ecall
Bildquelle: ec.europa.eu, thx!

eCall: uns droht unterwegs eine permanente Dauerüberwachung

Zum 1. April geht in ganz Europa ein neues System namens eCall an den Start. Dieses garantiert eine permanente Überwachung des Fahrzeuges.

Unfall auf einer einsamen Landstraße, Fahrer ohnmächtig: Künftig soll das Auto in solchen Fällen automatisch Hilfe rufen. Zum 1. April geht in ganz Europa ein neues System an den Start. Und nein, das Thema eCall ist leider kein Aprilscherz, die entsprechende Nachricht ging schon vor mehreren Tagen durch die Medien. 

eCall-Pflicht in Europa: Segen oder Fluch?

Nach mehr als 15 Jahren Vorlauf wird die Notruf-Automatik am 31. März für alle neu zugelassenen Automodelle (nicht Neuwagen) in Europa Pflicht. 2015 wurde die Verordnung beschlossen. Das heißt, dass alle Neumodelle von diesem Zeitpunkt an mit der Notruftechnik ausgestattet sein müssen, um eine Vertriebsgenehmigung in den 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu erhalten. Die Regelung betrifft nur solche Modelle, die ab April 2018 auf den Markt kommen sollen. Neuwagen, deren Bauart auf ältere Modelle ohne den Auto-Notruf rekurrieren, müssen die Hersteller nicht mit dem eCall-System nachrüsten. Auch Gebrauchtwagenhändler sind nicht zur Nachrüstung verpflichtet. Die Gesetzesregelung gilt vorerst nur für Personenkraftwagen und leichte Nutzfahrzeuge. Nach drei Jahren ( bis 2021 ) nach der Einführung, soll die EU-Kommission anhand der gesammelten Erfahrung entscheiden, ob es sinnvoll ist, die Pflicht auf Lkws und Busse auszuweiten.

Mehr als 25.000 Menschen sterben jährlich bei Verkehrsunfällen in der Europäischen Union, 135.000 werden schwer verletzt. Das neue System eCall soll künftig viele von ihnen retten. Die EU erwartet sich sehr viel von der Neuerung, und auch die Autoindustrie und der ADAC begrüßen sie. Mit 1. April müssen in allen Neuwagen eSIM-Karten verbaut sein. Die Absichten sind edel: Bei Unfällen sollen die Rettungskräfte schneller vor Ort sein. So sollen Autos etwa Hilfe holen, wenn sich die Airbags bei einem Unfall auslösen. Daraufhin spricht der Bordcomputer oder – falls noch ansprechbar – der Fahrer mit der Rettungsleitstätte unter der Rufnummer 112.

Was benötigt das neue Notrufsystem?

eCall benötigt Empfänger für GPS- und Galileo-Ortungsdaten, eine Mobilfunkantenne, ein Steuergerät mit fest verbauter SIM-Karte, eine Verbindung zum Airbag-Steuergerät und eine Freisprechanlage. Idealerweise verfügt das System auch über eine Pannenruf-Taste, damit bei rein technischen Defekten nicht die 112-Zentralen belastet werden.

ecallWelche Daten übermittelt das System?

Wird ein Notruf automatisch oder manuell abgesetzt, erreichen folgende Daten die Rettungsleitstelle:

  • Zeitpunkt des Unfalls
  • Auslöseart: manuell oder automatisch
  • die 17-stellige Fahrzeugidentifizierungsnummer (FIN)
  • Antriebsart (z.B. Benzin, Diesel, Gas, Elektro) und Fahrzeugklasse
  • Fahrzeugposition
  • die letzten zwei Fahrzeugpositionen (Längen- und Breitengradunterschiede in Bezug zur aktuellen Fahrzeugposition)
  • Fahrtrichtung des Autos
  • Anzahl der Insassen (sofern die Sicherheitsgurte angelegt wurden)
  • optionale Zusatzdaten (nicht festgelegt; können beispielsweise eine IP-Adresse enthalten, unter der weitere relevante Daten oder Funktionen abrufbar sind).

Kann man eCall eigentlich deaktivieren?

Es ist nicht vorgesehen und für einen Laien voraussichtlich auch nicht möglich, das bordeigene eCall -System zu deaktivieren. Denn der eCall ist technisch oft tief im Infotainment-System verankert und verfügt nicht unbedingt über ein separates Steuergerät. Er ist bei neuen Fahrzeugmodellen Bestandteil der Typzulassungsprüfung. Wird aus dem Fahrzeug etwas entfernt, das Bestandteil der Typzulassung war (wie Katalysator, ABS oder auch eCall), so verliert es die Betriebserlaubnis im öffentlichen Straßenverkehr. Bei einem Unfall riskiert man den Versicherungsschutz, und bei einer Hauptuntersuchung könnte die Plakette verwehrt werden.

Alte Fahrzeuge müssen also nicht nachgerüstet werden?

Nein. Eine Pflicht dazu gibt es nicht. Dennoch können Autofahrer ihr Auto selbstständig mit einem Notfallsystem ausstatten. Viele Versicherungen bieten dazu einen Unfallmeldestecker, der mit dem 12-Volt-Anschluss des Zigarettenanzünders kompatibel ist. Modernere Fahrzeuge können die Bluetoothfunktion nutzen. In Kombination mit einer Anwendung für Smartphones können so im Notfall ebenfalls automatische Notrufe ausgelöst werden. Allerdings ist nicht jedes Smartphone mit dem System kompatibel. Verbraucher können dies prüfen, indem sie mit ihrem Mobiltelefon folgende Webseite besuchen: Die fortschreitende Technisierung der Autos hat eine größere Abhängigkeit von der Funktionalität der winzigen Platinen und Elektroschaltkreise zur Folge. Nur Fachmänner können noch eine Reparatur vornehmen. In der Hobby-Garage ist die Instandhaltung der Hightech-Fahrzeuge kaum noch möglich.

Kosten sind noch relativ unklar

Bis zur kompletten Umsetzung von eCall werden die genauen Kosten erfahrbar sein. Aktuell wird das System von verschiedenen Herstellern wie Bosch, Continental oder Peiker weiterentwickelt und gefertigt.
Der eCall-Service soll laut Angaben der EU kostenlos sein. Für den Einbau des Systems schätzen die Initiatoren, dass auf Verbraucher Kosten in Höhe von weniger als 100 Euro zukommen werden. Auf welche Weise die Autohersteller das Sicherheitssystem umsetzen werden, bleibt noch offen. Ebenfalls noch in der Diskussion ist, wie die Kosten für den Notruf mit den jeweiligen Mobilfunkanbietern abgerechnet werden. Denn für die Übertragung der Daten benötigt man das GSM-Mobilfunknetz. So ist außerdem unklar, wie bei Datenroaming abgerechnet wird. Diese Fragen stellen sich, wenn ein Unfall nicht im Heimatland der Unfallopfer, sondern im europäischen Ausland passiert.

Mit eCall droht der transparente und gläserne Autofahrer

Die Autoindustrie will die Technik auch für Zusatzangebote nutzen. Denkbar ist eine Ausweitung der SIM-Kartennutzung auf Entertainment Angebote, direkt angeboten durch die Autohersteller, wie es bereits teilweise ohne „eCall“ angeboten wird. Damit kann man das Fahrzeug zum rollenden Überwachungsgerät umbauen. Datenschützer warnen vor Überwachungsrisiken die nur schwer einzuschätzen sind. Denn wie jedes Gerät ist der „eCall“-Computer wohl hackbar. Aber auch der Staat und Firmen könnten Chancen zum Abhören wittern.

Experten warnen schon länger davor, dass sich nicht nur Smartphones, sondern auch Fahrzeuge zunehmend zu mobilen Datenspeichern entwickeln. So erfassen moderne Autositze schon jetzt das Gewicht des Fahrers – neuere Modelle sogar die Herzfrequenz. Der Bordcomputer speichert sämtliche Kontaktdaten des Smartphones und erinnert sich an die letzten 100 Parkplätze. Doch die Industrie ist längst weiter: Einzelne Fahrzeuge von BMW verschicken schon jetzt über eine Telefonkarte im Hintergrund Fahrzeugzustandsdaten. Sie werden an die BMW-Zentrale übermittelt, die leitet sie an die vom Kunden bevorzugte Werkstatt weiter, damit diese einen Termin für fällige Servicearbeiten vorschlagen kann.
Datenschützer kritisieren an eCall, dass das System auch von anderen Einrichtungen genutzt werden kann, zum Beispiel von KFZ- Versicherungen. Dies gilt jedoch besonders für eCall-Systeme, die von Autoherstellern angeboten werden und nicht für das „offiziell“ verpflichtende System.

Thilo Weichert, Jurist und Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein warnt

Thilo Weichert im O.Ton: „Darüber gibt es natürlich eine Vielzahl von Überlegungen, aber das ist etwas, was jetzt nicht in eCall geregelt ist, sondern das sind die allgemeinen Datenschutzregelungen, und das wird dann praktisch über ganz allgemeine Geschäftsbedingungen geregelt, die also dann auch zum Beispiel heute schon mit Internetanbietern existieren. Und da haben wir als Datenschützer die große Angst, dass also ähnlich wie Google, Facebook, Apple dann wahnsinnig viele Daten speichern, also dass das Auto zur Datenschleuder wird und dadurch dann im Prinzip wirklich der Autofahrer transparent und gläsern wird.“

Cornelia Haß der Journalistin-Gewerkschaft DJU sieht den Quellenschutz bei Journalisten gefährdet:

„Prinzipiell können solche Systeme, denen sich Autonutzer nicht entziehen können, auch missbraucht werden, beispielsweise wenn diese Fahrer sensible Informationen im Auto besprechen. Dies gelte gerade bei möglichen Zusatzdiensten, die im Bordcomputer mehr erfassen als den eigentliche Crash. Mit eCall schafft man eine technische Plattform, die man zur nahezu vollständigen und lückenlosen Erstellung von Bewegungsprofilen, Kontakterfassungen bezüglich Personen, Ereignissen und Veranstaltungen nutzen kann. Und wenn etwas technisch möglich ist, hat es bisher auch immer einen oder mehrere Gründe gegeben, es auch zu nutzen. […]

Denkbar ist natürlich auch das Abhören vertraulicher Gespräche. Damit hebelt man ein zentrales Element des Grundrechts auf Pressefreiheit, nämlich den Quellenschutz, aus. Es braucht demnach unbedingt datenschutzrechtliche Regelungen zur Verwendung der Daten des eCall-Systems durch Zusatzdienste. Das Auto wird somit zum potentiell überwachten Raum. Die Sim-Karte kann als Ortungsgerät, aber auch als Wanze dienen. Wer aus beruflichen Gründen mit sensiblen Daten umgeht und Überwachung fürchtet, etwa Anwälte, Ärzte, Journalisten oder Menschenrechtler, kann dann im Auto nicht mehr so offen sprechen. Aber auch für alle anderen ist dies ein Risiko für die Privats- und Intimsphäre. Eigene Telefone kann man ausschalten oder im Büro lassen. Ein Auto mit fest verbauter SIM-Karte entwickelt sich hingegen vom privaten Raum zur möglichen Überwachungszone.“

ecall: Die Sache mit dem Datenschutz:

Der ADAC sieht erst einmal grundsätzlich keine erhöhte Gefahr für den Datenschutz, wenn das eCall-System direkt in die Integrierte Leitstelle weitergeleitet wird. Mit den Daten kann man aber kein Bewegungsprofil erstellen. Das sind auch die Erkenntnisse des ADAC. „Ob und inwieweit man eCall künftig für Datenmissbrauch nutzen kann, lässt sich aktuell noch nicht sagen. Bei herstellerspezifischen Systemen sehen wir die Datenschutzfrage kritischer“.

Die verwendete Elektronik ist jedoch nicht nur hochkompliziert, sondern auch anfällig für Missbrauch. So kann man beispielsweise die Mikrophone des eCall-Systems im Auto dazu nutzen, die Insassen abzuhören. Durch GPS-Aufzeichnungen ist es außerdem relativ einfach möglich, ein exaktes Bewegungsprofil des Autos und damit seines Besitzers zu erstellen.

Diesen Möglichkeiten soll die Verordnung COM(2013) 316 der Europakommission, die im Dezember 2014 beschlossen wurde, einen Riegel vorschieben. In Artikel 6, Absatz 2 heißt es. Das eCall-Gerät darf nur einen “Mindestdatensatz mit “Mindestinformationen” – z.B. die Fahrzeugposition – übermitteln, der für die zweckmäßige Bearbeitung von Notrufen notwendig sind. Den Mindestdatensatz muß man speichern, damit man ihn vollständig löschen kann. Das eCall-Gerät darf keine weiteren Daten übermitteln. Absatz 2a desselben Artikel legt fest. Den Mindestdatensatz muss man löschen. Dies soll geschehen, sobald das Gerät für den vorgesehenen Zweck nicht mehr erforderlich ist.

Quelle: Bussgeld-Info.de

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