Anfang der 90er kamen die gecrackten Spiele von illegalen Mailboxen. Von solchen, wie von Hamster von TRSI, mit dem wir gesprochen haben.
Gecrackte Software tauschte man damals unter der Hand im Freundeskreis oder auf dem Schulhof, das hat Hamster vor seinem Einstieg in die Szene genauso gemacht. Oder man traf sich dafür in einem der großen Kaufhäuser in den Computer-Abteilungen, um geeignete Kontakte zu knüpfen. Für die dritte Episode des Podcasts „Unter dem Radar“ beleuchten wir die Ursprünge der illegalen Crackerszene in Europa.
Podcast „Unter dem Radar“ mit Hamster von TRSI
Ganz am Anfang verschickten die Cracker-Gruppen ihre Spiele für den C64 und Amiga per Post. Die Akteure nannten sich Mailswapper. Sie verwendeten dafür zumeist eine anonyme Postlagerkarte (PLK). Wer keine guten Kontakte hatte, musste halt für den aktuellen Stuff bezahlen. Im Sommer 1991 schaffte die Post die PLKs ab. An ihre Stelle trat die BBS-Software Amiexpress und die Modem-Szene.
Später verteilten die Release Groups ihre Cracks in den Mailboxen. Vor 30 Jahren spielte das Internet hierzulande noch keine Rolle. Wir haben den Düsseldorfer Heinz-Willi Lietzow, einen früheren Betreiber einer solchen illegalen Mailbox, ausführlich befragt. Lietzow aka Hamster von TRSI kennt die Szene noch aus den Zeiten, als man im Handel nur Modems mit 2400 Baud erwerben konnte.
Mit so einem Gerät dauerte die Übertragung einer Amiga-Diskette mindestens eine Stunde. Dafür verwandelte das Modem die Daten in Töne, übertrug sie über die Telefonleitung und das Modem auf der anderen Seite verwandelte die Töne zurück in Daten.
Kim Dotcom befriedigte sein Ego und machte alles kaputt!
Anfang der 90er Jahre konnten alle Szenemitglieder umsonst telefonieren und ihre Modems benutzen, auf globaler Basis, versteht sich. Das ging mithilfe vom Blue Boxing. Dabei rief man eine für den Anrufer kostenlose 0130er Nummer an, ließ sich mit MCI verbinden und gaukelte dem US-Satelliten dann mittels einer speziellen Tonabfolge vor, dass man aufgelegt hat.
Der Satellit erkannte die Töne als seine eigenen und gab die Leitung frei. Und wer wusste, wie es ging, konnte dann alles und jeden umsonst anrufen. Hamster hat das übrigens nie gemacht, wie er erzählt.
Das funktionierte exakt bis zu dem Zeitpunkt, als Kim Schmitz (Kim Dotcom) Blue Boxing (BB) live im deutschen Fernsehen vorgeführt hat. In der Folge setzte die Deutsche Post (heute Telekom) Filter und Blocker ein, um das kostenlose Telefonieren unmöglich zu machen.
Zwar gab es da schon schnelle Modems von US Robotics. Doch ohne funktionierende BB-Frequenzen hätten die Anrufer der Mailboxen horrende Telefonrechnungen im fünfstelligen Bereich generiert. Und das jeden Monat aufs Neue. Auch die Betreiber der Mailboxen merkten schnell, dass die frische Ware ausblieb. Die Szene musste sich nach anderen Alternativen umschauen.
Damals gab es noch kein DSL für jedermann!
Das Internet gab es 1990 zwar schon. Aber es war den Universitäten und ihren Mitarbeitern bzw. einzelnen Studenten vorbehalten. Wir sprechen mit Hamster auch über den Weg der Original-Spiele vom Großhändler über die Original Supplier mit Gewerbeschein als Händler bis zum veröffentlichten Crack. Ähnlich wie heute standen viele Gruppen miteinander in Konkurrenz. Jeder wollte der Erste sein und einen fehlerfreien Release abliefern, wenn ein neues Game für den Amiga, C64, MS-DOS oder eine Spielkonsole herauskam.
Heinz-Willi Lietzow hat irgendwann die Pforten seiner Westpoint BBS für immer geschlossen. Warum weiter ein großes Risiko auf sich nehmen, zumal in ganz Deutschland mehrere hundert Mailboxbetreiber im Laufe der Jahre Besuch von der Polizei erhalten haben. Der Name Hamster war nun wahrlich alles andere als unbekannt. Die Gruppe TRSI erst recht nicht. Sie gehörten vor 30 Jahren mit zu den aktivsten Crackergroups in Deutschland.
Interessen wandelten sich, Kontakt blieb bestehen!
Doch damit ist das Hobby für Lietzow noch lange nicht vorbei! Er besucht regelmäßig Demopartys, wenn Corona es zulässt. Außerdem ist er stets mit den anderen Mitgliedern seiner Gruppe im engen Kontakt geblieben. Die Jungs von TRSI sind so etwas wie seine erweiterte Familie. Also Menschen, die man seit mehreren Jahrzehnten mit all ihren Stärken und Schwächen schätzen gelernt hat.
Das ausführliche Gespräch mit Hamster kann man kostenlos von hier herunterladen oder sich anhören. In wenigen Stunden dürfte die Episode bei allen größeren Anbietern verfügbar sein. Also bei iTunes, Spotify, Deezer etc. pp. Das Gespräch ging ursprünglich über eine Stunde. Es hätte noch unendlich länger dauern können, an Themen mangelte es schlichtweg nicht.
Credits
Das Musikstück Amphetamine Tears, was wir am Anfang des Podcasts aufbereitet haben, stammt von Sotiris Varotsis (aMUSiC) und Fotis Panetsos (Leviathan) von Andromeda Software Development. Das Werk erschien 2005 unter der Lizenz (CC BY-NC-SA 3.0).
Die Podcast-Grafik (siehe oben) gestaltete netterweise Markus Kunkel (H2O) für uns, vielen Dank!
Am Mikro standen diesmal Lars „Ghandy“ Sobiraj und Hamster. Den Schnitt hat wie üblich Antonia übernommen.
Tarnkappe.info