Buchrezension von "Extraleben III: Endboss" von Constantin Gillies. Es geht um Retrocomputing, Technik und andere moderne Abenteuer.
Buchrezension von „Extraleben III: Endboss“. Die beiden Hauptfiguren Nick und Kee führen uns im letzten Teil der Trilogie ohne Umwege zum Finale ihres Retro-Daseins. Die ewigen Studenten, die irgendwo in den 80ern hängengeblieben sind, verdienen ihr Geld mittlerweile als Datenretter. Dass bei Datacorp jemand falsch spielt, begreifen sie spätestens, als sie nach dem Unfall ihres Chefs keine Leiche finden können. Das stört aber komischerweise niemanden.
Galt beim zweiten Teil des Buches noch der Slogan „twice the fun – double the trouble„, so müsste das Motto nun „forward never, backward ever“ lauten.
Extraleben: zwei Nerds gegen den Endboss
Nick und Kee sind zwei Freunde, die einander ganz dringend brauchen. Niemand sonst in ihrer Stadt könnte den anderen ersetzen. In ihrer Jugend spannen sie sich gegenseitig die Freundin aus, die später Nicks Ehefrau und die Mutter seiner Kinder wird. Als Kids verbringen sie ihre Zeit lieber vor der Flimmerkiste als in der freien Natur und schauen sich mit Vorliebe Serien wie Magnum, Miami Vice, Hart aber Herzlich oder Airwolf an.
Später in ihrer Schulzeit nimmt sie der Commodore 64 total in Beschlag. Nach dem Abitur studiert Kee Wirtschaftswissenschaften, aber ohne zu wissen, ob er das jemals brauchen wird. Auf seinem Weg zum Millionär und erfolgreichen Geschäftsmann erscheint ihm dieser Schritt aber nur logisch zu sein. Nick studiert mehr oder weniger ambitioniert Informatik und freundet sich mit Weggenossen von Richard Stallman an, die die Philosophie der freien Software propagieren. Freie Menschen können nur wirklich frei sein, sofern sie auch ihre Software ohne Hindernisse und Schranken benutzen dürfen.
Dauerpraktikanten in freier Wildbahn
Das gefällt Nick, aber er wirft dieses Menschenbild schnell wieder über Bord, nachdem er seine Frau Sabrina geheiratet hat. Wenn es gilt, dem Schema „Mein Haus, mein Schaukelpferd, mein Swimmingpool“ gerecht zu werden, darf man halt nicht allzu zimperlich sein, Hauptsache der Gehaltsscheck passt. Den beiden ewig Gestrigen kommt es mehr als recht, als sie nach ihrer Auflösung eines digitalen Rätsels bei der Datacorp anheuern und so ihr Budget aufbessern dürfen. Ihre Stelle als Dauerpraktikanten eines Verlags war für die Finanzierung einer Immobilie schließlich nicht einmal annähernd geeignet. Sich jahrelang damit zu trösten, auch irgendwann mal für das Magazin des Verlages schreiben zu dürfen, statt ihre Zeit mit Kaffee kochen oder anderen Hiwi-Jobs zu verbringen, ist zudem wenig hilfreich.
Kee lässt sich von der Brut-Aktivität seines Freundes nicht anstecken. Seine erste und einzige Liebe Sabrina hatte er sich als Jugendlicher im Tausch gegen eine durchzechte Nacht von Nick abspenstig machen lassen. Und da echte Nerds es schwer mit der Suche nach einem passenden Deckel haben, findet er sich halt mit seiner Situation ab und beobachtet stattdessen, wie die Nachkommen seines Mitstreiters immer lautere Organe entwickeln.
Und irgendwie passt es für ihn auch. Das Leben in seinem Mietshaus riecht mit den blauen Teppich im Flur nach einer Dauerunterkunft in einer makellosen aber anonymen Hotelkette. Lärmende Kinder passen in dieses Idyll nicht hinein. Die nervigen Babys seiner Schwester bezeichnet er als Itchy und Scratchy, die Bart und Lisa Simpson damit die Zeit vertreiben, dass sie sich im Fernsehen gegenseitig mit aller Gewalt auf die Nase hauen. Für Kee steht fest, das Leben als Vater ist keines, auf das er sonderlich scharf wäre. An einer passenden Frau wäre er hingegen schon interessiert, doch er denkt sich, man kann ja nicht alles haben.
Jemand spielt gewaltig falsch
Im dritten und letzten Teil der Buchreihe versuchen die beiden Retro-Fanboys das Rätsel einer geheimnisvollen Datasette zu lösen, die zusammen mit ihrem Chef vom Himmel fiel. Das ist gar nicht so einfach, weil irgendjemand alle verfügbaren Computer kauft, mit deren Hilfe man die Daten hätte auslesen können. Nick und Kee wird schnell klar, dass jemand bei ihrem Arbeitgeber falsch spielt. Und da die Datacorp regelmäßig mit den verschiedensten Geheimdiensten kooperiert und höchst wichtige Aufträge ausführt, scheint hierbei auch Geld eine Rolle zu spielen. Wie all das auf die wenigen Bits und Bytes einer einzigen Kassette eines längst ausgestorbenen IBM-Computers passen soll, ist ihnen allerdings schleierhaft. Was auch immer es ist. Es ist wichtig, denn zunächst wird Nick in ein Botschaftsgebäude entführt. Später ist man hinter beiden Angestellten her wie der Teufel hinter dem Weihwasser.
Wo nur bleibt das Bündel Geldscheine, mit dem der Serienheld Jonathan Hart immer herumwedelte, wenn man es braucht? Und wieso kann man sich nicht wie MacGyver einfach den Computer mit dem obligatorischen Schweizer Armeemesser selbst bauen? Und das mit einer Rolle Klebeband? Da helfen auch nicht die West End Girls der Pet Shop Boys. Oder Rick Astleys aufmunternder Song „Never Gonna Give You Up“.
Extraleben Endboss ist das finale Abenteuer
Und irgendwie wird unseren beiden Helden im Verlauf ihres finalen Abenteuers klar, dass ihre Vorbilder aus den 80ern längst ihre besten Tage hinter sich haben. Die übelsten C64-Spiele werden nicht allein davon besser, dass man sich in der Rückschau nur noch an das Gute erinnert. Wir sind halt melancholisch, die meisten Menschen blenden in ihrer Erinnerung alles Schlechte aus. Für unsere beiden Helden, die kaum ein Außenstehender verstehen kann, gilt das umso mehr.
Erscheint die Gegenwart noch so trist, so kann man es sich mit den Erinnerungen an die gute alte Zeit wieder schönreden. Und wenn das nichts hilft, muss halt der schwarz-rote Joystick Competition Pro dran glauben. Spätestens nach einer Runde Impossible Mission oder Summer Games, beide von Epyx Software, ist alles wieder gut. Wer dann noch verdrängen kann, dass Electronic Arts damals das legendäre britische Unternehmen mit dem unaussprechlichen Namen ausbluten ließ, indem man ihm einfach die kreativsten Mitarbeiter ausspannte, für den ist die Welt in Ordnung. In 16 Farben, mit SID-Klängen untermalt und einer Auflösung von 320 mal 200 versteht sich.
Okay G.I. Joe, turn the Disk over!
Zeit für ein Resümee. Der Autor mit dem offenbar nie wachsenden Dreitagebart, Constantin Gillies ist von Hause aus Wirtschaftsjournalist. Er tobt sich dementsprechend in seiner „Freizeit“ mit dem Verfassen von retrolastigen Actionromanen aus. Bei der trockenen Materie, die den Volkswirt tagtäglich in der Redaktion umgibt, verwundert es nicht, dass er es in seinen Büchern ordentlich krachen lässt. Wenn die Helden mal wieder vollmundige Sprüche vom Stapel lassen, in ihrer Limousine von Hubschraubern verfolgt werden oder Überwachungskameras und Gameboys als Ausbruchshilfe benutzen, bleibt kein Auge trocken. Gillies kann, abgesehen von Bilanzen und Buchführung, endlich mal aus dem Vollen schöpfen und zeigen, was er als Schreiber draufhat.
Allerdings sollten ausnahmslos alle Kaufinteressenten besser schon etwas älter sein. Wer das Buch verschenken will, dessen Opfer sollte zwingend der Generation 35+ angehören, will man ihm eine Freude bereiten. Ansonsten wird der Leser bei so vielen Anspielungen aus den 80er Jahren glauben, er sehe nur noch Fragezeichen. Die heutigen Kids werden sich davon abgesehen kaum für Spiele mit verpixelten Grafiken interessieren.
Und sie können sich auch nicht an die Hauptdarsteller von Falcon Crest, Miami Vice oder Kit, das sprechende Auto von Knight Rider, erinnern. Wenn überhaupt kennen sie David Hasselhoff nur als Schnulze singenden Amerikaner, der nach der Freiheit sucht. Möglicherweise erinnern sie sich noch am Rande an das schockierende YouTube-Video, wo ihn seine Tochter der ganzen Welt als einen Mann mit erheblichen Alkoholproblemen vorführte. Kurzum: Wer sich nicht an Blade Runner, die Oberweite von Samantha Fox, die Beats von Dr. Mabuse oder die unzähligen Pophits von Stock Aitken Waterman erinnern kann, der wird sich kaum für die Abenteuer von Nick und Kee begeistern können.
Fazit
Direkt beim dritten Teil der Trilogie einzusteigen, erscheint ebenfalls wenig sinnvoll. Möglich wäre es schon, weil jedes Buch eine in sich abgeschlossene Story vorweisen kann. Das große Finale schließt zwar direkt bei seinen Vorgängern „Extraleben“ und „Der Bug“ an. Retrofans kann man ungesehen alle drei Bücher empfehlen. Dennoch sollte man bedenken, dass das Alleinstellungsmerkmal der Geschichte schon im Jahr 2008 verloren ging. Nur selten kann die Fortsetzung eines gelungenen Romans an den Erfolg anschließen. Das gilt für den dritten Teil umso mehr. Um es kurz zu machen: Der Kampf gegen den Endboss ist zwar keine aufgewärmte Brühe von vorgestern. Aber wirklich frisch erscheint das Thema auch nicht mehr, zumal „Extraleben“ bereits vor vier Jahren erschien.
Doch wer sich daran nicht stört und einfach mal wieder für ein paar Tage unterhalten werden möchte. Go and get it!
Diese Rezension zum dritten Teil von Extraleben wurde ursprünglich auf gulli.com veröffentlicht.
Später druckte das kostenlose Retro-Magazin Lotek64 diesen Artikel über Endboss mit Genehmigung ab. Ausgabe 42 kann von hier als PDF heruntergeladen werden.
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