Stamps Back Crackintro
Stamps Back Crackintro
Bildquelle: Stamps Back

Stamps Back: eine technologische Revolution auf Umwegen

Die Dokumentation "Stamps Back" zeigt Ungarn Ende der 80er Jahre, als man wegen des eisernen Vorhangs nichts Modernes aus dem Westen bekam.

Die Macher von „Stamps Back – ein Maulwurf-Dokumentarfilm“, haben für ihr fertiges Werk insgesamt mehr als drei Jahre gebraucht. Wer sich die kostenlose Doku von Flame Film komplett anschauen will, sollte etwas Sitzfleisch mitbringen. Immerhin dauert sie mehr als zwei Stunden und zwanzig Minuten. Das ist der direkte YouTube-Link.

See you and don’t forget: Please send stamps back!

Stamps Back ist eigentlich ein Spruch aus den Zeiten, als man noch Software in Form von Disketten durch ganz Europa verschickt hat. In manchen Ländern war es noch relativ gefahrlos, die Briefmarken mit durchsichtigem Klebestift der Marken Uhu, Pritt & Co. derart zu präparieren, sodass der Poststempel keine Chance hatte, haften zu bleiben.

In der Folge konnte man die Entwertung der Post-Behörden aufheben, um sie gleich mehrfach zu verwenden. Doch dafür musste der Brieffreund die benutzten Briefmarken zurückschicken, weswegen Mailtrader (Mailswapper) damals ihren Nachrichten als letztes jeweils die Aufforderung „Stamps back“ hinzugefügt haben.

Doku aus einer Zeit, als man Software noch im Briefumschlag verschickt hat

Manche wenige, aber besonders aktive Fälscher, die sich die Portogebühren lieber sparen wollten, konnte die Deutsche Bundespost damals enttarnen. Das war zugegebenermaßen nicht besonders schwer, weil die Disketten unverschlüsselt waren. Außerdem lagen den Disketten nicht selten Votesheets bei, auf denen man die Adressen der beteiligten Swapper abgedruckt hatte.

Da es sich, ähnlich wie beim Blue Boxing, dabei um kein Massenphänomen handelte, hat man die Aufklärung derartiger Delikte offenbar zumeist mit einer eher niedrigen Priorität behandelt. Um die Täter zu schnappen, musste man die Disketten für den C64 oder Amiga einfach nur einlesen. Warum? Fast immer hatten die Software-Tauschpartner auf den Disketten Briefe in Form von Textdateien beigefügt. Auch daraus hätte man leicht die Anschrift der Briefmarken-Faker entnehmen können. Erschwerend bei der Überführung war lediglich die Nutzung von sogenannten Postlagerkarten (PLKs). Dann musste die Polizei im Postamt darauf warten, dass der Mailswapper persönlich erscheint, um sich den Inhalt seiner PLK am Schalter aushändigen zu lassen.

Reduzierung der Portokosten war nicht frei von Gefahren!

In Abgrenzung dazu schraubten auch deutsche Mailtrader ihre Portokosten bis ca. Ende der 90er Jahre nach unten, indem sie lediglich eine Briefmarke im Wert von 10 Pfennig aufgeklebt haben. Die Deutsche Post vermerkte zwar mittels Stempel auf dem Umschlag, dass das Porto nicht ausreichend war. Doch die Postbetriebe in vielen anderen Nationen, allen voran Polen, Ungarn und viele mehr, ignorierten dies. Sie stellten die Disketten zu, ohne ihrerseits dem Empfänger Nachporto in Rechnung zu stellen.

Vor 20 Jahren übernahm zum Großteil das Internet den Transport der Daten quer durch die Welt. Die Schwarzkopien oder legale Produktionen der Demoszene waren zwar innerhalb von Sekunden beim Empfänger. Dafür fielen die liebevoll formulierten Briefe weg, die die Disketten zuvor begleitet haben. Damals sind viele Freundschaften per Brief über Ländergrenzen und viele Kilometer hinweg entstanden. Das Internet sollte alles einfacher machen, doch die persönliche Note fiel weg.

Stamps Back

Das Kombinat Robotron vs. Atari, Commodore & Co.

Der Exkurs in die Software-Distribution mag lang erscheinen. Doch um die größtenteils illegale Verbreitung von Raubkopien geht es auch bei der Dokumentation. Als Anfang der 80er Jahre die ersten 8-Bit-Heimcomputer im Westen eingeführt wurden, konnten viele Menschen des „Ostblocks“ davon nur träumen. Die Technikbegeisterten jenseits des eisernen Vorhangs schauten lange Zeit in die Röhre. Es gab zwar sogar recht gut gemachte Heimcomputer der Marke Robotron, die in der DDR entwickelt und produziert wurden. Doch viele wollten Videospiel-Geräte oder Heimcomputer von Atari, Commodore oder Schneider besitzen. Oder beispielsweise Kassettendecks mit Dolby B/C oder Videorekorder für VHS-Kassetten. An Kopien von damals aktuellen Games, Software oder Spielfilmen war in den achtziger Jahren in Ungarn genauso wenig zu denken.

Der Schmuggel als Innovationsfaktor

Trotz der Isolation und der schlechten Infrastruktur zu dieser Zeit, fanden einige Jugendliche dennoch Wege, große Mengen westlicher Videospiele zu importieren. Sie waren damit verantwortlich für eine explosionsartige Entwicklung der Informatik im eigenen Land. Zwar war der Kauf moderner Hard- und Software von den bösen Westmächten verboten. Doch manche Kids regten im Osten Europas eine Art technologische Revolution durch dunkle Kanäle ein. Was damals immerhin ging, man konnte mit einigen US-Dollars ein paar Mal im Jahr von Ungarn nach Österreich fahren, um das Importverbot der CoCoM-Liste zu umgehen.

Auszüge aus den Untertiteln von „Stamps Back“:

„Es gab eine so genannte CoCom-Liste, die die Einfuhr westlicher Technologie verbot. Es war unmöglich, Software oder Hardware (auf regulärem Weg) zu beschaffen, also musste man sie aus dem Ausland einführen, indem man sie über Kontakte einschmuggelte. (…) Alles, was wir im Auto verstecken konnten, haben wir nach Hause gebracht.“

Transkript von „Stamps Back

Den Interviews ist zu entnehmen, dass so manche Schmuggler dabei ein Vermögen verdient haben. Doch vielen ging es nicht vornehmlich ums Geld, sondern darum, sich die jeweils aktuellsten Geräte leisten zu können. Für die Einwohner Ungarns war die Technologie völlig unerschwinglich. Ein Commodore 64 kostet rund 100.000 Forint, ein 1541-Diskettenlaufwerk für den C64 120.000 Forint. Für ein Auto musste man hingegen nur 60.000 bis 80.000 Forint bezahlen. Folglich war der Commodore 64 teurer als ein Auto, was für verrückte Zeiten!

stamps back

Glücklich konnte sich der schätzen, der beruflich viel reisen und somit die Grenzen des eisernen Vorhangs häufiger übertreten konnte. Solche Personen konnten sich mit Gefrierschränken, Küchengeräten, Videorekordern und Homecomputern eindecken.

Keine legalen Quellen für Software verfügbar!

Tja, für die Software waren die Cracker zuständig. Kaufen konnte man die Software lange Zeit einfach nicht, wie man der Dokumentation „Stamps Back“ entnehmen kann. Wer etwas haben wollte, musste es somit als illegale Kopie gegen einen anderen Crack tauschen oder kaufen.

Bis die junge Generation Osteuropas in der Cracker- oder Demoszene aktiv mitmischen konnten, sollte leider noch recht viel Zeit vergehen. Die meisten Teilnehmer der Amiga Demoszene traten mit einiger Verspätung in Aktion. Und ja, viele davon haben ihre Briefmarken mit einem Kleber versehen. Szener zweiter Klasse darf man sie trotzdem nicht nennen. Unvergessen bleiben Amiga-Musiker wie Dreamer und XTD, Grafiker wie Azzaro oder Lazur, um nur ein paar von ganz vielen zu nennen. Schon lange kann man die Demo-Produktionen der Gruppen aus dem Osten Europas nicht mehr wegdenken. Sei es Exceed oder Conspiracy auf MS-DOS/Windows – Madwizards, Ghostown oder Elude auf dem Amiga – und viele, viele mehr. Es ist wirklich unmöglich, sie annähernd alle aufzuzählen.

Lazur
Pijekuba vom polnischen Grafiker Lazur (Tomasz Pietek). Gemalt mit einem Commodore Amiga 1200.

Interview mit Szilard Matusik, dem Direktor von „Stamps Back“

Wie bist Du eigentlich auf die Idee gekommen, diesen Film zu machen?

Ich war etwa sechs oder sieben Jahre alt, als ich bei einem meiner Cousins zum ersten Mal einen C64 sah. Ich war total fasziniert und ich glaube, von da an war es keine Frage, dass ich mich sehr für Computer interessierte. Die Informatik begleitete mich dann meine ganze Kindheit hindurch und ich wurde schließlich Elektroingenieur.

Während meiner Schulzeit bin ich auch auf die Demoszene gestoßen, die mich total fasziniert hat. Als wir dann später anfingen, Dokumentarfilme zu drehen, war es keine Frage, dass die Demoszene ein sehr gutes Thema sein könnte. Im Jahr 2012 drehten wir unseren zweiten Film (Moleman 2 – Demoscene: The Art of the Algortihms), der den damaligen Stand der Demoszene vor allem aus ungarischer Sicht zeigt.

Der vierte Teil (Moleman 4 – Longplay) handelt von der Blütezeit der ungarischen Videospielentwicklung in den 1980er Jahren, was ein faszinierendes Thema ist. Ungarn war damals noch hinter dem „Eisernen Vorhang“ eingeschlossen. Und da die Demoszene und die gesamte Heimcomputer-Szene in den 80er Jahren unter ähnlich aufregenden Umständen begann, dachte ich, dass es sich lohnen würde, auch das zu dokumentieren.

War die Motivation, Deine eigene Vergangenheit in Wort und Bild festzuhalten?

Da ich 1984 geboren wurde, habe ich nur das Ende der 8-Bit-Ära erlebt. Aber wie ich schon schrieb, war der C64 meine erste und sehr prägende Begegnung mit Computern, so dass ich diese Ära absolut zu schätzen weiß. Ich bin auf dem Land aufgewachsen, und selbst Mitte der 90er Jahre war der C64 in vielen Orten noch der Heimcomputer. Ich hatte nicht einmal einen eigenen C64, sondern nur den meines Cousins. Aber das war eine so prägende Erfahrung, dass ich mir später, in den frühen 2000er Jahren, als niemand mehr einen C64 benutzte, selbst einen kaufte. Letztendlich könnte man also sagen, dass ich meine eigene Vergangenheit dokumentieren wollte, obwohl ich eigentlich etwas später aufgewachsen bin.

Wie lange hat die Produktion des Films „Stamps Back“ gedauert, wie viel hat sie gekostet?

Wir haben 2019 mit den Dreharbeiten begonnen und waren Ende 2022 fertig. Es hat also gut 3 Jahre gedauert, bis der Film fertig war. Wir haben vor den Dreharbeiten eine Indiegogo-Kampagne gestartet und das gesammelte Geld verwendet, um die Ausrüstung für den Film zu kaufen. Für den Film selbst hatten wir kein Budget, er wurde mit gespartem Geld und in der Freizeit gedreht. Jeder hat umsonst daran gearbeitet. Deshalb hat der Film auch 3 Jahre gedauert, denn mit Familie und Arbeit hatten wir sehr wenig Zeit dafür. Wir haben 57 Interviews geführt. Das sind mehr als 72 Stunden Filmmaterial, und daraus habe ich den fast 2,5 Stunden langen Film geschnitten. Das hat ziemlich lange gedauert :)

stamps back

„Stamps Back“ – If you like the film buy us a beer.“

Wie willst Du die Kosten jemals wieder hereinholen?

Ich habe keinen Plan :) Ich habe versucht, den vierten Teil als unabhängiger Filmemacher auf Vimeo und an anderen Orten zu verkaufen. Aber da ich kein Marketing-Budget habe, konnte ich damit kein großes Publikum erreichen und es brachte nur sehr wenig ein.

Außerdem ist sie, wie alle anderen Episoden auch, auf YouTube kostenlos zu sehen. Aber es war nie unser Ziel, mit diesen Filmen Geld zu verdienen. Mit Ausnahme des vierten Teils habe ich nie versucht, damit Geld umzusetzen. Ich möchte sie auch nicht an Verleiher weitergeben, denn die verlangen in der Regel Exklusivität, und dann könnte ich sie nicht mehr online stellen.

„Or a new workstation :) Thanks!“

Wenn du uns unterstützen willst, kannst du das über PayPal auf stampsback.com tun. Oder dich dort für den Newsletter anmelden, denn wir planen eine zusätzliche Blu-Ray-Edition, über die Du im Newsletter erfahren kannst, wenn Du Interesse hast.

conspiracy

Warst Du auch an der Erstellung von Cracks auf dem C64, Amiga oder einem anderen Computer beteiligt?

Nicht wirklich. Wie ich bereits erwähnt habe, wurde ich 1984 geboren. Als ich also mit 12 Jahren mit dem Programmieren anfing, hatte ich bereits einen PC und versuchte, meine eigenen Spiele zu entwickeln. Ich liebte immer noch den C64, aber darauf habe ich nichts entwickelt. Als ich in der weitergehenden Schule war, bin ich zu Demopartys gegangen. Aber ich habe mich hauptsächlich mit 3D-Grafik auf dem PC beschäftigt, und ich habe ein oder zwei Veröffentlichungen in diesen Kategorien eingereicht.

Szilard Matusik, Direktor von Stamps Back.

Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Außerdem brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, seit 2014 an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert.