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Polizei fordert von Gesundheitsämtern Daten von Corona-Infizierten

Laut dem Innenministerium Baden-Württemberg nutzt die Polizei Daten des Gesundheitsamts über Corona-Patienten. Das Vorgehen stößt auf Kritik.

Bereits in mehreren Bundesländern listet die Polizei Daten von Menschen auf, die sich mit dem Corona-Virus infiziert haben. Eine entsprechende Aufforderung erging an die Gesundheitsämter, diesbezügliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Gemäß Recherchen von Netzpolitik.org sind Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Bremen davon betroffen. Datenschützer schlagen Alarm.

Gesundheitsämter werden zu Daten-Weitergabe an Polizeien veranlasst

Tarnkappe.info Lars Sobiraj
Polizei Bergisch Gladbach

Daten mit Klarnamen von Corona-Patienten sowie deren Kontaktpersonen nutzen die Polizeien derzeit, um sich bei Einsätzen schützen zu können. Solche relevanten Daten über positive Tests auf das Coronavirus liegen bei den zuständigen Gesundheitsämtern vor. In Excel-Dateien werden neben dem Namen und der Anschrift, Angaben zum Geburtsdatum, des Geschlechts oder des positiven Coronavirus-Tests-Datums festgehalten. Folglich hat Mecklenburg-Vorpommerns Gesundheitsminister Harry Glawe (CDU) die Gesundheitsämter der Landkreise angewiesen, die Polizei über die Wohnorte der Corona-Infizierten zu informieren. Er hatte eine täglich 16 Uhr zu übermittelnde Liste angefordert. Ein entsprechendes Schreiben liegt dem NDR vor.

In der getroffenen Anordnung beruft sich Glawe auf das Sicherheits- und Ordnungsgesetz (SOG) des Landes. In einer Begründung der Maßnahme heißt es, die Pandemie mit „dem größten Erfolg“ bekämpfen zu wollen. Im Rahmen der „Gefahrenabwehr“ wäre es von Bedeutung, dass die Polizei mit den angeforderten Informationen versorgt werde. Insbesondere gehe es darum zu erfahren, ob sich an einem Einsatzort möglicherweise eine mit Corona infizierte Person aufhalte.

Fehlende Schutzkleidung für Polizei rechtfertigt Daten-Weitergabe?

Hans-Jürgen Kristein, Landeschef der Gewerkschaft der Polizei, Landesbezirk Baden-Württemberg e.V. (GdP), bekundet: „Uns fehlen Informationen von Infizierten, wenn wir bei Einsätzen ausrücken“. Da es der Polizei an Schutzkleidung fehle, wären sie auf diese Informationen angewiesen. Detlef Werner, ranghöchster Polizeivollzugsbeamte in Baden-Württemberg, informiert, dass die Informationen nach Erhalt umgehend gelöscht würden, „weil wir sie dann für unsere Arbeit nicht mehr benötigen“. Auch Innenminister Lorenz Caffier (CDU) befürwortet das Vorgehen. Eine Notwendigkeit ergebe sich aus einer Fürsorgepflicht des Dienstherrn, um das Ansteckungsrisikio für die Polizisten zu senken.

 

Ärztekammer verweist auf Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht

Robert Koch-InstitutAllerdings gibt es bei dem Vorgehen massive datenschutzrechtliche Bedenken. Die Ärztekammer verweist auf einen Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht. Andreas Crusius, Präsident der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, gibt zu bedenken, dass schließlich kein gesetzlicher Notstand ausgerufen worden sei, der diese Maßnahme rechtfertigen würde. Zudem wäre das Vorgehen mit einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden. Er verweist darauf, dass es sich bei den Angaben um sensible Gesundheitsdaten handele. Diese bedürften ausschließlich einer verschlüsselten Weitergabe an einen klar definierten Verteilerkreis. Ferner erschließe sich Crusius auch der Sinn der Maßnahme nicht. Immerhin wären Amtsärzte im Bedarfsfall 24 Stunden am Tag erreichbar. Eine anlassbezogene Daten-Weitergabe im begründeten Einzelfall an die Polizei wäre somit abgesichert. Allerdings halte er es für wenig sinnvoll, pauschal eine allgemeine Liste zu übersenden. Schließlich wäre diese bereits zum Zeitpunkt der Erstellung schon nicht mehr aktuell.

Datenschützer vergleicht angeordnete Maßnahme mit „Dammbruch“

Stefan Brink, Datenschutz-Beauftragter von Baden-Württemberg führt datenschutzrechtliche Bedenken an. Eine Listen-Herausgabe der Gesundheitsämter an Polizei und Ordnungsämter käme für ihn einem „Dammbruch“ gleich, gibt er der Stuttgarter-Zeitung an:

„Wen sollen wir noch alles informieren: die Feuerwehr, die Sanitäter, die Gerichtsvollzieher, die Steuerfahndung? Da droht ein Dammbruch.“

Gegenüber Netzpolitik.org erklärt er:

„Im Einzelfall und insbesondere bei Anhaltspunkten kann es rechtlich möglich sein, dass die Polizei solche Gesundheitsdaten bei den Gesundheitsämtern anfordert. Allerdings nicht in dem Maß, dass die Polizei alle Infizierten-Daten bei allen Gesundheitsämtern abruft. […] Wir brauchen auch keinen Kompromiss, sondern eine Einhaltung unserer Rechtsordnung. Solche Infizierten-Listen haben bei der Vollzugspolizei nichts verloren. Sie müssen, wenn sie dort in rechtswidriger Weise hingereicht wurden, sofort gelöscht werden. […] Es wäre absurd, wenn Vollzugskräfte umgekehrt in Fällen, wo keine Information über eine Infektion vorliegt, keine Schutzmaßnahmen treffen würden.“

Die Dunkelziffer bei den Coronavirus-Infektionen sei schließlich viel zu hoch, um sich im Einsatz auf die Angaben der Gesundheitsämter verlassen zu können. Brink meint, das Infektionsschutzgesetz biete keine ausreichende juristische Grundlage für diese vollumfängliche Daten-Weitergabe. Dort stünde lediglich, dass die Ämter bei einer konkreten Gefahr solche Informationen an Dritte herausgeben könnten. „Hier geht es aber darum, das sich die Polizei im Vorfeld informieren will, ob da potenziell eine Gefährdung besteht.“

 

Auch Sozialministerium übt Kritik

Das Sozialministerium steht dem Vorgehen ebenfalls ablehnend gegenüber. Ein Sprecher kommentiert entsprechend.

„Wir sehen das außerordentlich kritisch und haben die Gesundheitsämter noch mal darauf hingewiesen. Wir teilen die Kritik des Datenschutzbeauftragten.“

Zur Verdeutlichung der Position sei ein Schreiben an die Ämter gegangen. Darin fordert das  Sozialministerium die Gesundheitsämter auf, solche Daten nicht weiterzugeben.  Demnach dürfen der Ortspolizei nur solche Informationen zugehen, falls ein Betroffener gegen die vom Gesundheitsamt angeordnete Quarantäne verstoße.

Noch kritisch zum Thema äußert sich der SPD-Fraktionsvize Sascha Binder: „Es gibt keine ausreichende Rechtsgrundlage für die Weitergabe dieser sehr sensiblen Gesundheitsdaten an die Polizei im großen Stil“. Statt solche massiven Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte von Bürgern vorzunehmen, solle die Landesregierung lieber für eine ausreichende Schutzausstattung der Polizei sorgen.

Nach der Intervention der Datenschützer hätte man bereits in Bremen und Baden-Württemberg die Daten-Übermittlung vorerst wieder gestoppt. Datenschützer halten die Vorgänge aufgrund fehlender Rechtsvorlage zum Teil für illegal.

Foto FunkyFocus, thx!

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Über

Antonia ist bereits seit Januar 2016 Autorin bei der Tarnkappe. Eingestiegen ist sie zunächst mit Buch-Rezensionen. Inzwischen schreibt sie bevorzugt über juristische Themen, wie P2P-Fälle, sie greift aber auch andere Netzthemen, wie Cybercrime, auf. Ihre Interessen beziehen sich hauptsächlich auf Literatur.