Discord
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Bildquelle: gamerant

Russland erwägt baldige Sperre von Discord

Die Behörde Roskomnadzor hat die Begründung für die fehlerhafte Funktion von Discord vorgelegt. Die Regierung plant eine landesweite Sperre.

Der Discord Messenger, beliebt in der IT-Unternehmenskultur und beispielsweise bei Gamern, kann in Russland vollständig blockiert werden. Anfang September beschwerten sich angeblich zahlreiche russische Benutzer über Fehler in der Software. Roskomnadzor hat anfangs entschieden, deswegen keine Blockaden zu erlassen.

In Bezug auf Discord habe die Regulierungsbehörde nun laut dem Wirtschafts-Portal Kommersant fünf neue Entscheidungen über Gesetzesverstöße festgestellt. Diese kann die Moskauer Regierung als Begründung für ein bevorstehendes Verbot heranziehen. Die Software ist auch in Russland sehr beliebt, auch unter den Administratoren von Kryptoprojekten.

Angebliche Beschwerden sollen Sperre rechtfertigen

Die Regulierungen der Telekommunikationsbehörde ergaben sich aus den Daten im Register der verbotenen Roskomnadzor-Standorte. Sie sind die Grundlage für die Blockierung der Ressource gemäß dem Gesetz «über Informationstechnologien und Informationsschutz».

Roskomnadzor

Ein Insider bestätigte gegenüber Kommersant, dass die landesweiten Sperren gegen Discord in den nächsten Tagen verhängt werden können. Als Begründung gibt man „Gesetzesverstöße“ gegen russisches Recht an. Auch will man eine Verlangsamung der Übertragung der Nachrichten via Discord statt einer vollständigen Blockade diskutieren. Die Pressestelle der Telekommunikationsbehörde hat auf die Anfrage unserer Kollegen nicht geantwortet.

Mitte September sollen sich angeblich zahlreiche Anwender des Messengers über massenhafte Unerbrechungen der Software beschwert haben. In der Folge konnten viele das Web und die mobile Version der Ressource nicht öffnen. Manche benutzten alternativ einen VPN-Dienst* dafür. Laut dem Down-Detector vom 26. September meldeten am Nachmittag des 18. September mehr als 11.000 Benutzer in der Russischen Föderation Fehler in der Arbeit von Discord.

Kürzlich hat zudem ein Moskauer Gericht die Betreibergesellschaft von Discord zu einer Geldstrafe von 3,5 Millionen Rubel (37.675 US-Dollar) verurteilt. Man wirft dem Anbieter vor, man habe es versäumt, den russischen Nutzern den Zugang zu verbotenen Informationen zu beschränken.

Moskau

Verschlüsselung von Discord schützt Telefonate und Chats

Das kostenlose Videokonferenz-Messaging-System für Mobilgeräte und PCs ist vor allem bei Gamern und Studenten beliebt. Offenbar hat Moskaus Führung auch damit ein Problem, dass die Discord Inc. aus den USA im Vormonat eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für Audio- und Videoanrufe eingeführt hat. Im Jahr 2022 meldete die Plattform mehr als 150 Millionen monatliche Benutzer. Nach verschiedenen Schätzungen liegt die Anzahl der Discord-Benutzer in Russland zwischen 29 und 40 Millionen. Sie generieren mehr als 4% des monatlichen Plattformverkehrs.

Discord hat sich zudem im Laufe der letzten Jahre zur Hauptplattform für das Community-Management von Videospielen, also der Kommunikation zwischen den Spieleentwicklern und Gamern, entwickelt. Dies kommentierte der Direktor für Geschäftsentwicklung des Spieleentwicklers Overmobile Jan Yankeloyts. Die Software sei auch in Krypto-Kreisen sehr beliebt.

Eine der Besonderheiten von Discord ist die Möglichkeit, auf verschiedenen Servern unterschiedliche Pseudonyme zu nutzen. So kann man den eigenen Namen dem Anlass anpassen, schrieb Yankeloyts. Entwickler verwenden häufig Discord statt der sonst in der Wirtschaft üblichen Kommnukationslösungen. «Stellenweise ist es bequemer und viel billiger als die Verwendung von Slack».

Im Fall einer Sperre tauchen zeitnah Klone von Discord auf

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Vasily Ovchinnikov, Leiter der Organisation für die Entwicklung der russischen Videospielbranche, hebt hervor, dass sich im Fall einer Sperre die Nutzer zeitnah nach Alternativen umschauen werden. Die Programme Miro und Notion hat man in Russland bereits verboten. Miro wird von Arbeitsgruppen verwendet, um gemeinsam online Notizen zu machen. Miro kann man mit über 130 Tools wie Jira, Azure DevOps, Asana, Zoom, Teams und Slack verbinden. Notion ist hingegen ein vollständiger, zentralisierter Arbeitsbereich mit KI-Unterstützung und eigenen Wikis.

Ovchinnikov glaubt, im Fall einer Blockade werden sowohl inländische als auch chinesische Discord-Klone zeitnah auf dem russischen Markt auftauchen. Es habe sich halt eingebürgert, für die Kommunikation mit der Community oftmals Discord statt einer anderen Lösung einzusetzen. Die Verwendung von Bots und die simple Integration in eigene Systeme habe laut Ovchinnikov dazu geführt.

Regierung will Kontrolle über das Internet zurückerlangen

Kritiker sehen im Vorgehen den Versuch des Putin-Regimes, die „digitale Souveränität“ über das Internet zurückzuerlangen. Man will künftig lieber einheimische Tech-Unternehmen und Plattformen einsetzen, die westliche Unternehmen nicht kontrollieren und deren Software man auch nicht einfach abschalten könne. Diese Bemühungen haben bereits verschiedene Formen angenommen.

Logo des von der Regierung kontrollierten Wikipedia-Klons RuWiki.

So etwa das Verbot von VPNs bis zur möglichen Schaffung einer russischen Alternative der Gaming Plattform Steam. Geplant ist ein eigenes Steam Deck, SteamOS und Valves dazu passender Online-Shop für Games. Der Vorteil liegt darin, dass diesen die russische Regierung kontrollieren könnte. Bereits online ist die Wikipedia-Alternative RuWiki, das am 24. Juni ans Netz ging. RuWiki enthält große Teile des Inhalts des Originals, alles politisch Unangenehme haben die regierungsnahen Betreiber stillschweigend entfernt.

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Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Außerdem brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, seit 2014 an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert.