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Wikipedia: Internet-Sperre für Onlinelexikon in Türkei

Seit Samstag blockiert die Türkei den Zugriff auf Wikipedia. Internetanbieter wurden in einer "vorläufigen administrativen Verfügung" zur Sperrung gezwungen

Mittels einer „vorläufigen administrativen Verfügung“, die noch von einem Gericht bestätigt werden muss, wurde am Samstag (29.04.2017) landesweit der Zugang zum Online-Lexikon Wikipedia blockiert. Die türkische Behörde für Informations- und Kommunikationstechnologien (BTK) bestätigte, den Zugang gesperrt zu haben. Die Blockade erstreckt sich offenbar auf sämtliche verfügbaren Sprachen und gilt für nahezu alle Serviceprovider.

Wikipedia in der Türkei gesperrt

Die Gruppe Turkey Blocks, ein (nach eigenen Angaben) unabhängig arbeitendes Netzwerk, das seit 2015 den Zugang zu Webseiten in dem Land beobachtet und darüber berichtet, bestätigte am Samstag die Blockade, über die Nutzer berichtet hatten. Wie AFP-Korrespondenten feststellten, konnten Internetnutzer in Istanbul sämtliche Sprachversionen von Wikipedia am Samstag nur noch mit Hilfe technischer Mittel, wie VPN-Verbindungen, erreichen. Die Sperre muss nun binnen 24 Stunden an ein Gericht gemeldet werden. Dieses hat wiederum zwei Tage Zeit, um die Rechtmäßigkeit zu überprüfen.

Man zitiert eine Erklärung der türkischen Behörde für Informations- und Kommunikationstechnologien. Demnach wurde die Anordnung „nach technischer Analyse und rechtlichen Erwägung auf der Grundlage von Gesetz Nummer 5651“ erlassen. Eine Begründung nannte man für die Sperre aber nicht. Allerdings sollten, Medienberichten zufolge, türkische Behörden Wikipedia zuvor vergeblich aufgefordert haben, Inhalte zur „Terrorunterstützung“ sowie Angaben, wonach die Türkei mit Terrorgruppen kooperiere, zu löschen. Laut türkischen Medienberichten wurde Wikipedia gesperrt, weil es den Terror unterstütze. In einer Erklärung des zuständigen Ministeriums behauptet man, Wikipedia betreibe Hetze gegen die Türkei. Wikipedia habe die Türkei mit Terrororganisationen gleichgesetzt. Dies schrieb die Nachrichtenagentur Anadolu. Wikipedia sei damit Teil einer „Hetzkampagne gegen die Türkei auf der internationalen Bühne“.

Wikipedia-Gründer Jimmy Wales reagierte entsprechend empört. „Der Zugang zu Informationen ist ein grundlegendes Menschenrecht“, schrieb Wikipedia-Gründer Jimmy Wales im Kurzbotschaftendienst Twitter. Im Kampf für dieses Recht stehe er an der Seite des türkischen Volkes. „Türkisches Volk, ich werde immer an Deiner Seite stehen und mit Dir für dieses Recht kämpfen“, twitterte er.

Türkische Regierung sperrt nach Gutdünken

Der türkischen Regierung wird von mehreren Beobachtungsgruppen immer wieder vorgeworfen, nach Anschlägen und Demonstrationen vorübergehend den Zugang zu bestimmten Webseiten zu unterbinden. In der Vergangenheit war bereits Youtube betroffen. Zehntausende von Internetseiten hat man gesperrt. Im Herbst letzten Jahres hatte das Land unter anderem den Zugang zu Clouddiensten wie WhatsApp, Twitter & Co. sowie Tor blockiert. In der Vergangenheit hat die türkische Regierung bisher stets zurückgewiesen, soziale Netzwerke zu blockieren. Nach offiziellen Angaben war die Ursache angeblich Störungen durch Überlastungen der Systeme aufgrund besonderer Ereignisse. Beobachter von Nicht-Regierungs Organisationen bezweifeln dies allerdings.

Zudem hat die türkische Regierung unter Recep Tayyip Erdogan die im Land allseits beliebten Kuppelshows verboten. Angeblich sollen sie in der Türkei „die Institution der Familie beschädigen“. So hieß es in einem am Samstag im Amtsblatt veröffentlichten Dekret, Sendungen in Radio und Fernsehen, in denen Menschen einander vorgestellt werden, um einen Partner zu finden, „können nicht zugelassen werden“. Vizeregierungschef Numan Kurtulmus hatte das Verbot bereits im März angekündigt. Er begründete dies damit, derartige Sendungen passten nicht zu den türkischen Sitten und Traditionen. „Es gibt einige merkwürdige Sendungen, die die Institution der Familie beschädigen und ihr die Würde und Heiligkeit nehmen“.

Große Verhaftungswelle, Freiheit der Medien eingeschränkt

Doch die Netzsperren gegen die Wikipedia stellen nur einen kleinen Teil der Maßnahmen dar. Ebenso gab es in der Türkei diese Woche die seit Monaten größte Verhaftungswelle gegen mutmaßliche Anhänger des Regierungskritikers Fethullah Gülen. Fast 4000 Staatsbedienstete, darunter mehr als tausend Mitarbeiter des Justizministeriums und über tausend Armee-Angehörige wurden per Dekret entlassen. Die Regierung wirft den in den USA lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen vor, Drahtzieher des im Juli 2016 gescheiterten Militärputsches gewesen zu sein. Seither sind etwa 120.000 Menschen festgenommen worden. Erst am Mittwoch hatte die Polizei bei landesweiten Razzien mehr als tausend Verdächtige festgenommen, tausende weitere wurden per Haftbefehl gesucht. Am selben Tag suspendierte die Polizei in den eigenen Reihen mehr als 9100 Beamte. Man wirft ihnen vor, sie sollen angeblich Verbindungen zum Gülen-Netzwerk haben.

Kritik des Auslands an den Maßnahmen

Kritiker sehen nicht zuletzt seit dem umstrittenen Verfassungsreferendum Demokratie, Pressefreiheit und Menschenrechte in Gefahr. Außerdem kann man damit eine immer stärkere Ausrichtung der Politik nach einem konservativen Verständnis des Islam feststellen. Österreichs Bundeskanzler Christian Kern nannte die Entwicklung „äußerst besorgniserregend“. „Wir müssen unsere Beziehungen zur Türkei neu ordnen“, gab er in Brüssel bekannt. Europa könne es sich „nicht leisten, ein instabiles Land mit 80 Millionen Einwohnern in der unmittelbaren Nachbarschaft zu haben“.

Die EU-Spitze will am Rande des Nato-Gipfels Ende Mai das Gespräch mit Erdogan über die Zukunft der Beziehungen suchen. Dies habe Ratspräsident Donald Tusk in Aussicht gestellt, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel in Brüssel. Man wird sehen, ob die Türkei dadurch die Netzsperren der Wikiedia wieder abstellen wird. Wahrscheinlich wohl nicht.

Tarnkappe.info

Über

Antonia ist bereits seit Januar 2016 Autorin bei der Tarnkappe. Eingestiegen ist sie zunächst mit Buch-Rezensionen. Inzwischen schreibt sie bevorzugt über juristische Themen, wie P2P-Fälle, sie greift aber auch andere Netzthemen, wie Cybercrime, auf. Ihre Interessen beziehen sich hauptsächlich auf Literatur.