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Bildquelle: stockcake

Hat die One-Click-Demokratie eine Chance? Unsere Artikelreihe dazu!

Wir haben mal bei Avaaz, Change.org, Campact & Co nachgehakt: Hat die One-Click-Demokratie eigentlich eine Chance? Was ist das überhaupt?

Hat die One-Click-Demokratie eigentlich eine Chance? E-Partizipation, Clicktivism, Slacktivism, das sind drei Begriffe für ein und dasselbe. Immer mehr Kampagnen-Netzwerke bevölkern mit ihren Portalen das Web und fordern uns wie Datenstaubsauger zur Angabe unserer E-Mail-Adresse auf. Wer eine Online-Petition unterschreibt, wird dort unwissentlich automatisch zum aktiven Mitglied erklärt. Avaaz verfügt weltweit über 21 Millionen Adressen von Bürgern, die sich bei ihnen per Mausklick beteiligt haben. Bei Change.org sind es schon über 30 Millionen Teilnehmer. Mit den Web-Kampagnen will man die politikmüden Bürger reaktivieren. Wir wollten wissen: Wer steckt eigentlich dahinter? Mit welcher Motivation werden die Internet-Portale betrieben? Und warum ist es so schwer, die Namen der Finanziers herauszubekommen? Was passiert nach Ende der Unterschriftensammlung? Wer stellt sicher, dass mit den Unterschriften wirklich etwas bewegt wird? Und wer soll das letztlich kontrollieren?

One-Click-Demokratie: Alle Portale sammeln fleißig Daten!

Kontrollieren kann man offenbar sowieso niemanden. Das fängt schon mal damit an, dass sich Avaaz zwar an das deutschsprachige Publikum wendet. Ein Impressum findet man dort aber nicht. Auch wird einem kein Ansprechpartner für den Pressekontakt genannt. Wer will, kann den Telefonhörer in die Hand nehmen und die Zentrale in den USA anrufen. Wir haben über mehrere Wochen hinweg keine Antwort auf unsere Anfragen per Kontaktformular bekommen, bis wir zufällig über den Namen Christoph Schott stolperten, der für Avaaz in Berlin als Campaigner fungiert. Seine Antworten klingen wie frisch aus der Werbebranche gebacken. Nein, seine Organisation würde die Kampagnen nicht steuern. Die Vereinigung sei wie ein Schiff zu betrachten, das vom Wind getrieben wird.

Soll heißen: Nicht die Organisatoren bestimmen, was auf der Hauptseite beworben wird, sondern das Ergebnis von Testaussendungen an etwa 10.000 Personen. Die Steuerung per Schwarmintelligenz ist eine schöne Vorstellung, leider entspricht sie nicht den Tatsachen. In Deutschland und anderswo bestimmen nur die Macher am Ende, welche Kampagne auf der Hauptseite angezeigt wird. Doch die anderen Vertreter der One-Click-Demokratie sind auch nicht besser.

Campact verlangt nur von Dritten Transparenz

Bei Campact stieß es auf weniger Wohlwollen, dass wir die Namen der Personen wissen wollten, die zu Beginn die Anschubfinanzierung übernommen haben. Dazu sei man laut den Regeln von Transparency International nicht verpflichtet, teilt uns der Pressesprecher Yves Venedey mit. Campact hat man 2004 gegründet, die Initiative Transparente Zivilgesellschaft aber erst 2010 ins Leben gerufen. Campact gehörte vor drei Jahren zu den ersten Unterzeichnern der Selbstverpflichtungserklärung. Nach eigener Auskunft gibt es keine natürlichen oder juristischen Personen, deren Spenden mehr als fünf oder zehn Prozent an Campact-Budget ausmachen. Trotzdem weigert man sich, uns die Namen auszuhändigen. Man müsse die Spender schützen, teilt uns Herr Venedey auf unsere Rückfrage mit. Transparenz? Sorry, die stelle ich mir ganz anders vor. Bernd Rohlfs von der Gesellschaft für freie Informationssysteme erkennt hier auch keine Überprüfbarkeit derartiger Aussagen. Zusammen mit Herrn Rohlfs habe ich die Interview-Reihe im Laufe der letzten Monate erarbeitet.

Slacktivism ist kein echter Aktivismus

Slacktivism (One-Click-Demokratie) ist der Versuch die Faulen mit Hilfe des Webs zu aktivieren. Auf lokaler Ebene mag das noch funktionieren, wenn 10.000 Unterschriften dafür sorgen, dass die Stadtverwaltung ein Düsseldorfer Schwimmbad nicht schließt. Doch kann ich auch per Mausklick dafür sorgen, dass man den Tiger in Eschnapur verschont? Kann ich damit tatsächlich den Anbau von Gen-Mais verhindern oder die brutale Ausnutzung von chinesischen Arbeitern? Die Netzwerke glauben daran und sie lassen uns hoffen, dass wir binnen weniger Sekunden etwas Gutes tun können. Einzig Campact verbindet echte Demonstrationen mit den dortigen Online-Petitionen.

Der Grund dafür ist simpel. Es ist heutzutage schwer, jemanden dazu zu bewegen, auf die Straße zu gehen. Wenn trotz diverser Aufforderungen der einschlägigen Blogs in Köln letzte Woche nur 30 verlorene Seelen gegen die Anti-Flat-Pläne der Telekom demonstriert haben, dann muss die Antriebsarmut des Durchschnittsdeutschen schon recht groß sein. Derzeit kommt der Telekom zugute, dass es bis zur geplanten Internet-Drosselung noch einige Zeit dauern wird. Was den Deutschen nicht direkt, unmittelbar oder augenblicklich betrifft, lässt ihn offenbar kalt.

Hat die One-Click-Demokratie eine echte Chance?

Den Leitartikel zum Thema E-Partizipation findet man hier. Dort die Interviews mit Avaaz, Campact, Change.org, OpenPetition und dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. Auch deren Erfolge sind trotz mehrerer Jahre Arbeit sehr begrenzt. Trotz der 80 Mitarbeiter, die im Bundestag dafür zuständig sind, konnte mir der befragte Mitarbeiter bis auf das Verbot der sogenannten „Kuhfänger“ an PKWs kaum etwas nennen, wo die E-Petition eines Bürgers für eine Veränderung oder Einführung eines Gesetzes gesorgt hätte.

Manche werden sich fragen: Wenn die meisten Initiativen ergebnislos bleiben, wieso dann der ganze Aufwand mit der One-Click-Demokratie?

Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Früher brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert. In seiner Freizeit geht er am liebsten mit seinem Hund spazieren.