Polizeiautos
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Bildquelle: Piqsels

Hausdurchsuchung wegen angeblicher Fake-Bewertungen und Stalking

Die Frankfurter Polizei hat am Freitag mit ihrer Hausdurchsuchung den Vogel abgeschossen. Es geht um schlechte Google Bewertungen & Stalking.

Die Frankfurter Polizei hat letzten Freitag bei ihrer Hausdurchsuchung im wahrsten Sinne des Wortes den Vogel abgeschossen. Dort wurde ein junger Mann durchsucht. Man beschuldigt ihn, mit mehreren Fake-Accounts bei Google schlechte Bewertungen abgegeben zu haben. Der von der Rufschädigung betroffene Zahnarzt hat zudem von Lieferando ca. 50 Mal Essen geliefert bekommen, obwohl er nichts bestellt hat.

Vermutungen eines Zeugen ausreichend für eine Hausdurchsuchung

Hausdurchsuchung in Frankfurt. Bereits am 04.01.2021 stellte die Ermittlungsrichterin U. am Amtsgericht Offenbach den Durchsuchungsbeschluss aus. Bei den Behörden hatte sich zuvor ein Zahnarzt gemeldet. Dieser verdächtigt einen ehemaligen Mieter, er habe sich der Nachstellung (Stalking) nach § 238 StGB schuldig gemacht. Zwischen den beiden Personen kam es vor Monaten zu einer außergerichtlichen Auseinandersetzung wegen Forderungen des früheren Mieters. Die Sache ist für den Durchsuchten kein Spaß. Das Strafmaß ist abhängig von der Schwere der Vorwürfe, die man ihm später nachweisen kann. Sollte jemand das Leben eines Dritten mittels Stalking gefährdet haben oder es kam zu schweren Gesundheitsschädigungen, so sind im Höchstfall Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren möglich.

Nach den vorherigen polizeilichen Ermittlungen entstand bei der zuständigen Staatsanwaltschaft (warum auch auch immer) der Verdacht, der Tatverdächtige habe seit Juni 2020 „wiederholt und beharrlich schlechte Internetbewertungen über die Arbeit“ eines Zahnarztes abgegeben. Dafür soll er diverse Fake-Accounts bei Google genutzt haben, um die Bewertungen authentisch aussehen zu lassen.

Mehr als 50 Essensbestellungen sollen zudem vom Verdächtigen getätigt worden sein, um den Zahnarzt zu nerven. Keine davon hat der Zahnarzt, der als Zeuge in dieser Angelegenheit fungiert, aufgegeben. Fraglich nur, warum Lieferando den ungewollt Belieferten nicht in der ganzen Stadt auf ihre schwarze Liste gesetzt hat. Dann hätte sich das Szenario nach wenigen Versuchen nicht mehr wiederholen können.

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Stalker hat Handynummer bei eBay angegeben

Doch damit nicht genug. Dem jungen Mann wirft man außerdem vor, er habe die Mobilfunktelefonnummer des Zeugen missbraucht, um darüber bei eBay Waren zum Verkauf anzubieten. Oder besser gesagt, so zu tun. Die Kaufinteressenten haben daraufhin immer wieder beim Zahnarzt angerufen, um ihr Interesse zu bekunden oder um Fragen zu den Produkten zu stellen. Der Tatverdacht beruht laut Durchsuchungsbeschluss alleine auf den Angaben des Zeugen und seines Verteidigers.

In seiner Funktion als Zahnarzt wurde der Zeuge beim Tatverdächtigen nicht tätig. Lediglich die juristische Auseinandersetzung war für ihn Anlass genug, den jungen Mann aus Frankfurt anzuzeigen. Die vielen schlechten Rezensionen bei Google stellen für ihn eine Rufschädigung dar, weswegen er sich eigentlich hätte zivilrechtlich an den „Täter“ wenden müssen. Doch er zog es vor, ihn zu verleumden. Das zog zwei Monate nach Ausstellung des Durchsuchungsbeschlusses dann die Hausdurchsuchung nach sich.

Polizei verhielt sich bei der Hausdurchsuchung widerrechtlich

Beim Eintreffen der Polizei verweigerte man dem Tatverdächtigen das Hinzuziehen von jeglichen Zeugen. Es fand nach Aussage des Durchsuchten keine Belehrung statt, was ebenfalls rechtswidrig ist. Im Protokoll vermerkten die Polizeibeamten, der Durchsuchte sei mit der Maßnahme einverstanden gewesen. Doch der Mann hat der Durchsuchung sofort widersprochen. Seinen Anwalt durfte er nicht kontaktieren. Die Begründung war so simpel wie abstrus. Schließlich habe er jetzt ja kein Handy mehr, mit dem er seinen Rechtsanwalt anrufen könne. Innerhalb seiner privater Räumlichkeiten dufte er sich zudem nicht frei bewegen. Gegen seinen Willen hielt man ihn im Flur auf dem Boden sitzend fest, bis man die Durchsuchung beendet hatte.

Sie können Ihren Anwalt nicht anrufen, das Handy haben wir doch!

Doch die rechtswidrigen Maßnahmen der Polizisten gehen noch weiter. So hat man den Tatverdächtigen mit sexuellen Sprüchen verhöhnt. Er müsse jetzt sofort seine Unschuld beweisen, forderte man ihn auf, nachdem man seine teils verschreibungspflichtigen Medikamente gefunden und beschlagnahmt hatte. Doch zu einer Kooperation ist der Mann gar nicht verpflichtet. Lediglich muss er die Durchsuchung ablaufen lassen ohne sie zu stören.

Beschlagnahmt: leere Fensterumschläge, Vitamintabletten & vom Hausarzt verschriebene Medikamente

Beschlagnahmt wurden bei der Hausdurchsuchung unter anderem Briefumschläge mit Fenstern und Einschreiben mit Rückschein-Vorlagen. Dies seien allesamt Utensilien, mit denen der Mann Drogen an seine Kunden verschicken würde, vermutete man lautstark. Der Durchsuchungsbeschluss belief sich aber gar nicht auf den Konsum oder Handel mit BTM-pflichtigen Stoffen. Auch hat man keine Zufallsfunde wie Drogen oder Medikamente finden können. Es ist also fraglich, wie dieser Zusammenhang konstruiert werden konnte. Korrektur: Es wurden auch uralte Medikamente gefunden, die tatsächlich BTM-pflichtig waren. Doch aufgrund der geringen Menge bzw. dem Alter der Präparate war eigentlich sofort ersichtlich, dass sich diese Tabletten nicht für den Schwarzmarkthandel eignen würden.

Seine Tabletten gegen epileptische Anfälle hat man ebenfalls mitgenommen. Der Beschlagnahmte bat darum, ihm seine vom Arzt verschriebenen Medikamente vor Ort zu lassen. Wie soll man an einem Freitag nach 12 Uhr an ein neues Rezept kommen, fragte sich der Mann. Laut seiner Aussage war diese Problematik den anwesenden Polizisten „egal“. Man hat es ihm sogar verboten, seine dringend notwendige Tagesdosis einzunehmen, um epileptische Anfälle zu vermeiden. Auch harmlose Magentropfen und frei erhältliche Vitamin D-Tabletten hat man ohne jegliche Begründung mitgenommen.

Bargeld und Goldmünzen eingesackt

Zudem haben die Polizisten zahlreiche Wertgegenstände mitgenommen, die mit den Tatvorwürfen genauso wenig gemeinsam haben. Darunter Ladekabel für das Smartphone, eine Smartphone-Hülle, eine Powerbank, Armbanduhren, Goldmünzen und Bargeld. Die stichwortartige Liste über die beschlagnahmten Gegenstände geht über elf Seiten! Nach Angaben des Betroffenen hat man am Freitag Waren im Gesamtwert von 100.000 Euro mitgenommen. Relevant für eine Beschlagnahmung wären einzig die Smartphones, Datenträger und das Laptop gewesen. Doch alle Datenträger waren mit Veracrypt verschlüsselt. Die jeweiligen Passwörter hat der Beschuldigte bei der Durchsuchung nicht offenbart.

Womit konnte man den Anfangsverdacht erhärten?

protokoll hausdurchsuchung

Der angebliche Stalker hat einen Anwalt eingeschaltet, der im ersten Schritt bei der zuständigen Staatsanwaltschaft die Akteneinsicht beantragen wird. Bis der in Frankfurt wohnhafte Mann seine Wertgegenstände wieder in Empfang nehmen kann, wird wohl noch etwa neun Monate dauern. Wieso man ihn angezeigt hat bzw. die Polizei einen Zusammenhang zwischen Mietstreitigkeiten und dem systematischen Stalking des Arztes herstellen konnte, ist ihm schleierhaft. Er wusste zwar etwas von den negativen Bewertungen bei Google. Er hat damit aber nach eigenen Angaben nichts zu tun.

Am Telefon sagte er uns, er sei froh darüber, dass er sich in der Vergangeheit häufiger die Videos von Udo Vetter angesehen hat und zumindest in etwa wusste, wie er sich verhalten musste. Doch die Situation war für ihn derart belastend, dass er sich auf Forderungen zur Wahrung seiner Rechte kaum konzentrieren konnte. Das kommt uns aus eigener Erfahrung doch recht bekannt vor. Die Polizei konnte mit der Hausdurchsuchung zumindest erreichen, dass der junge Mann seinen Glauben an den deutschen Rechtsstaat voll und ganz verloren hat. Sorry. Aber dazu kann man nur sagen: Glückwunsch!

Wir werden über den Fortgang dieses Falles berichten.

Tarnkappe.info

Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Außerdem brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, seit 2014 an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert.