Voriges Jahr stoppte die Polizei Deutschlands größten Onlineshop für Drogen, Chemical Revolution. Ein Insider gab zielführende Hinweise.
Im deutschsprachigen Sektor für Dark-Commerce galt Chemical Revolution seinerzeit als größter Vertreter. Fahnder verfolgten die Täter schon seit ca. einem Jahr. Den letztendlichen Fahndungserfolg bescherte ihnen jedoch erst ein Verräter aus den Führungskeisen des Drogen-Onlineshops, wie der Spiegel berichtet.
Chemical Revolution: ein Tatverdächtiger half bei der Überführung
Die Ermittlungen zu Chemical Revolution nahmen 2018 ihren Anfang mit einem Fund von großen Drogenmengen bei einem 26-Jährigen aus Brandenburg an der Havel. Bei dem Verdächtigen stellte man in Hessen und Niedersachsen unter anderem 16 Kilogramm Cannabis, 50 Kilogramm Amphetamin und 600 Gramm Heroin sicher. Der 26-Jährige gab an, die Drogen für den Versand über die Plattform aufbewahrt zu haben.
Gemäß der Chemical Revolutions-Ermittlungsakte, die dem Spiegel und NDR vorliegt, arbeitete ein Tatverdächtiger eng mit den Fahndern zusammen. Demnach sorgte ein 29-jähriger gebürtiger Pole für die Ergreifung von „Joko“, dem Kopf von Deutschlands größter Drogen-Plattform, im Mai 2019. Der Pole gab an, der Vize in der Organisations-Hierarchie gewesen zu sein. Gemeinsam mit der Polizei lockte er sowohl „Joko“, als auch einen früheren Komplizen in eine Falle.
Verdeckte Ermittler traten als Kaufinteressenten auf
Zunächst kontaktierten die Betreiber von Chemical Revolution den Polen, sahen sie doch in ihm einen Bekannten, der den Shop einst mit aufbaute. Sie waren daran interessiert, einen Käufer für Restdrogen-Bestände zu finden. Jedoch arbeitete der 29-Jährige bereits zu dem Zeitpunkt mit den Behörden zusammen. Insofern waren die vermittelten Kunden verdeckte Ermittler. Ein Rewe-Parkplatz in Hamburg soll schließlich als Übergabeort für über zwölf Kilogramm verschiedenster Rauschmittel dienen. Beim Treffen hörten die Fahnder mit. Kurz vor der Übergabe fällt das vereinbarte Codewort: „Alles in Ordnung, tutto paletti.“ Unmittelbar danach erfolgte der Zugriff. Die Ermittler nahmen den mutmaßlichen Drogenlieferant von Chemical Revolution im Februar vergangenen Jahres fest. Kurz darauf werden fast alle Mitglieder von Chemical Revolution überführt.
Das Chatprotokoll für die Geschäftsanbahnung ist bekannt geworden. Es lautet wie folgt:
„Willst du ein Geschäft machen?”
„Ja ich habe einiges an Stoff. – Hast du Interesse“
„Ja auf jeden Fall – Was hast du genau?“
„Viel Stoff: Weed, Speed, LSD oder Heroin.“
Insider-Hinweis ließ „Joko“ auffliegen
Allein der Banden-Chef von Chemical Revolution wird zunächst nicht gefasst. Er ist besonders vorsichtig, kommuniziert nur über verschlüsselte Messenger, seinen realen Namen kennt kaum jemand. Jedoch hat auch hier der 29-jährige Pole den entscheidenden Hinweis geliefert. In einer Vernehmung gab er an, dass ein damals 26-jähriger gebürtiger Münchner mit Wohnsitz auf Mallorca „zu hundert Prozent“ als den Kopf der Drogenhändler gelte. Daraufhin hat man diesen observiert. Schließlich brachte eine Pizzabestellung den Durchbruch. Hier konnte man die Zahlung bis zu „Joko“ zurückverfolgen. Er wurde enttarnt und am 28.05.2019 bei seiner Wiedereinreise von Spanien nach Deutschland in Gewahrsam genommen. Der Leader soll auch beim gebusteten Drogen-Online-Marktplatz „Wall Street Market“ als Vendor (Händler) mitgewirkt haben. Weiterhin soll er für die Waren-Beschaffung sowie die Koordination des Online-Drogenverkaufs die Verantwortung tragen. Zudem verteilte er die Aufgaben unter seinen Helfern und verwaltete die eingenommenen Gelder.
Betreiber des Drogen-Onlineshops Chemical Revolution angeklagt
Inzwischen hat die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt a.M. gegen die elf Tatverdächtigen Anfang des Jahres Anklage wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erhoben. Sie müssen sich deswegen schon bald vor Gericht verantworten. Laut Anklage sollen die Hintermänner den Online-Shop zwischen September 2017 und Februar 2019 betrieben haben. Neben der eigenen Handelsplattform bot man die Betäubungsmittel, insbesondere synthetische Drogen (Ecstasy, MDMA, Amphetamin), Heroin, Kokain und Cannabis, auch beim Darknet-Shop Wall Street Market an. Die Betreiber sollen für ihren weltweiten Versand der BTM-pflichtigen Stoffe gut organisiert und länderübergreifend vernetzt gewesen sein. Sie sollen durch den Drogenhandel mehr als eine Million Euro eingenommen haben. Die Kunden bezahlten ihre Waren zumeist mit Krypto-Assets (Vermögenswerte in Bitcoin etc.).
Weitere Mitbetreiber von Chemical Revolution sind zwischen 25 bis 44 Jahre alt und stammen aus Deutschland, den Niederlanden, Polen und der Türkei. Gemäß der Ermittlungen soll ein 36-jähriger Niederländer für die Beschaffung der Rauschmittel verantwortlich gewesen sein. Ein weiterer 36-jähriger aus Brandenburg sorgte für den Transport, zwei Polen regelten währenddessen die Einfuhr. Ein Türke sowie drei Deutsche hätten den Drogenhandel auch nach der Verhaftung des Initiators von Hamburg aus weitergeführt. Insgesamt geht es um Drogenhandel in 320 Fällen. Von den elf Angeschuldigten sitzen sieben Personen in Untersuchungshaft. Eine weitere Person wurde wegen anderen Tatvorwürfen inhaftiert.
Prozesstermin und Gerichtsort noch in der Schwebe
Es steht weder der Prozesstermin bisher fest, noch ist die Frage des Gerichtsortes geklärt. Ursprünglich war angedacht, dass die Verhandlung in Gießen stattfinden solle. Jedoch wies der Vorsitzender Richter am Landgericht Gießen darauf hin, dass selbst der größte Sitzungssaal für den Prozess „aus Kapazitätsgründen“ ungeeignet sei. Die Anklage benennt in der Causa Chemical Revolution immerhin 47 Zeugen und sechs Sachverständige.
Tarnkappe.info