Edward Snowden äußerte sich in einem Videointerview bei der SZ über Privatsphäre und Freiheit angesichts der globalen Überwachung.
NSA-Whistleblower Edward Snowden hat sich am 26.10.2016 live zu einem Videointerview im Münchener Hochhaus des Süddeutschen Verlags zugeschaltet. Er rief aus seinem Moskauer Exil an. Snowden sprach über Privatsphäre und Freiheit angesichts der globalen Überwachung.
Vom 25. – 27. Oktober 2016 versammelt das Global Editors Network (GEN) und die Süddeutsche Zeitung (SZ) einige der besten deutschen, österreichischen, schweizerischen, rumänischen und französischen Medieninnovatoren in München für ein „Editor’s Lab“ mit dem Ziel, neue investigative Journalismus-Prototypen zu entwickeln.
Das Interview von Dan Gillmor mit Edward Snowden war ein Teil dieses „Editor’s Lab“, zu dem die SZ in Partnerschaft mit dem Global Editors Network 14 Journalistenteams aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Rumänien und Frankreich eingeladen hat. Die virtuelle Diskussion mit Edward Snowden erfolgte über die Prinzipien, Fakten und wichtige Fragen vor Journalisten über Privatsphäre, Überwachung und Freiheit.
Quellenschutz bei der Überwachung unmöglich
Snowden verweist im Gespräch darauf, dass die Massenüberwachung durch Staaten die journalistische Arbeit gefährde
Die zentrale Frage sei nun: „Kannst du deine Quellen geheim halten?“: „Ich will nicht so eine Person mit Aluhut sein, die sagt: Du kannst deinem Telefon nicht vertrauen und solltest solche Dinge gar nicht benutzen.“ Aber Journalisten müssten sich bewusst sein, dass ihr Telefon Spione zu ihrer Quelle führen könne. Dabei gehen die Gefahren der Massenüberwachungen nicht nur von den Regierungen aus, sondern auch von Grossunternehmen, die ihre gesammelten Daten den Regierungen zur Verfügung stellen.
Gerade erst hätten Enthüllungen über den US-Telefonanbieter AT&T gezeigt, dass Unternehmen Daten über ihre Kunden den Behörden anbieten würden. Diese über Mobilfunkmasten erfassten Daten zeigten, welche Handys sich in der Nähe welcher anderen Handys aufhielten. Laut Snowden machen viele Telekommunikationsunternehmen mittlerweile dasselbe wie die Geheimdienste. Die Praktiken des Providers AT&T machte kürzlich «The Daily Beast» bekannt. Nach einem Versprecher sagte Snowden denn auch zur Erheiterung der Zuhörer: „Entschuldigung, ich verwechsle Geheimdienste und Telefonanbieter öfter, weil ihre Arbeit mittlerweile so ähnlich ist.“
Die Journalisten bezeichnete Snowden als eine von den Geheimdiensten «zunehmend bedrohte Klasse». «Ich könnte euch Tipps geben, wie ihr eure Kommunikation schützen könnt», sagte er an die Adresse der Journalisten. «Aber das ist wie ein Rüstungswettlauf, den ihr einfach nicht gewinnen könnt.» Der Kampf um die Pressefreiheit müsse auf den Titelseiten ausgetragen werden. „Und er muss gewonnen werden, wenn Ihr in der Lage bleiben wollt, auf dieselbe Weise wie in früheren Jahrhunderten zu berichten“, fügte er hinzu. Snowden kritisierte, dass die Obama-Administration mehr Strafverfahren gegen Journalisten angestrengt habe als alle anderen US-Administrationen. Die Obama-Regierung bedrohe die Medienfreiheit, sagte Snowden. Und weiter: «Es gibt keine bedeutende Medienfreiheit ohne geschützte Privatsphäre.»
Edward Snowden äußert sich zu Wikileaks
Snowden äusserte Sympathien für Wikileaks für die Veröffentlichung von E-Mails zur Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton. «Ist es wirklich eine Gefahr, wenn Menschen wahre Informationen verbreiten?», fragte der Whistleblower. Dabei rief er die Journalisten auf, sich nicht durch ihre Regierungen einschüchtern zu lassen.
Gefahren digitaler Offensivwaffen: Der Westen ist digital verwundbar
Snowden sagt, er wünsche sich eine größere Debatte über die Gefahren digitaler Offensivwaffen, mit denen zum Beispiel kritische Infrastruktur angegriffen werden könne: „Wir sind die fortschrittlichsten, meistvernetzten Gesellschaften der Erde. In computerbasierten Konflikten haben wir mehr zu verlieren. Wir können Russland zehnmal hacken, aber das wird dort weniger Schaden anrichten als ein Hack gegen uns. Wir können Nordkorea tausendmal hacken, aber sie werden weniger Schaden erleiden, als sie uns mit einem Hack zufügen können.“ Auf dieses gefährliche Spiel solle sich der Westen nicht einlassen.
Snowden nutzte Videokonferenz zur Kritik an der deutschen Regierung:
So kritisierte er in dem Gespräch die jüngst beschlossene Reform des Bundesnachrichtendienstes (BND). „Wir haben gesehen, dass in Deutschland Gesetze verabschiedet wurden, die als Reformen präsentiert werden, aber tatsächlich die Politik der Massenüberwachung legalisieren“, sagte Snowden. Solche Gesetze bedeuteten: „Ja, wir werden jeden ausspionieren, aber wir sagen euch, dass wir es tun. Und somit ist es ok.“ „Für die Regierungen war es noch nie so einfach, seine Bürger zu überwachen.“, führte Snowden weiter aus. Die rasanten technologischen Fortschritte und die lasche Gesetzgebung im Namen der nationalen Sicherheit hätten zu einem «goldenen Zeitalter der Überwachung» geführt. Dies gelte nicht nur für die USA, sondern auch für andere Teile der Welt. Deutschland zum Beispiel habe Rückschritte beim Schutz der Privatsphäre und der Freiheitsrechte seiner Bürger gemacht.
Der Bundestag hatte in der vergangenen Woche dem BND einen vollen Zugriff auf Telekommunikationsnetze in Deutschland eingeräumt. Die Überwachung des Internettraffics unterliegt künftig keinen Beschränkungen mehr hinsichtlich Verkehrsströmen oder Datenmengen. Nach Ansicht der Opposition wird der BND damit zum „Zwilling“ des US-Geheimdienstes NSA.
Keine Chance auf ein Asyl in Deutschland
Danach gefragt, wie er die Chancen sehe, doch noch Asyl zu erhalten, sagt er: Es sei „unglücklich“, dass ihm die deutsche Regierung in der Frage eine Absage erteilt habe. Sie wisse genau, dass durch die Enthüllungen niemand zu Schaden gekommen sei. Und sie wisse auch, dass die US-Regierung festgestellt habe, dass die Programme zur Massenüberwachung zudem in der Terror-Abwehr praktisch nutzlos gewesen seien. „Der Gedanke, dass die USA Deutschland bestrafen könnten, weil es Whistleblower schützt, ist eine Fantasie, es ist peinlich.“
Das sei vorauseilender Gehorsam gegenüber den USA. „Es ist wirklich bedauerlich, dass sie immer noch sagen, sie können nur deshalb nichts tun, weil es nicht die richtige Entscheidung wäre, sondern weil die US-Regierung sie dafür bestrafen würde. Sie würden Deutsche sterben lassen, indem sie wichtige Informationen nicht an Deutschland weitergäben, wenn sie meine Grundrechte schützten. […] Menschenrechte sind doch nicht verhandelbar, sie sind keine Handelsware.“ Es gehe dabei nicht nur um ihn. Snowden fragt provokant: „Wie will Deutschland sich in einem ähnlichen Fall dann China widersetzen? Menschenrechte sind keine Chips, mit denen man herumspielen kann.“ Immerhin bewege sich auf europäischer Ebene etwas: Das EU-Parlament hatte sich vergangenes Jahr dafür ausgesprochen, ihn nicht auszuliefern, weil die Anwürfe gegen ihn politisch motiviert seien.
Fazit
Mit Blick auf die aktuelle Situation zeigte sich Snowden skeptisch. Die Sache sehe „sehr schlecht für unsere Seite aus“, sagte er. „Die Regierung hatte es aber nie leichter. Selbst wenn man das am besten verschlüsselte Gerät der Welt besäße, würde die Regierung sehr wahrscheinlich Erfolg damit haben, wenn sie Hackern eine Million Dollar zum individuellen Angriff auf das Telefon bezahlen würde.“ Beim aktuellen Stand der Technik sei Angriff einfacher als Verteidigung.
Edward Snowden. Grafik: (PGP-Signatur) von Elsamuko, thx! (CC BY-SA 2.0)
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