die Betreiber für die Justiz greifbar waren.
Man muss also gar nicht in die Ferne blicken, das Geschäft mit Piraterie brummt vor unserer eigenen Haustür. Haftungsregeln aus der Steinzeit des Internets, z. B. die E-Commerce Richtlinie der EU, machen solche Geschäfte erst möglich.
Die Gesetze sorgen auch dafür, dass es Rechenzentren gibt, die sich auf das Geschäft mit der Piraterie spezialisiert haben. Das Geschäftsmodell wurde um die Regelungen herumgebaut, die aus einer Zeit stammen als die Rechteverletzung die Ausnahme war und nicht die Grundlage für allerlei Geschäfte. Kunden werden durch diese „Spezialisten“ anonyme Zahlungssysteme angeboten und Anfragen von Rechteinhabern stumpf ignoriert. Beliebt sind auch sogenannte Re-Seller Programme, bei denen ein Datacenter zwar den ersten Kunden kennt, aber nicht mehr dessen Kunden. Das Wort sicherer Hafen bekommt hier eine eigene Bedeutung. Solange es kein Umdenken in Sachen Haftung und Verantwortung im Netz gibt, wird sich an der Situation wenig ändern.
Illegales IPTV – die Player
Als Basis der Zahlen dieser kleinen Studie diente eine Datenbank, in der die Ergebnisse von Crawlern zusammengetragen wurden, die in den letzten drei Jahren etwa 430.000 sogenannte M3U Listen von ca. 50 spezialisierten Webseiten eingesammelt haben. Diese M3U Listen (M3U ist die Abkürzung für MP3 URL) sind eine Art Kanalliste bzw. Playliste, die dann weiter auf zig Kanäle/Sender = Streams führt. Sie führt also den Sender (ein Server in einem Rechenzentrum) und den Empfänger (einen geneigten User) zusammen. In diesem Fall waren es etwa 39 Millionen Streams, die extrahiert und jeweils einem Rechenzentrum zugewiesen wurden. Sie bilden die Basis dieser Studie. Es liegt in der Natur der Sache, dann immer nur ein Teil dieser Streams auch online ist.
Nutzer mit kostenlosen Streams anfixen
Der Anteil von aktiven Streams in dieser Studie betrug zum Stichtag 21.07.2020 ca. fünf Millionen, also 15% der gesamten erfassten Streams. Das Distributionssystem von illegalen IPTV Angeboten beruht auf dem Prinzip des kostenlosen Anfütterns. M3U Listen bzw. die Streams dahinter sind immer nur für eine kurze Zeit online und werden auf den Distributionsseiten nahezu täglich erneuert. Spätestens zum Wochenende hin aber werden die M3Us dann allerdings nicht mehr erneuert. Wer z. B. den begehrten Livesport am Wochenende außerhalb der legalen Angebote sehen will, der soll bitte ein Abonnement bei den illegalen Angeboten abschließen. So ist das Kalkül. Die temporär verfügbaren M3U Listen dienen also als Anreiz ein Abonnement abzuschließen, denn das manuelle Einpflegen solcher täglich neuen M3U Listen in bestehende System wie spezielle Set-Top Boxen ist zudem mühsam. Einmal bezahlt, entfällt der Stress.
Diese Abonnements sind meist deutlich günstiger als Angebote der legalen Anbieter. Kein Wunder, es müssen ja schließlich keinerlei Rechte eingekauft und bezahlt werden. Wie man an dem oben genannten Fall aus Italien sieht, funktioniert das sehr gut und wohlgemerkt, der Fall aus Italien ist nur einer von denjenigen, die bekannt werden. Trotzdem tauchen immer wieder neue Angebote neuer Anbieter auf, es lockt ja ein lukrativer Markt.
1. Wo liegt das Problem? Vor der Haustür!
Als erste Betrachtung stellen wir hier dar, in welchen Ländern die Rechenzentren sitzen, aus den zum Zeitpunkt der Erstellung aktive (also online verfügbare) IPTV Stream kommen. Bereits hier wird deutlich, dass die EU und die USA fast 80% Anteil erzielen.
Großbritannien wurde bei der Betrachtung zur EU gezählt, weil sie die Werte der letzten 3 Jahre darstellen. Man muss also gar nicht in die Ferne schweifen. Die EU dominiert. Unter „Others“ haben Länder wie die Ukraine, Russland und Kanada den Löwenanteil. Sie stellen bereits fast 20% dar.
2. Wo liegen die Länder-Hotspots?
Die obrige Darstellung betrifft die Einzelländer der Rechenzentren. Hier liegt die USA mit 27% vorn, dann folgen Frankeich (16%), Deutschland mit 14% und die Niederlande (11%).
3. Die Distributionsseiten für illegales IPTV anhand der Anzahl der M3U Listen
In der nächsten Betrachtung geht es um die Distributions-Seiten, die solche M3U Listen verteilen. Die erste Gewichtung betrifft die Anzahl der M3U Listen, die auf diesen Seiten zu finden waren bis 21.7.2020. Es wurden dazu 50 solcher Seiten untersucht. Die Top 10 solcher Seiten repräsentieren bereits einen Anteil von 83% gemessen an den M3U Listen. In unserer Datenbank befinden sich ca. 430.000 M3U Listen.
4. Die Distributionsseiten für illegales IPTV anhand der Anzahl der Streams
Da eine M3U Liste meist mehrere Kanäle bzw. Streams beinhaltet, wurde der Anteil der Distributionsseiten zusätzlich nach Anzahl der Streams gewichtet. Wieder sind es die Zahlen bis einschließlich 21.07.2020. Auch hier stellen die Top 10 bereits einen beträchtlichen Anteil – nämlich 92% der Streams, Basis sind hier ca. 5 Millionen aktive Streams. Allerdings tauchen teilweise auch andere Seiten auf als bei der reinen Anzahl der M3U Listen. Der Spitzenreiter IPTVfreem3ulist.com ist hingegen identisch.
5. Wer bietet den Distributionsseiten eine Heimat?
Welche Rechenzentren geben den Top 10 Distributionsseiten Unterschlupf? Diese Frage ist nicht ganz eindeutig zu beantworten, dann die Top 10 benutzen allesamt das Content Delivery Network Cloudflare. Dabei legt sich Cloudflare wie ein Schirm über die eigentliche Quelle der Seite, das tatsächliche Rechenzentrum. Eigentlich ist es als Schutz vor Denial of Service (DDoS) Attacken gedacht.
Es gibt aber einen schönen Zusatznutzen für die Cloudflare-Kunden: Von außen ist nämlich nicht mehr zu sehen, wo die Seite tatsächlich gehostet wird und das ist der eigentliche Zweck, ein solches Netzwerk wie Cloudflare zu benutzen. Wer auch immer seine Rechte verletzt sieht, der hat keine Chance herauszufinden, wer derjenige ist und welches Rechenzentrum benutzt wird. Auskunftsansprüche verpuffen so. Valide Auskünfte erteilt Cloudflare nicht, das sogenannte Onboarding der rudimentärsten Dienste braucht bei Cloudflare ohnehin nur eine Mailanschrift. Man kann also mit einer beliebigen Mailanschrift Kunde dort werden und Dienste in Anspruch nehmen. Einzige Ausnahme ist der IP-Leak, sofern etwas nicht richtig konfiguriert wurde. Das kommt auch schon mal in diesem Bereich vor.
Wie sich das mit der ICANN, der obersten Internetselbstregulierung, und deren „Know Your Customer“-Regel verträgt, das ist ein Rätsel. Nachfragen zur tatsächlichen IP beantwortet des US Unternehmen Cloudflare in der Regel lediglich mit der Nennung des Rechenzentrums aber nicht der konkreten IP Adresse. Das ist aber ein Dead-End, es wäre in etwas so, als wenn man das Hochhaus benennt, in dem jemand wohnt, dort sind aber keine Klingelschilder am Eingang. Das Unternehmen scheint seit dem letzten Jahr nicht wirklich verstanden zu haben, welche Rolle es bei der Unterstützung illegaler Geschäfte spielt. Über die Aktivitäten haben wir aber ausführlich berichtetet. Das Unternehmen hat auch Kenntnis davon. An der Unternehmenspolitik von Cloudflare hat dies kaum bis gar nichts geändert.
6. Die Rechenzentren und Intermediäre der illegalen IPTV Streams
Cloudflare spielt aber noch eine weitere unrühmliche Rolle, wenn man sich das Hosting der Streams ansieht. In der Regel umfasst der „Schutz“ durch Cloudflare nur den http bzw. https Verkehr. Andere Protokolle müssen bezahlt werden, dazu gehören auch IPTV Streams. Schauen wir uns also einfach mal an, wie der Anteil von Cloudflare bei den Streams ist. Wichtig ist zu erwähnen, dass Cloudflare die Server nicht hostet aber die Streams durch seine Netzwerke laufen lässt. Wir betrachten nur die Streams, die am 21.07.2020 online waren.
Das Unternehmen Cloudflare ist nach dieser Betrachtung Markführer. Wohlgemerkt, die Kunden, die hier Cloudflare nutzen, um illegal IPTV Streams zu vertreiben, sind zahlende Cloudflare Kunden! Man erkennt aber auch einige gut bekannte Namen aus der Europäischen Datacenter-Szene wie Hetzner oder OVH. Aber auch renommierte Unternehmen wie Amazon oder Akamai sind zu finden, wenn es um die Verteilung illegaler IPTV Streams geht.
Wo liegt die Lösung?
Die Lösung der Problematik von illegalen IPTV Streams ist im Grunde nicht schwer. Da das Distributionssystem (M3U verteilende Seiten und IPTV Streams verteilende Server) von der mangelnden Zuweisung von Haftung profitiert, muss genau dort angesetzt werden. Lasche und daher unbrauchbare Regelungen wie die ICANN sie mit „Know Your Customer“ zwar propagiert, aber nicht wirklich kontrolliert, sind wertlos. Sie sind zudem ein sicheres Zeichen dafür das die Selbstregulierung des Internet nicht funktioniert, weil es in kleinster Weise Konsequenzen hat. Unterorganisationen der ICANN wie RIPE in den Niederlanden sehen sich nach eigenen Worten nicht als bestrafende Organisation. Auch nachweislich falsche Informationen führen dort zu gar nichts, es gilt das Prinzip der Krähen, die sich keine Augen aushacken untereinander.
Es wäre höchste Zeit für die Politik dieses Scheitern zu erkennen und den Akteuren klare Regeln an die Hand zu geben. Dazu gehört auch ein Haftungsregime. Nur dann werden sich Phänomene wie die massenhafte Verletzungen von Rechten wirksam eindämmen lassen. Momentan ist das Internet immer noch ein Eldorado für parasitäre Geschäftsmodelle. Da nützen Erfolgsmeldungen wie die aus Italien leider nur sehr wenig. Das Grundproblem bleibt nämlich bestehen.
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