Interview mit dem ZDF-Moderator Cherno Jobatey. Jobatey ist nach 20 Jahren beim mo:ma für das ZDF als Gesellschaftsreporter tätig.
Cherno Jobatey. Wer an ihn denkt, hat sein Lächeln, die schwarzen Locken, den Anzug und die obligatorischen Turnschuhe vor Augen. Wer ihm genauer zuhört, wird schnell erkennen, dass er über viele Jahre hinweg weit mehr als nur der Strahlemann vom ZDF-morgenmagazin war.
Wie dem auch sei, extrem früh aufstehen, muss er vorerst nicht mehr. Jobatey wird nach 20 Jahren Zugehörigkeit zum mo:ma künftig für das ZDF als Gesellschaftsreporter tätig sein.
Wie es zum Interview mit Cherno Jobatey kam
Jetzt mögen sich vielleicht manche Leser fragen, wie man an ein Interview mit diesem Moderator kommt. Nun. Das war eigentlich ganz einfach. Mir wurde im Sommer 2010 eine Karte für seine Vortragsreihe „Digitale Macht – Die stille Revolution“ geschenkt. Anders als sonst war ich viel zu früh dort, was mich aber nicht davor bewahrte, mir mühevoll den Weg durch das Essener Haus der Technik suchen zu müssen.
Herr Jobatey langweilte sich ein wenig am Eingang des Saales, bis er meinen gulli-Button entdeckte. Wir unterhielten uns angeregt, als er plötzlich zum Auftakt der Veranstaltung gerufen wurde. Am Ende seines sehens- und hörenswerten Vortrages versprach ich ihm, ich würde ihm per E-Mail auf den Keks gehen, was auch prompt geschah. Einige unterhaltsame Telefonate später konnte dann das fertige Interview auf gulli.com veröffentlicht werden.
Er hat die Wirkung des Internets und den Werdegang von Barack Obama genauer untersucht und versucht in Vorträgen der wirtschaftlichen Führung Deutschlands nahezubringen, wie man die Mechanismen des Netzes auch hierzulande einsetzen könnte. Cherno selbst ist bei jedem größeren sozialen Netzwerk vertreten. Neben dem Betrieb seiner offiziellen Website veröffentlicht er täglich Kommentare zu politischen und wirtschaftlichen Themen auf seinem Blog Jobateyjournal und regt die Besucher zum Lesen an.
Im Rahmen des Interviews sollten wir das Themenfeld Politik eigentlich außen vor lassen, was aber glücklicherweise am Ende nicht passiert ist. Cherno erklärt uns, warum keine Daten die Besten sind. Und ja, er erläutert uns auch, warum Deutschland nicht Fußballweltmeister geworden ist.
Woher kannte er gulli.com?
Lars Sobiraj: Cherno, woher kennst du gulli eigentlich?
Cherno Jobatey: Ich war als Surfer auf der Suche nach etwas …
Lars Sobiraj: Gib zu, du hast nach einer Raubkopie gesucht!
Cherno Jobatey: Nein, das war es nicht (lacht). Meine kleine Cousine wollte ihren Führerschein machen. Bei gulli gab es eine Besprechung von Führerscheinfragebögen im Forum. Mit Spannenderem kann ich leider nicht dienen…
Lars Sobiraj: Nein, ich finde es eigentlich grad spannend. Du bist 45 Jahre alt, in welchem Zusammenhang bist du damals übers Internet gestolpert? Hast du ansatzweise erkennen können, welchen Raum dieses Medium später in unser aller Leben einnehmen würde?
Cherno Jobatey: Ich glaube, niemand hat sich vorstellen können, wie groß das Internet mal wird. Wer das sagt, der flunkert. Ich glaube, die erste Webcam hat eine Kaffeemaschine aufgenommen. Zu dem Zeitpunkt hat sich niemand vorstellen können, dass ein ganzer Hollywoodfilm darüber laufen könnte. Wie groß die Revolution wird, haben bis heute glaube ich viele nicht erkannt.
Der erste Computer von Cherno Jobatey war ein Macintosh
Was ich mir damals vorstellen konnte, war, dass sich die Distribution, also die Verteilungswege darüber ändern können. Was das letztlich ausmacht, war nicht absehbar. Die heutigen Bandbreiten waren damals auch nicht verfügbar. Zwischenzeitlich wurde das Format MP3 erfunden, um Musikstücke zu komprimieren. Wenn man heute einen 16-Jährigen fragt, für den ist das überhaupt kein Thema mehr. Die nehmen das als gegeben hin.
Ich selbst habe mit zirka 16 Jahren angefangen mit einem Macintosh. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mehr, wie das Gerät hieß. Rechner waren damals sehr teuer. Man kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, dass eine Festplatte mit zwei Megabyte (und nicht Gigabyte) zweitausend DM gekostet hat. Damals gab es Disketten, heute weiß kaum noch jemand, was das ist …
Lars Sobiraj: Heute muss man sich das Laufwerk extra dazu bestellen, wenn man es im Desktop-PC eingebaut haben möchte.
Cherno Jobatey: Ja, die Disketten… Und das Internet hat mich von Anfang an schwer beeindruckt.
Kann man Obamas Wahlkampf auf .de übertragen?
Lars Sobiraj: Dann bleiben wir mal beim Thema Technik. Du hast vor fast einem Monat einen sehr interessanten Vortrag mit dem Titel „Digitale Macht – Die stille Revolution“ gehalten. Da hast du sehr ausführlich erklärt, wie Barack Obama mithilfe des Internets seinen Wahlkampf gewinnen konnte. Jetzt läuft der Hase in Deutschland ganz anders, inwieweit ist denn eine Übertragung dieser Strategie auf deutsche Verhältnisse möglich?
Cherno Jobatey: Man kann nie eine Strategie 1:1 auf einen anderen Kulturkreis übertragen. Das geht nicht, weil die Menschen jeweils anders sind. Amerikaner schauen wesentlich mehr fern, lesen weniger Zeitung. Bei uns ist die Zeitung wesentlich wichtiger. Dazu gibt hier bei uns ein starkes öffentlich-rechtliches Fernsehen. Rund 40% des Marktes ist nicht kommerziell orientiert. Das prägt den Markt und bedeutet in der Konsequenz: Wir haben andere Nachrichten.
Verglichen mit den USA ist die Bandbreite der Nachrichten viel größer. Wenn man das Obama-Prinzip übertragen will, muss man es anders übertragen. Man kann hier wie dort das Internet als Verteilungsmedium benutzen. Wenn in den USA Wahlkampf ist, ist mein E-Mail-Postfach voll mit Prospekten und allen möglichen Mitteilungen.
Bei uns wäre hier ein anderer Schwerpunkt wichtiger: Soweit ich weiß, gibt es kaum Suchmaschinenoptimierung bei den Webseiten vieler Parteien. Worum es hier eigentlich geht, ist Deutungshoheit. Wenn man überlegt, dass in Deutschland täglich 137 Millionen Suchbegriffe eingegeben werden. Und wenn man sich dann vor Augen hält, dass diese große Zahl von Suchenden quasi von Parteien nicht abgeholt wird, ist das nicht nachvollziehbar.
Es ist ein offenes Geheimnis:
Bei Google zählen eigentlich nur die Ergebnisse der ersten zwei Seiten.
Wenn man ein beliebiges aktuelles politisches Wort eingibt, wie etwa Rauchverbot, Konjunkturpaket oder Bundespräsident etc. Das verstehe ich nicht, dass nicht mehr Mitarbeiter bei den Parteien darauf achten, dort in den Suchergebnissen ganz oben vorzukommen. Wenn man ein Wort wie Limousine eingibt, da prügeln sich die ganzen Autohersteller darum, gut auffindbar zu sein. Bei der Politik ist doch eher vornehme Zurückhaltung angesagt zu sein.
Lars Sobiraj: Oder liegt es vielleicht daran, dass die führenden Politiker im Gegensatz zu Obama selber nicht so technikaffin sind? Obama gilt als jemand, der selbst viel mit Technik zu tun hat und der nicht alles für sich schreiben lässt. Wenn Tweets von Dritten im Auftrag geschrieben wurden, so kann man das den Einträgen ja sehr deutlich ablesen …
Cherno Jobatey: Dass Obama wirklich alles selbst schreibt, dafür möchte ich nicht die Hand ins Feuer legen (lacht). Aber, deutsche Politiker sind ja schon dabei, aber zu wenig. Zeitungsinterviews, Radiointerviews, sie sprechen im Fernsehen. Das ist für die Meisten immer noch das Wichtigste. Doch das sind Techniken des letzten Jahrtausends. Bei uns geht alles langsamer.
Die meisten Politiker haben Webseiten mit Twitter-Account und sonst was. Ich glaube nur, die Prioritäten verändern sich erst langsam. Bei Firmen sieht es ähnlich aus. Eigentlich geht der Kampf um die Deutungshoheit. Aber anscheinend ringen immer noch zu viele mit sich selber.
Wir in Deutschland sind halt sehr gründlich und manchmal dadurch langsam…
Man darf ja nicht vergessen, dass digitale Technik nicht immer aus dem Ausland kommt. Alle sagen immer die besten Programmierer der Welt leben in Silicon Valley. Man muss kein SAP-Fan sein, um zu wissen, dass es auch welche in Deutschland gibt. Viel gute Musiksoftware kommt aus Deutschland. Logic und Cubase kommen beide aus Hamburg. Ganz ehrlich, die Welt der Musik auf dem Rechner wäre anders, wenn es keine programmierenden Fischköppe gäbe.
Lars Sobiraj: Die Wahl des Bundespräsidenten war ein Ereignis, das sehr viele Menschen in Deutschland interessiert hat. Bei uns herrscht eine ausgeprägte Politikmüdigkeit in der Bevölkerung vor. Wäre das Internet vielleicht eine Möglichkeit, wie Politiker die Menschen wieder für ihre Arbeit interessieren könnten?
Cherno Jobatey: Ich bejahe das eindeutig. Das Internet kann Nähe erzeugen auf eine Art und Weise, die es vorher nicht gab. Und wenn Leute darüber transparent machen, warum sie wie und was entscheiden, das wäre doch super.
Man muss sich natürlich vorher überlegen, wie die eigenen Aussagen rüberkommen. Was Herr Köhler im Interview gesagt hat, war eigentlich keine Sensation, weil das was er gesagt hat im Weißbuch der Bundeswehr steht. Das lesen natürlich nur sehr wenige Leute. Wenn dieses Weißbuch gut präpariert online gewesen wäre, wäre die Aufregung wahrscheinlich geringer gewesen. Man kann dadurch Entscheidungen nachvollziehbar machen. Man kann natürlich nie ganz verhindern, dass Personen Zusammenhänge nicht verstehen, oder nicht verstehen wollen.
Aber man kann Entscheidungen besser erklären und an dem Punkt stimmt der Vergleich mit Barack Obama auch wieder. Zu George W. Bushs Zeiten war in Politik den USA anders. Durch Obamas Wahlkampf kamen Fakten zurück in die normale Politik, Politik wurde dadurch entemotionalisiert.
Bei uns war die Situation anders
Mag man in Deutschland eine Partei nicht, so weiß man zumindest, was die machen oder wofür sie stehen. Schwierig wird es aber, wenn man so überhaupt nichts weiß.
Wir hier mögen Inhalte, streiten über Fakten und sind näher am Thema dran. Bei der Wahl des Nachfolgers von Köhler wurde auch viel über Inhalte geredet und nicht, warum sie einen Kandidaten mögen oder nicht. Aber auch hier gäbe es in gutes Beispiel: Die wenigsten wissen über Christian Wulff, dass er, seitdem er 14 Jahre alt war, nicht nur seine schwer kranke Mutter versorgte, sondern auch seine 7-jährige Schwester großzog. Wenn man als Teenie schon eine so schwere Verantwortung übernehmen muss, das prägt einen Menschen nachhaltig. Das weiß aber hier kaum jemand, das wurde nicht kommuniziert. Ein Obama hätte das mit Texten, Bildern und… (lacht).
Lars Sobiraj: … vielleicht sogar Live-Videos bekannt gemacht. Wie wäre es mit einer Webcam vom Krankenbett oder Ähnliches?
Cherno in Action!
Cherno Jobatey: So vielleicht nicht, aber er hätte auf jeden Fall dafür gesorgt, dass es bekannt ist. Das funktioniert heutzutage mit wenig Aufwand und relativ geringen Kosten. Früher ging das schlichtweg nicht und das ist der Unterschied. (In dem Moment ruft seine Managerin an, die verwundert zur Kenntnis nimmt, dass Cherno uns ein Telefoninterview gibt.)
Lars Sobiraj: Da wir gerade über Herrn Köhler gesprochen haben, du hast ja sehr viel direkten Kontakt zu Politikern. Warum können die im Fernsehen nicht einfach mal Tacheles reden? Warum ist es eigentlich nicht möglich, dass die Politiker im Fernsehen die Wahrheit sagen? Ist das zu gefährlich geworden? Wollen die Menschen die Wahrheit gar nicht hören?
„Wir mögen keine Unwahrheiten…“
Cherno Jobatey: Wenn jemand ins ZDF-Morgenmagazin kommt und wir fragen, dann antworten der- oder diejenige auch. Natürlich gibt es immer Menschen, die um den heißen Brei herum reden. Wir bemühen uns dann aber dafür zu sorgen, dass man auch merkt, wie wenig gesagt wird, was ja auch eine Aussage ist. Um es ganz klar zu sagen: Wir mögen keine Unwahrheiten…
Lars Sobiraj: Das wollte ich damit auch nicht ausdrücken. Herr Köhler hat sehr knackig und kurz ausgedrückt, was seit Jahren im Weißbuch der Bundeswehr steht. Ist das für die Politiker mittlerweile vielleicht zu gefährlich geworden? Wollen die Bürger die Wahrheit wirklich so kompakt hören? Da besteht doch ein Widerspruch. Einerseits sind die Bürger politikmüde, weil immer nur taktisch gesprochen wird. Und dann redet jemand Klartext und wird dafür abgestraft.
Cherno Jobatey: Hier geht’s doch mehr darum, wie Politik verkauft wird. In dem Fall haben hinterher einige Leute auf ihn eingedroschen und niemand weiß, warum Horst Köhler tatsächlich zurückgetreten ist. Ich glaube nicht, dass das Interview allein der Grund für den Rücktritt war. Er hat gesagt, dass die Kritik den Respekt vor dem Amt vermissen lässt. Es ist schwer etwas dazu zu sagen, weil nur er selbst die genauen Hintergründe kennt.
Wichtig ist vor allem die Frage, wem man folgt.
Lars Sobiraj: Wenn man sich Twitter oder Facebook anschaut, was dort an Tweets oder Informationen veröffentlicht wird: Ich behaupte, dass zirka 90% aller Mitteilungen sinnlos oder zumindest inhaltlich sehr dünn sind. Jemand tweetet: Ich mache mir jetzt eine Pizza. Der nächste User schreibt, er schwitzt gerade in der Sonne etc. Aber im Gegensatz zu einem Newsportal, wo es um reine Inhalte geht – sind die Sozialen Netzwerke wirklich so wichtig?
Cherno Jobatey: Kein Wunder, wenn da jemand schwitzt, es ist ja auch sehr heiß derzeit. Ich halte die Sozialen Netzwerke für wichtig und es ist vor allem eine Frage, wem man folgt.
Was ich auf meinem Vortrag gesagt habe, ist: Es gibt ein neues Spiel und jeder kann daran teilnehmen. Die neue Spielfläche hat sich vereinheitlicht, jeder ist auf gleicher Augenhöhe mit jedem. Jeder kann sagen, was er für relevant hält. Wenn für jemanden die Pizza wichtig ist, okay super. Wenn aber jemand als Präsident via Social Media bekannt gäbe, dass er zurücktritt, so ist das wahrscheinlich für mehr Leute wichtig.
Hier in Berlin war gerade die Feierwoche mit den politischen Partys der Landesvertretungen. Am Abend der Bundespräsidentenwahl waren dort ca. 2000 bis 3000 Personen und wollten wissen, wie der dritte Wahlgang ausgegangen ist. Es gab dort kein Radio und keinen Fernseher oder sonst etwas. Ich habe in meinem Smartphone zwei Nachrichtenwebseiten gespeichert und die hatten noch nichts gemeldet. Allerdings kam dann was getwittert, so 10 Minuten vor allen anderen Nachrichtenseiten.
Cherno Jobatey über Soziale Netzwerke
Lars Sobiraj: Die FAZ ist am gleichen Abend auf eine Ente bei Twitter hereingefallen …
Cherno Jobatey: Aber es wird immer Enten geben, die Ente ist so alt wie der Journalismus. Es ist natürlich ein Unterschied, ob heute.de etwas meldet oder Peter Müller aus Hintertupfingen. Es mag durchaus richtig und wichtig sein, was der Peter Müller berichtet. Jedoch: Ich kenne den Mann nicht, aber ich kenne heute.de. Und so verlasse ich mich seit Jahren eben auf heute.de .
Lars Sobiraj: Möglich, aber wenn dort so viel Chit Chat kursiert, sind diese Mitteilungen denn trotzdem für normale Surfer relevant? Will ich denn wirklich wissen, wer wann auf Toilette geht oder welche Pizza er gerade verzehrt?
Cherno Jobatey: Du hast beim Folgen, also wem Du zuhörst, die Qual der Wahl.
Das war nur ganz früher ganz anders. Im Mittelalter gab es als Informationsquelle nur ein Buch, später nur eine lokale Zeitung. Dann kam zuerst ein Radio, dann immer mehr. Heute kann hierzulande jeder durchschnittlich 73 TV- Sender sehen, und damit mehr als doppelt so viele wie noch vor 10 Jahren. Aber über 80% der täglichen Fernsehnutzung entfällt auf nur sechs Sender.
Folge oder lies nur da, wo Du was erfährst, wo etwas Nützliches für Dich ist.
Allerdings, TwitterFollower haben mir etwa schon gemailt, ob ich denn neben all dem Politischen und dem IT-Kram nicht mal auch was Lustiges, was zum Lachen posten könne.
Soziale Netzwerke: für den Klasse-Service „bezahlt“ man mit seinen Daten.
Lars Sobiraj: Jetzt sind derartige Netzwerke ja auch Datenkraken, bei dem Volumen an Daten, die dort angesammelt werden. Du bist auch beim VZ-Netzwerk vertreten und dort sind einige Datenpannen bekannt geworden. Ist das nicht eine riesige Gefahr, wenn in wenigen Händen so viele Daten vorhanden sind? Muss gar der Gesetzgeber darauf reagieren?
Cherno Jobatey: Letztendlich muss jeder auf sich selber aufpassen. Das war schon immer so und das wird auch immer so bleiben. Ich würde niemals meine private Handynummer in ein Netzwerk ‚rein packen. Jeder muss sich gut überlegen, wie viele seiner privaten Dinge er öffentlich ‚rein stellt. Eine Lehrerin in Bayern hat im Unterricht die SchülerVZ -Seiten ihrer Schüler ausgedruckt und im Klassenraum an die Wand gehängt. Die Schüler sind ausgeflippt und fragten die Lehrerin beleidigt, wie sie so was machen könne. Dabei wollte sie nur klar machen, was Öffentlichkeit ist.
Die besten Daten sind immer noch keine Daten!
Lars Sobiraj: Auf gut Deutsch: Die besten Daten sind keine Daten!
Cherno Jobatey: Naja…Man muss abwägen. Das Geschäftsmodell der Netzwerke ist bekannt. Gratis, aber nicht umsonst!
Man bekommt jede Menge Klasse-Service und „bezahlt“ mit seinen Daten.
Lars Sobiraj: Du hast auf deinem Vortrag ausgeführt, dass die neuen Türsteher der Informationen die Suchmaschinenanbieter wie Google sind. Die Webmaster sind dazu gezwungen, ihre Websites so zu gestalten, dass man die Suchbegriffe von dort auffindet. Reizt das nicht dazu, diese Macht zu missbrauchen? Und wenn ja, was könnte man dagegen tun?
Cherno Jobatey: Was die alles tun könnten, das wissen nur die beiden Firmenchefs Sergey Brin und Larry Page selbst. Ich bin weder Larry noch Sergey (lacht). Ich bin nicht Google. Das hat manchmal Vorteile ….
Lars Sobiraj: Aber auch Nachteile. Aber mal etwas anderes: Jetzt gibt es im Internet eine neue Riege von Bloggern, die meinen, sie würden die Zukunft des Journalismus ausmachen. Wie ernst nimmst du das?
Cherno Jobatey: Konkurrenz belebt das Geschäft, ich finde das klasse. Nichts ist langweiliger als Langeweile. Wer das machen möchte, ist doch prima. Wenn ich mir überlege, wie ich als Journalist anfing. Nun, wenn ich ganz ehrlich bin, da habe ich kopiert und Kaffee gekocht, bevor ich mal etwas schreiben durfte. Und wenn man gleich schreiben darf, ohne Zeit zu verschwenden, das ist doch super. Wenn man etwas mitzuteilen hat, umso besser. Es gibt ja auch ein paar Kollegen, die das sehr gut machen.
Cherno Jobatey: „Mithalten kann jeder, der etwas zu sagen hat!“
Lars Sobiraj: Können die denn ohne klassische Ausbildung mithalten?
Cherno Jobatey: Im Journalismus haben sehr viele Leute keine klassische Ausbildung genossen und sind sehr erfolgreich. Natürlich können die mithalten. Wer etwas zu sagen hat, hat was zu sagen, und sagt es einfach! Nochmal: Ich musste mich früher am Pförtner vorbei schwindeln, bevor ich kopierte und Kaffee kochen durfte. Weil ich das gut konnte, durfte ich mal was publizieren. Klar, ich habe damals Politik studiert. Aber entscheidend war auch, wie gut mein Kaffee war.
Lars Sobiraj: Eine komische Qualifikation, oder?
Cherno Jobatey: Die Story mit all ihrem Inhalt ist entscheidend. Wenn man also nun die Möglichkeit hat gesehen oder gelesen zu werden, ist doch toll. Dann findet sich meist auch ein Publikum. Nochmal ganz deutlich:
Mithalten kann jeder, der etwas zu sagen hat! Das finde ich total spannend. Beispielsweise Bryanboy, das ist ein philippischer Modeblogger. Der hat Millionen Anhänger, der Blog läuft im asiatischen Raum wie verrückt. Er sitzt bei den Modenschauen von Dolce & Gabbana in der ersten Reihe neben Anna Wintour der Frau von „Der Teufel trägt Prada“. So einen Einfluss hat er. Er ist Anfang bis Mitte 20. Wie? Nicht mithalten? Der sitzt dort, weil er große Zeitungen von seinem Einfluss her platt macht.
Es gibt einige von diesen Beispielen. Man muss sich nur was einfallen lassen. Etwa wie diese Blondine namens iJustine. Sie ist, wie gesagt blond und macht ganz lustige Interviews. Manches ist naja…, aber es ist anscheinend brüllend komisch. Der folgen Millionen Leute.
Oder da ist da noch ein Weinhändler Gary Vaynerchuk. Alle genannten können es in ihrer Reichweite durchaus mit einigen Sendern aufnehmen.
Blick in die Zukunft des Webs
Lars Sobiraj: Jetzt haben wir etwas über die Anfänge des Internets gehört, vieles über die Gegenwart und nun würde ich mit dir zusammen gerne einen Blick in die Glaskugel wagen. Was glaubst du als jemand, der sehr viel mit dem Internet arbeitet – wie wird sich das Web verändern? Wie könnte das Web in fünf oder zehn Jahren aussehen?
Cherno Jobatey: Ich würde sagen, es wird mobiler. Und es wird einfacher und unsichtbarer. Wir werden es überhaupt nicht mehr merken, was Internet ist. Wenn du in Amerika in den Städten bist, da sieht man überall die alten Stromleitungen über der Straße. Bei uns kommt der Strom aus der Steckdose. Wo bei uns die Laternenmasten stehen, da sind in den USA die Strommasten, die klappern, rattern und knattern. Die Masten sind aus Holz und du bekommst mit, dass da Strom ist. Bei uns sieht man den Strom bis auf die Überlandleitungen nicht. Und so ähnlich wird das Internet einfach da sein, also wireless, drahtlos. Und so wie Gas, Wasser, Strom da sind, so werden auch die Daten einfach nur da sein.
Ob du fern siehst, online oder über terrestrischen Empfang, wird dann keinen Unterschied mehr machen. So wie du jetzt telefonieren kannst über eine Stromleitung, über eine Kabelleitung, wireless oder über einen DSL-Anschluss.
Lars Sobiraj: Du sprichst also über solche Allroundgeräte, die gleichzeitig Spielkonsole, Telefon, Browser, RSS-Feedreader und Terminplaner sind …
Cherno Jobatey: Ja und der Zugang an sich ist egal, das ist dann nicht mehr so der Punkt. Ob du nun über GSM, das UMTS-Netz, WLAN, WiMAX oder etwas anderes gehst Das ist dann von der Unterscheidung her so wichtig wie Diesel oder Superbenzin. Du fährst von A nach B. Ob du nun mit Biogas, Diesel oder Elektro fährst, es spielt keine Rolle. Es ist zwar wichtig aber nicht entscheidend, um mit deinem Auto dein Ziel zu erreichen. Vielleicht für dich persönlich. Aber entscheidend ist es nicht, weil du kommst von A nach B.
Was macht Cherno Jobatey in 10 Jahren?
Lars Sobiraj: Und was machst du in fünf oder zehn Jahren?
Cherno Jobatey: Da das Netz exponentiell wächst…. Die Leute, die ich kenne, die sich ein Smartphone gekauft haben, sind nur noch mit dem Smartphone online.
Lars Sobiraj: Nein, ich meinte: Wo es dich hin verschlägt, in fünf bis zehn Jahren?
Cherno Jobatey: Wenn man mich vor zehn Jahren gefragt hätte, was ich heute mache, das hätte ich mir nicht vorstellen können. Ich bin und bleibe halt ‘ne Nachrichten-Nase und habe das Glück machen zu dürfen, was mir echt Spaß macht. (lacht)
Lars Sobiraj: Genau das macht es ja auch spannend. Letzte Frage: Zum Fußball…
Cherno Jobatey: Also ich dachte ja fest, wir werden das. (Weltmeister) Die Spiele waren so gut. Wir haben eine solch junge Mannschaft, die Özils, diese Müllers und den Schweini.
Über König Fußball
Lars Sobiraj: Nein, der heißt doch jetzt Herr Schweinsteiger.
Cherno Jobatey: OK, der Herr Schweinsteiger war auch gut, aber noch besser war der Verteidiger aus Berlin, der Arne Friedrichs. Ja, wir Berliner müssen zusammenhalten! Es ist einfach unglaublich guter Fußball. Aber wir sind noch 4 Jahre zu früh. Nicht das Können sondern die Erfahrung könnte noch ein bisserl mehr sein. Eine alte italienische Weisheit sagt: Wer durch Konter lebt, stirbt durch Konter…
Lars Sobiraj: Ich hoffe, dass dir meine Fragestunde gefallen hat und vielen Dank für das Interview.
Cherno Jobatey: Und dir ein schönes Wochenende!
Fotos: Jobatey privat