Dieses Interview mit Andreas Eschbach ist aus November 2009. Es geht um Überwachung, Biosprit, vom Schreiben leben und andere Utopien.
Andreas Eschbach ist seit vielen Jahren einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Science-Fiction Autoren überhaupt. Im November 2009 veröffentlichte ich ein Interview mit ihm, bei dem sich alles um Wahlcomputer, staatliche Überwachung, Biosprit, vom Schreiben leben und andere Utopien drehte.
Interview mit Andreas Eschbach
Für alle Sozialromantiker und Fantasten unter den Möchtegernschriftstellern rückt Andreas Eschbach erst mal so einige Mythen gerade. Wer auch immer mithilfe seiner Tastatur seine Rechnungen bezahlen will, sollte sich darauf einstellen, dass das vor allem mit harter Arbeit zu tun hat. Rampenlicht, viel öffentliche Wahrnehmung, Drugs, hübsche Begleiterinnen oder Rock ’n‘ Roll sollte man lieber gleich wieder vergessen. Oder, um es mit seinen Worten zu sagen – sich einen anderen Beruf suchen.
Seine Message lautet: Beim Schreiben gibt es keinen Zauber. Es gibt nur dich, eine gute Idee, jede Menge Hirnschmalz, hoffentlich ein wenig Erfahrung, ganz viel Ausdauer und dein Manuskript. Wer es fertiggestellt hat, sollte es zunächst für einige Wochen vergraben und später nochmal in Ruhe durcharbeiten. Halb gare Texte und übertriebene Eile kommt auch in den Verlagshäusern weniger gut an. Doch genug der Einleitung, bitten wir Herrn Eschbach endlich auf unsere virtuelle Bühne.
Lars Sobiraj: Herr Eschbach, Ihr Leben ist nicht sonderlich geradlinig verlaufen. Vom Student für Luft- und Raumfahrttechnik über eine Anstellung als Softwareentwickler. Später waren Sie als Unternehmer tätig, das vorläufige Ende Ihrer Karriere stellt Ihre Tätigkeit als Schriftsteller dar. Wie kam es zu diesen Sprüngen in Ihrer Vita?
Andreas Eschbach: Aus heutiger Sicht waren das alles – vergebliche – Versuche, eine Alternative zur Schriftstellerei zu finden, weil ich lange den Eindruck hatte, dass Schreiben kein wirklich gangbarer Weg sei, mein Leben zu bestreiten.
Lars Sobiraj: Hätten Sie die Wahl – würden Sie es wieder genauso machen?
Andreas Eschbach: Nein – das hieße ja, dass ich überhaupt nichts aus meinen Fehlern gelernt hätte! Ich würde EINE MENGE anders machen. Unter anderem würde ich das mit dem Studium bleiben lassen. Die Zeit hätte ich anderweitig nutzbringender verplempern können.
Was könnte man erzählen, hätte man im Leben keine Fehler gemacht?
Aber andererseits – was hätte man denn zu erzählen, wenn man keine Fehler gemacht hätte? Das ist so ähnlich wie der Urlaub, in dem alles mögliche schiefgeht: Während man in der misslichen Lage steckt, ist man genervt oder panisch oder erschöpft – aber dafür hat man später einen Sack voll Anekdoten.
Also, ich würde es, hätte ich die Wahl, anders machen – aber der sich daraus ergebende Lebenslauf wäre vermutlich kaum geradliniger …
Lars Sobiraj: Bewirbt man sich in Deutschland, so fallen Menschen mit krummen Lebensläufen gerne unter den Tisch. In den USA neigt man dazu, jede Tätigkeit eines Bewerbers als zusätzliche Erfahrung zu werten – wie sehen Sie das?
Andreas Eschbach: Ich weiß nicht, ob das in den USA wirklich besser ist; eigentlich bezweifle ich es, weil in der dortigen Gesellschaft ja eher ein höherer Konformitätsdruck herrscht als bei uns. Aber ansonsten: Ja, es ist mir glasklar, dass ich so einer bin, den kein vernünftiger Personalchef einstellen würde.
Andreas Eschbach: Warum hätte mich eine Firma einstellen sollen?
Es gab mal einen Moment in meinem Leben, als ich erwog, mich bei der Firma, für die ich damals freiberuflich arbeitete, zu bewerben. Es war eine große Firma, die für solcherlei Ansinnen Formulare bereithält, und als ich mir die angesehen habe, da war schon ein sehr erhellender Moment: Ich habe gemerkt, ich bin zu alt, kann eigentlich gar keine Qualifikationen vorweisen und noch ein Dutzend Mankos mehr.
Also habe ich weiter als Freiberufler für die gearbeitet – und das Dreifache verdient … (grinst)
Lars Sobiraj: Wie würde unsere Welt aussehen, hätte man seit Ihrer Geburt im Jahr 1959 massiv in die Forschung alternativer Energieformen investiert? Wären wir weniger „Ausgebrannt“ als jetzt?
Andreas Eschbach: Das wäre geradezu ein utopischer Alternativgeschichtsroman, das zu beschreiben …
Aber die Welt, die dann entstanden wäre, sähe ziemlich anders aus als die, die wir heute haben. Und das Leben, das wir dann führen würden, auch. Gut möglich, dass es dann gar kein Internet gäbe, zum Beispiel.
Unsere Gesellschaft hängt am Öl wie ein Junkie an der Nadel
Lars Sobiraj: Die Menschheit hängt an fossilen Brennstoffen wie mancher Junkie an der Nadel. Was halten Sie von Biosprit oder Elektromotoren quasi als Methadon-Programm?
Andreas Eschbach: Wenig. Wenn man sich das Erdöl aus unserem heutigen Lebensstil wegdenkt, dann klaffen Lücken, die sich nicht mit Biosprit und Elektroautos füllen lassen und auch mit sonst nichts. Das ist ja das Problem an der Sache.
Lars Sobiraj: Warum ertragen wir die Schwankungen der Benzinpreise eigentlich, ohne zu murren? Regelmäßig kurz vor den Ferien gehen die Preise in die Höhe. Sie leben seit Jahren in Frankreich, einem Land, in dem sowieso fast ständig gegen alles Mögliche protestiert wird. Von solchen Demos hört man hier aber nichts.
Andreas Eschbach: Mal anders gefragt: Wieso sollten die Benzinpreise denn NICHT schwanken? Preise ergeben sich aus Angebot und Nachfrage, und wenn die Nachfrage steigt – was sie vor Ferienzeiten tut, weil jeder meint, er müsse dann gigantische Strecken fahren – steigt eben auch der Preis.
Autos verbrennen bringt nichts
Lars Sobiraj: gulli.com berichtete im Sommer 2008 von einem jungen Mann, der aus Protest aufgrund der hohen Spritpreise seinen 3er BMW öffentlich verbrannt hat. Bringen solche Aktionen etwas?
Andreas Eschbach: Es ist mir ehrlich gesagt völlig schleierhaft, was so eine Aktion bezweckt. Das kommt mir vor, als protestiere man gegen die Schwerkraft. Zudem geht dieser Protest in die falsche Richtung. Es passiert doch so wenig in Richtung alternativer Energien, weil die fossilen Brennstoffe zu BILLIG sind, von den Erdöl fördernden Ländern zu Dumpingpreisen auf den Markt geworfen werden.
Lars Sobiraj: Was kann man als Konsument denn überhaupt tun?
Andreas Eschbach: Abstimmen mit dem Geldbeutel. Das, wofür wir Geld ausgeben, und das, wofür wir es nicht ausgeben, bestimmt, was wirtschaftlich geschieht. In dieser Hinsicht ist jeden Tag Wahltag, weltweit. Und was sehen wir? Leute, die in der Stadt leben, kaufen sich zuhauf Geländewagen, die bis zum Tag ihrer Verschrottung nie einen Meter über Wiese rollen werden, dafür aber mehr Sprit schlucken als Lastwagen. Da hält sich mein Verständnis für Klagen über Benzinpreise in Grenzen.
Der Mensch handelt nicht aus Vernunft heraus
Lars Sobiraj: Wenn die Reserven tatsächlich geringer sind als das was die Erdöl fördernden Nationen angeben, dann steht die gesamte Weltwirtschaft auf sehr dünnem Eis. Glauben Sie, wir wären auch ohne Ölkrise bereit, aus reiner Vernunft unseren Komfort aufzugeben?
Andreas Eschbach: Nein. Glaube ich nicht. Als Masse handeln wir nicht aus Vernunftgründen. Und als Individuen nur selten.
Lars Sobiraj: Wenn dann eines schönen Tages die Ölkrise kommt. Wie lange wird es dauern, bis der Krieg um die letzten Reserven ausbricht? Wie vernünftig und kooperativ ist die Menschheit Ihrer Meinung nach – oder regiert dann nur noch die Gier?
Andreas Eschbach: Na, die regiert doch schon längst. Gier und Kurzsichtigkeit. Anders hätte so etwas wie die aktuelle Finanzkrise ja nie entstehen können.
Auch ein Krieg um die letzten Reserven wäre eine ziemlich kurzsichtige Sache, denn selbst angenommen, man ist derjenige, der ihn gewinnt: Was macht man, wenn die letzten Reserven auch noch aufgebraucht sind? Bis dahin sind es die Unterlegenen, die Alternativen gefunden haben werden!
Generell: Wenn man sich die Kriege der letzten Jahrzehnte ansieht und sich – unter völliger Außerachtlassung des moralischen Aspekts! – einfach nur fragt, welcher davon die Ziele erreicht hat, die angestrebt waren, kann man eigentlich nur zu dem Ergebnis kommen, dass Kriege ausgesprochen unwirksame Mittel sind, etwas zu erreichen.
Das Jesus Video war schwer verfilmbar
Lars Sobiraj: Um mal das Thema zu wechseln. Was halten Sie eigentlich von der Verfilmung Ihres Buches „Das Jesus Video„? Der Zweiteiler von Pro7 war im Gegensatz zu Ihrem Werk primär auf Action ausgelegt. Hat Sie es geschmerzt das zu sehen – oder überwog die Freude über die öffentliche Aufmerksamkeit für Ihr Buch?
Andreas Eschbach: Es war ja umgekehrt – die Verfilmung hat versucht, von der Bekanntheit des Buches zu profitieren. Was wohl auch gelungen ist.
Tatsächlich ist „Jesus Video“ weitaus schwerer verfilmbar, als man meint, wenn man es liest. Doch man hätte dem Geist des Buches bestimmt näher kommen können, als es diese Verfilmung geschafft hat. Was am Drehbuch lag, um es ganz klar zu sagen – die Leistungen der Schauspieler fand ich beachtlich, die der Ausstattung womöglich noch beachtlicher, und die Filmmusik ist zum Beispiel ganz große Klasse.
Andreas Eschbach wünscht sich Quest als Kinofilm
Lars Sobiraj: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Welches Ihrer Bücher würden Sie gerne zu einem abendfüllenden Kinofilm verfilmen lassen?
Andreas Eschbach: „Quest„.
Lars Sobiraj: Das dürfte sehr aufwendig werden. Bei Ihrem neuesten Werk „Ein König für Deutschland“ geht es um einen Betrug mithilfe von präparierten Wahlcomputern. Wie haben Sie sich auf dieses Thema vorbereitet? Hatten Sie Kontakt zu Mitgliedern des CCC?
Andreas Eschbach: Ach, wissen Sie, das war so ein Thema, bei dem bereits eine kurze Internetrecherche mehr Material geliefert hat, als sich in so einem Roman überhaupt verwenden ließ. Ich war auf der Webseite des CCC, das war ergiebig genug. Wenn ich noch Fragen gehabt hätte, hätte ich sicherlich versucht, jemanden damit zu behelligen – hatte ich aber nicht.
Hörprobe von „Black Out“ bei YouTube.
„Auch elektrifizierter Schwachsinn bleibt Schwachsinn.“
Lars Sobiraj: E-Government, De-Mail, elektronische Steuererklärungen – unsere Regierung scheint dem technischen Fortschritt sehr zu vertrauen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Andreas Eschbach: Das kann man so nicht über einen Kamm scheren. Von Steuererklärungen per Internet halte ich nichts. Aber dass man sich Formulare herunterladen und online an Auskünfte gelangen kann und nicht mehr Stunden mit ergebnisarmen Behördengängen verbringen muss, ist sicher eine sinnvolle Sache. Ob das downloadbare Formular SEIN muss – oder überhaupt der Verwaltungsakt, dem es dient – ist natürlich eine ganz andere Frage, die man sich meines Erachtens zuerst stellen müsste. Auch elektrifizierter Schwachsinn bleibt Schwachsinn.
1984 als Gegenwartsliteratur
Lars Sobiraj: Die sich ausweitende Vernetzung aller Bürgerinnen und Bürger via Internet bringt für den Staat die Möglichkeit, uns mit immer weniger Aufwand zu überwachen. Bis zu welchem Grad wird man davon Gebrauch machen? Könnte es sein, dass George Orwells „1984″ irgendwann Gegenwartsliteratur anstatt SF sein wird?
Andreas Eschbach: Na, das ist so ein Topos geworden … „1984″ schildert ja eigentlich eine Diktatur, eine Art globales Nordkorea plus Überwachungs- und Hirnwäschetechniken. Auf moderne Überwachungstechniken ist dieser Roman gar nicht anwendbar, wenn Sie ihn mal genau lesen; Orwell hat, was die technischen Perspektiven anbelangt, noch sehr in den Bahnen des Jahres 1948 gedacht.
Ein gravierender Unterschied heutzutage ist zum Beispiel, dass viele Menschen gar nichts mehr dabei finden, überwacht zu werden, ja, sie scheinen sich geradezu danach zu sehnen, beobachtet zu werden – und stellen deswegen wie wild ihre privatesten Fotos und Videos zur weltweiten Ansicht ins Internet. Auf so eine Idee ist Orwell gar nicht gekommen.
Lars Sobiraj: Wie wird unsere Gesellschaft nach Ihrem Ableben aussehen? Würden Sie sich als Science Fiction-Autor in einer solchen Gesellschaft wohl fühlen – oder ziehen Sie dann doch lieber die Gegenwart vor?
Andreas Eschbach: Es ist ein Irrtum zu glauben, dass man Science Fiction schreibt, weil man sich nach einer durchtechnisierten Zukunft sehnt. Das war vielleicht mal so, aber vor meiner Zeit. Um es mit einem – historisch nicht exakten – Bild zu beschreiben: Es mag mal eine Zeit gegeben haben, als SF-Autoren anhand der Existenz von Motoren das Autom vorhergesagt obil haben – heute ist es der Job des SF-Autors, anhand der Existenz des Automobils den Verkehrsstau vorherzusagen.
Lars Sobiraj: Vielen Dank für Ihre Antworten und bleiben Sie bitte, wie sie sind!
Anmerkungen über Andreas Eschbach
Die meisten erfolgreichen Buchautoren sind selbst für Journalisten schwer bis überhaupt nicht erreichbar. Sie können nur über ihren Verlag oder eine Agentur kontaktiert werden. Bei Andreas Eschbach war alles anders. Ich habe mit viel Freude im Sommerurlaub 2009 sein damals aktuelles Buch gelesen und ihn dann einfach per E-Mail angeschrieben. Er antwortete mir sofort und gab mir die Zusage zum Interview, obwohl er vorher noch nie etwas von gulli.com gehört hatte. Darum bat ich ihn auch am Ende des Gesprächs so zu bleiben, wie er ist.
Tarnkappe.info