Wir fragten Spiegelbest: Quo vadis Verlagswesen? Immer mehr Wettbewerber drängen in den Graubereich. Ihnen geht es um viel Geld und maximale Sicherheit.
Der Mann nennt sich im Internet Spiegelbest oder Bernd Fleisig. Er fing vor mehreren Jahren als User bei Ebook-Hell und Boerse.bz an. Fleisig war bis vor einigen Wochen der „Pressesprecher“ des illegalen Download-Portals TorBoox. Im Herbst dieses Jahres legte er sich PR-trächtig mit dem Dachverband der deutschen Verlage an. Er attestierte dem Börsenverein, nur wenig geschäftstüchtig zu sein. Man verpasse die einmalige Chance, sich auf die bald kommende E-Book-Flatrate von Amazon vorzubereiten, um dem US-amerikanischen E-Commerce-Giganten vorzugreifen.
Doch Bernd Fleisig, der beruflich irgendwo im deutschen Einzelhandel tätig ist, konnte die Führungsebene der Verlage nicht hinter sicher vereinen. Man hetzte dem Verkäufer von Büchern stattdessen die Ermittler der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) auf den Hals. So wie sie kino.to abgeschaltet haben, sollten sie auch boox.to den Garaus bereiten. Doch die Website ist noch immer online. Aus dem anfangs kostenlosen Angebot wurde eine Bücherflatrate mit monatlichen Gebühren.
Doch damit nicht genug. Spiegelbest manövrierte auf seinen eigenen Blog und versuchte einen Wechsel auf den Binärbereich vom Usenet und das soziale Netzwerk Diaspora. Wurde nach seinem Weggang das komplette Archiv von TorBoox bei The Pirate Bay verfügbar gemacht, so laden ihm jetzt Uploader die Neuerscheinungen ins Usenet. Doch es geht noch weiter. Er eröffnete sein eigenes Forum und somit Spenderkreise für E-Books in verschiedenen Kategorien. Sowohl das Usenet als auch die Facebook-Alternative Diaspora sind nur für wenige Nutzer attraktiv.
Auf Basis der 42.000 E-Books von TorBoox, die sowohl im Usenet, bei Filehostern als auch via P2P verfügbar sind, wurde das neue E-Book-Portal “Lesen & Lauschen” aufgebaut. Auch dort werden die E-Books von den Nutzern gekauft. Bei lul.to bezahlt man via Paysavecard 10 Euro im Voraus. Danach kann man sich einzelne Titel für wenige Cent herunterladen. Sobald die 10 Euro verbraucht sind, muss man eine neue Paysafecard erwerben. Im Graubereich bricht somit eine Zeit an, wo die Szene immer mehr durch kommerzielle Interessen beherrscht wird. Die neuen Mitbewerber sind primär an ihrer eigenen Sicherheit und einer maximalen Gewinnspanne interessiert. Wenn man E-Books und aktuelle Zeitschriften für wenige Cent erwerben kann, was wird dann aus den legalen Anbietern. Quo vadis Verlagswesen?
Spiegelbest hat als Uploader angefangen
Lars Sobiraj: Wie ist es zu TorBoox (TB) gekommen? Warum noch eine Download-Seite für E-Books, wo die deutschen Leser doch schon bestens mit Links in Warez-Foren wie Usenet4Ever, MyGully.com oder Boerse.bz versorgt werden?
Spiegelbest: Nun, es gab ja lange einen ‚Spiegelbest‘ bei der Boerse.bz und auch bei MyGully.com, mit dem ich zumindest lose in Kontakt stehe. Also kann ich mir schon ein Bild machen. Die E-Books sind nur Teil der Boerse. Wir wollten immer ein eigenes Angebot für unsere E-Books, denn auch unsere Kundschaft ist speziell. Gamer werden auch Filme schauen und Musik downloaden. Aber Bücher sind eine Welt für sich.
Zudem: Ein Board wie die Boerse.bz – überhaupt ein Board – ist für Retails (= gekaufte Titel) nicht gemacht. Eine große Menge von Titeln finden in dieser wirren Schwarm-Architektur keinen ansprechenden Rahmen.
Lars Sobiraj: Du hast einen Blog und twitterst unter Spiegelbest. Bei Facebook ist boox.to nicht, warum?
Spiegelbest: Mir allein ist es möglich über Blog und Twitter alle unsere Kunden anzusprechen. Facebook aber erfordert Interaktion. Das kann ich allein nicht leisten.
Lars Sobiraj: Was mich mal interessieren würde: Wie kam es eigentlich zu deinem Pseudonym Spiegelbest?
Spiegelbest: Als ich anfing, galt inoffiziell noch eine Schonfrist für neue Titel von 2 Jahren. ‚Spiegelbest‘ hat dann mit ein paar gleichgesinnten Scannern die Spiegelbestsellerliste bei der Boerse.bz befüttert. Daher der Name, den ich jetzt übernommen habe.
Lars Sobiraj: Bisher gab es keine Werbung und es wurden bis auf freiwillige Spenden keine Gelder von den Benutzern eingesammelt. Seit dem 3. Oktober gibt es bei euch eine Art Kultur-Flatrate. Warum dieser Schritt? War es nicht möglich, mit Hilfe der freiwilligen Abgaben die Kosten zu decken?
Spiegelbest: Stell dir vor, du bist in einem Board, wo die meisten nur Gratissauger sind. Auf Dauer vergeht dir die Lust am Spenden. So war es auch bei uns. Die Leecher wurden immer mehr – trieben die Ausgaben in die Höhe – die Spender immer weniger. Es war uns klar, dass es zwei Möglichkeiten gab: Entweder zu wenig oder zuviel Geld. Jetzt haben wir letzteres. Auch ein Problem, aber eines, dass wir in den Griff bekommen können.
Lars Sobiraj: Bewegen sich die Betreiber damit strafrechtlich gesehen nicht auf einem Niveau wie die von Kino.to & Co.?
Spiegelbest: Das musst du die Betreiber fragen. Ich bin nur Pressesprecher. Ich kenne die Leute nur vom Chat her.
Lars Sobiraj: Netter Spruch! Du hast versucht eine Allianz gegen den eCommerce-Giganten Amazon zu bilden. Hast Du ernsthaft geglaubt, der Interessenverband der Verlage (Börsenverband des Deutschen Buchhandels) würde auf den Vorschlag eingehen? Schließung der Seite und Straffreiheit für die TB-Betreiber. Im Gegenzug hast Du die Einführung einer E-Book-Flatrate gefordert, die dem Vorhaben von Amazon zuvorkommen würde. Oder war das lediglich eine PR-Aktion, um Aufmerksamkeit zu erzeugen?
Spiegelbest: Eine Allianz gegen Amazon ist angesagt. Also habe ich es ausgesprochen. Was soll’s? So ein Spotify für E-Books wäre ein gutes Geschäft. Nur braucht es dafür auch Geschäftsleute. Aber ich kann Geschäftsinn nicht vom Himmel regnen lassen …
Kleine Korrektur noch: Wir haben nicht die Schließung unserer Seite für Straffreiheit angeboten. Warum auch? Allein Straffreiheit ist die Bedingung für Gespräche – von denen aber nicht meine Existenz abhängt.
Lars Sobiraj: Werden Autoren und Verlage aufgrund der entgangenen Umsätze von TB & Co. nicht viel weniger Bücher gegenfinanzieren können? Nimmst Du damit nicht eine Vernichtung von Arbeitsplätzen und Kulturgütern in Kauf?
Spiegelbest: Die Digitalisierung der Bücher wird eine ganze Branche vernichten und neu erstehen lassen. Es werden wenig Arbeitsplätze vernichtet werden, wenn die Verlage sich darauf einstellen. Es werden viele Arbeitsplätze vernichtet werden, wenn sich die Verlage der Herausforderung nicht stellen. Das hat nichts mit TorBoox zu tun. Die Leute wollen nicht warten, bis die Verlage sich endlich ein Herz fassen! Das ist der Grund, warum es uns gibt.
Lars Sobiraj: Wie sehr muss die Branche leiden, bis sie ihr Modell ändert? Wie viele Arbeitsplätze müssen bis dahin noch verloren gehen?
Spiegelbest: Ich weiß es nicht. Aber nach meiner Lebenserfahrung kann eine komplette Branche innerhalb eines Jahres aus den Innenstädten verschwinden, wenn die Banken einem Geschäftsmodell nicht mehr trauen. Frag dich mal, ob ein Buchhändler für ein Buch gebraucht wird. Und frag dich mal, was Verlage – deutsche Verlage – ohne ihre deutschen Buchhändler sind. Ich bin kein Prophet, aber ich geh auch durch Innenstädte.
Lars Sobiraj: Kann die Buchbranche auf Talentscounts oder Lektoren verzichten, ohne dass die Qualität der Bücher sinkt?
Spiegelbest: Nein, natürlich nicht. Die Dienstleistungen der Verlage werden an Dienstleister gehen. Sie werden aus den Großraumbüros in das Netz verlagert.
Lars Sobiraj: Wer bei TB Bücher herunterladen will, muss sich zuvor mit einer E-Mail-Adresse registrieren. Warum? Wenn es sich dabei um keine Wegwerf-E-Mail-Adressen handelt, käme dies bei der Staatsanwaltschaft zumindest einem Indiz für die illegale Nutzung der Seite gleich. Wie verhindert ihr, dass die Nutzer im Falle einer Beschlagnahmung der Server keinen Ärger bekommen?
Spiegelbest: Wer TB nutzen will, kann seine Email-Adresse angeben. Er kann es auch lassen. Die Nutzung von TB ist aber durchaus legal möglich. Genauso wie Google Drive illegal genutzt werden kann. Wir stellen es jedem Nutzer frei. Die Downloads aber – was ja allein den Ärger bringen würde – erfassen wir nicht. Warum auch?
Lars Sobiraj: Selim Özdogan verschenkte bei euch kürzlich eine Sammlung seiner Kurzgeschichten. Das E-Book wurde kaum heruntergeladen, die erhofften Spenden blieben aus. Die größeren News-Seiten haben die Aktion aus ihrer Berichterstattung ausgeklammert. Warum dieser Misserfolg? Waren die Kurzgeschichten zu speziell oder der Autor zu unbekannt?
Spiegelbest: Die Leser haben einen riesige Auswahl bei uns – alles umsonst. Warum sollen sie Selim Özdogan wählen, wenn sie aus den Top50 der Hardcover Spiegelliste wählen können? Warum?
Lars Sobiraj: Oder anders gefragt: Wieso klappt auf Warez-Seiten die Vermarktung von neuen Büchern nicht?
Spiegelbest: Die Konkurrenz ist größer. Alle Titel kosten 0,00 Euro – der neue Adler-Olsen wie auch der neue Selim Özdogan.
Lars Sobiraj: Im Gegensatz dazu kann man bei TB recht früh erkennen, welche Bücher von der Mehrheit der Nutzer favorisiert werden. The Pirate Bay und die BitTorrent, Inc. aus San Francisco versuchen ebenfalls mit geringem Erfolg auf neue Künstler aufmerksam zu machen. Warum verläuft die Distribution immer nur in die eine Richtung? Was können die Verlage und Plattenlabels, was euch fehlt?
Spiegelbest: Ich bin nicht einer von denen, die Verlage nur als Content-Inhaber sehen. Für mich sind Verlage so wichtig wie Autoren – wichtiger noch. Es ist leichter einen Bestseller zu schreiben, als einen Bestseller hochzupromoten.
Lars Sobiraj: Um mal beim Thema neue Verwertung zu bleiben: Ihr habt bei TB einen Flattr-Button für Autoren-Spenden und direkte Links zu deren Webseiten eingeführt. Wie viele Autoren haben davon bisher Gebrauch gemacht? Ist bei denen eine Zusammenarbeit nicht verpönt, weil sie glauben, ihr nehmt ihnen ihr Geld weg? Welche Einnahmen konnten die Buchautoren aufgrund der Flattr-Spenden verbuchen?
Spiegelbest: Bei den meisten Autoren kam unser Angebot nicht gut an, in der Tat. Es wurde endlos diskutiert und gestritten. Mittlerweile habe ich das Interesse an diesem Thema verloren. Ich kann das als Pressesprecher nicht leisten. Ich kann bloggen und twittern – 1:viele – aber ich kann nicht 1:1 diskutieren. Und nach meiner Erfahrung kennt jeder Autor nur einen Mittelpunkt – sich selbst. Aber ich gebe zu: Das Gequatsche nervt mich auch, ganz ehrlich gesagt.
Wir verkaufen nur Buchstaben, keine Waffen oder Drogen!
Lars Sobiraj: Nach juristischen Standards ist eure Plattform eindeutig illegal. Wenn man an andere Plattformen wie kino.to oder Silk Road denkt, so sind deren Betreiber mit Freiheitsentzug bestraft worden. Bist du bereit für Dein Projekt ins Gefängnis zu gehen?
Spiegelbest: Wir verkaufen nicht Drogen und Waffen, sondern Buchstaben. Im Gegensatz zu Kino.to – wo ja die eigentlichen Hintermänner siehe Firstload auch noch straffrei sind! – verdienen wir kein Geld mit unserem Angebot. Wir sind für die Verlage auch kommerziell wertvoll. Nimm mal Scribd.com, die jetzt Flatrateverträge mit Verlagen machen. Nimm mal Grooveshark. Alles illegale Angebote im Wesen, aber eben wirtschaftlich interessant. Hier hast du den Unterschied. Ich denk mal, das ist meine Versicherung. Denn – in der Tat – sieht meine Lebensplanung einen Gefängnisaufenthalt nicht vor.
Lars Sobiraj: Eines muss man dir lassen: Deine Öffentlichkeitsarbeit ist sehr effektiv. Wie willst Du die Kritik von manchen Beobachtern entkräften, dass es den TB-Betreibern letztlich nur ums Geld geht und die PR primär der Maximierung der Einnahmen dient?
Spiegelbest: Also erstmal komm ich ganz gut ohne das Geld der Nutzer aus. Und zweitens bereichere ich mich nicht, weil es unklug ist. Ich kann ja viel erzählen, aber das es unklug ist, sich irgendwo Geld auszahlen zu lassen, dürfte jedem einleuchten. Wenn ich sehe, wie Silk Road aufgeflogen ist, dann kann ich nur vermuten, dass der Betreiber auffliegen wollten. So dämlich wie er sich angestellt hat!
Lars Sobiraj: Wie geht es weiter mit TorBoox? Wenn Du Dir etwas wünschen dürftest, wie sieht die Zukunft in 2, 5 oder 10 Jahren aus?
Spiegelbest: Am Ende steht für uns ein TorBoox Crossing – E-books in allen Sprachen dieser Welt. Eine Bibliothek, die keine Grenze kennt und niemanden aus der Welt der Buchstaben aussperrt. Ich will, dass mittellose Hindi-Jungen oder Suwaheli-Mädchen unsere englischen Bücher verschlingen, um mit diesen Englischkenntnissen Medizin studieren zu können. Das will ich! Vielleicht bin ich dann alt und grau und kann mich von ihnen behandeln lassen. Wer weiß?
Lars Sobiraj: Es bleibt auf jeden Fall spannend. Bernd, vielen Dank für das Gespräch.
Anmerkung: Das Interview wurde schon vor einigen Wochen per E-Mail geführt und sollte ursprünglich im Blog WeCab erscheinen. Zu diesem Zeitpunkt war Spiegelbest noch Sprecher von boox.to. Das Gespräch erschien zunächst auf meinem privaten Blog.
Tarnkappe.info