Auf der Darknet-Plattform „MrBLow“ soll Martin S. als Kopf einer Drogenbande arbeitsteilig 11.500 Drogen-Bestellungen abgewickelt haben.
Den Wiener Martin S. suchen aktuell Ermittler weltweit. Fahndungsfotos zeigen seit Samstag den 50-Jährigen als „Most Wanted“ sowohl auf der Website des Bundeskriminalamtes, als auch bei Europol. Die Beamten legen dem bereits 14 mal wegen Gewaltdelikten Vorbestraften zur Last, gemeinsam mit neun Komplizen von März 2018 bis September 2020 den professionellen Darknet-Drogenshop „MrBLow“ betrieben zu haben. Er soll dabei mindestens 60 Kilo an diversen Drogen, darunter 40 kg Kokain sowie Cannabis, Amphetamin und Ecstasy, verkauft haben und geschätzt bis zu fünf Millionen Euro durch illegale Drogengeschäfte verdient haben. Darüber berichtete die Kronen Zeitung.
Spur führte ins Wiener Rotlichtmilieu
S. soll bereits seit Jahrzehnten das Rotlichtmilieu mit Drogen beliefert haben. Selbst stellte er sich als “Generalimporteur für Kokain” dar. Enge Verbundenheit hätte zudem mit den damaligen Drahtziehern des Anfang der 2000er-Jahre auf Schutzgelderpressungen angelegten “Nokia-Club” bestanden.
Postsendungen wiesen Ermittlern den Weg zum „MrBLow“- Darknet-Drogenshop
Erste Ermittlungen nahm die Polizei im Fall durch das Vorfinden von Drogen in Postsendungen auf. Im Jahr 2018 konnten die Beamten gemeinsam mit dem österreichischen Zoll innerhalb weniger Tage 250 Sendungen von dem „MrBlow“-Drogenshop abfangen und sicherstellen. Ein Ermittler hält fest: „Das waren gut zwei Kilogramm“.
Trotz äußerst professionellem Vorgehen der Tätergruppe, führten die Polizei Spuren an der Verpackung zu der einzigen weiblichen Tatverdächtigen, einer 69-jährigen Frau. Diese arbeitete früher im Rotlichtmilieu. Mit dem Drogenversand hatte sie sich ein weiteres Einkommen verschafft. Die zu verschickenden Suchtmittel bezog sie hierbei von ihrem 73-jährigen Ex-Ehemann.
Ermittlungsansatz liegt im Warenversand
Der Chefermittler legt dar: „Solange sie die Drogen nicht elektronisch versenden können, haben wir immer einen Ansatz“. Demgemäß folgten die Beamten den Spuren des Verpackungsmaterials. Scheinfirmen in der Steiermark und in Niederösterreich entpuppten sich insofern als Bezugsquellen. Ferner meldeten die Verdächtigen zur Verschleierung der Identität hierüber ihre Autos an. Ein 52-jähriger Steirer agierte als Buchhalter und Logistiker.
Einem weiteren Team-Mitglied, einem ehemaligen Barmann, oblag die IT rund um die Darknet-Plattform „MrBLow“. Obendrein betrieb dieser noch einen eigenen Mobiltelefon-Anbieterdienst. Gemäß DerStandard hätte er sich dazu „bei einem Mobilfunkanbieter einen Server gemietet, um das verschlüsselte System namens „Fog“ aufzustellen“. Den 54-Jährigen hat ein Gericht bereits zu sieben Jahren Haft verurteilt. Allerdings verstarb er kurz darauf im Gefängnis. Die übrigen Verdächtigen sollen als Drogen-Kuriere fungiert haben. Im Burgenland fanden die Ermittler in dem Zusammenhang eine Cannabisplantage mit 2.000 Pflanzen.
Darknet-Drogenshop „MrBlow“ erwies sich als umsatzstark
Das Ausforschen der Postempfänger brachte die Ermittler schließlich auf den Darknet-Drogenshop „MrBlow“. Dort präsentierten S. & Co. Kokain-Ziegel zum Verkauf, ein Gramm kostete 75 Euro. Die Bezahlung erfolgte in Bitcoin. Ein Ermittler gewährt Einblick und führt aus: „Die Ware wurde aus Ecuador bestellt. Für den österreichischen Markt wies etwa das Kokain eine auffallend gute Qualität mit einem Reinheitsgehalt von 80 Prozent auf“. Durchschnittlich zwölf Bestellungen pro Tag brachten die Verdächtigen täglich an den Kunden, bevor sie den Drogenshop im September 2020 plötzlich schlossen.
Verdächtige agierten konspirativ
Eine Überwachung der Tatverdächtigen stellte die Ermittler in weiterer Folge vor schwierige Herausforderungen. So verwendeten diese Störtechniken zum Aushebeln ihrer Ermittlungstechniken. Beamte berichteten auch von der Furcht der Beteiligten vor Martin S. „Sie meinten etwa, dass, wenn sie nicht tun, was er sagt, gehen sie im Koffer spazieren. Vor dem haben sie wirklich Angst, der ist brenngefährlich”. S. agierte meist nur im Hintergrund und mied öffentliche Orte. “Der ist ein richtiges Phantom”, schlussfolgert der Chefinspektor.
Am 20. April 2021 kam es dann zu einer Razzia durch das BKA. Unterstützt wurde der Einsatz durch die Einsatzkommandos Cobra, Wega sowie Beamte der Landespolizeidirektionen Wien, Steiermark sowie das Burgenland. An elf Einsatzorten in Wien und der Steiermark fanden 23 Hausdurchsuchungen statt. Die Beamten beschlagnahmten infolge Geld, Waffen, Verpackungsmaterial und über 250 IT-Geräte. Es kam zu neun Festnahmen, darunter acht Männer und eine Frau.
MrBlow als neue Netflix-Serie?
Die Sichtung der sichergestellten Daten stellte die Beamten nach Angaben des Chefinspektors vor eine große Herausforderung:
„Das waren wirklich Terabytes an Daten, die wir da durchforstet haben. Die Daten waren verschlüsselt, man habe „nur noch einzelne Fetzen“ gefunden, etwa das Firmenlogo von „MrBlow“ oder ein Foto der 69-Jährigen, das sie als Beweis für das Versenden der Drogen machen musste. Da könnte man eine Netflix-Serie darüber drehen“.
Zwar konnte das BKA im Rahmen der Operation „Deflate“ noch im April 2021 die Tätergruppe rund um S. dingfest machen. Den Begriff „Deflate“ (z. Dt.: Luft ablassen) wählten die Ermittler dabei aufgrund des Darknet-Drogenshop-Namens „MrBLow“ („Herr Blase“). S. selbst jedoch gelang es, sich kurz vor der Ergreifung seiner Mittäter ins Ausland abzusetzen. Zeitgleich mit der Verhaftung seines Teams verlor sich zu ihm jede Spur, so die Ermittler.
Mit Most Wanted-Listen Jagd auf ein Phantom
Wie der Standard berichtete, soll ein Komplize S. zur Flucht nach Lignano Sabbiadoro verholfen haben. Danach hätte er sich in Begleitung einer jungen Frau nach Spanien abgesetzt, so vermutet die Polizei. Auch wenn S. inzwischen sein Aussehen verändert hätte und eine neue Identität wählte, so gibt es an ihm einige auffällige Tattoos, die zu seiner Ergreifung führen könnten. Die Ermittler weisen darauf hin, dass auf der linken Brust „Betenden Hände“ zu sehen sind, am rechten Rücken ein Männerkopf und am linken Unterschenkel ein Hundekopf.