Die gierigen Dinge des Jahrhunderts
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Die gierigen Dinge des Jahrhunderts von A. und B. Strugatzki – Rezension

Rezension: "Die gierigen Dinge des Jahrhunderts". Die Gebrüder Strugatzki gelten als die bedeutendsten Autoren der russischen Phantastik.

Die gierigen Dinge des Jahrhunderts. Die Gebrüder Strugatzki veröffentlichten 1958 ihren ersten Roman zusammen und arbeiteten ab 1964 als freie Schriftsteller. Sie gelten als die bedeutendsten Autoren der russischen Phantastik. 1985 wurde der kleine Planet Nr. 3054, der von der Erde aus unsichtbar ist, nach den beiden benannt und trägt den Namen „Strugatzkija“. Viele der Werke wurden verfilmt, sowohl von russischer als auch von internationaler Seite. Ihre Bücher sind in einer Gesamtauflage von mehr als 50 Millionen Exemplaren erschienen und in über 30 Sprachen übersetzt worden.

Die gierigen Dinge des Jahrhunderts

Arkadi Natanovich Strugatzki wurde am 28. August 1925 in Batumi geboren und lebte später in St. Petersburg (Leningrad). Er starb am 12. Oktober 1991 in Moskau. Arkadi schaffte es zusammen mit seinem Vater, der deutschen Besetzung der Stadt im 2. Weltkrieg zu entkommen, sein Vater überlebte die Flucht jedoch nicht. Das Überleben dieses Hexenkessels sicherte ihm einen Platz in der russischen Armee, allerdings erkannte diese sein Potential und ließ ihn ab 1943 am militärischen Institut für fremde Sprachen Anglistik und Japanologie studieren. Ab 1949 arbeitete er als Übersetzer und Lektor für englische und japanische Werke. Eine Zeitlang war er Mitglied des Redaktionskollegiums der Bibliothek der modernen Phantastik und arbeitete als Herausgeber für die beiden Verlage Detgiz und Gospolitizdat.

Bereits in der Armee hatte er angefangen Kurzgeschichten zu schreiben, aber erst 1956 erschien sein erster Roman „Die Asche von Bikini“. Danach entdeckte er das Genre der SF für sich. Und ab 1958 fing er an regelmäßig zusammen mit seinem Bruder Boris Romane zu veröffentlichen. Neben seiner Arbeit als Schriftsteller, war er auch als Herausgeber tätig und übersetztedie Werke u.a. von Andre Norton und Isaac Asimov ins Russische.

Vom Astronom zum Programmierer…

Boris Natanovich Strugatzki wurde am 15. April 1933 in Leningrad geboren, er starb am 19. November 2012 in Sankt Petersburg. Boris Strugatzki befand sich ebenfalls während der Hungerblockade in Leningrad, floh jedoch nicht mit dem Vater über den Ladoga-See, sondern blieb mit seiner Mutter, Alexandra Litwinschewa, in der Stadt. Erst als die Nachricht sie erreichte, dass Arkadi überlebt hatte, verließen auch sie Leningrad. Nach dem Krieg studierte er an der Leningrader Universität (der heutigen Staatlichen Universität Sankt Petersburg). Er wollte promovieren, musste aber kurz vor der Fertigstellung seiner Dissertation feststellen, dass der spätere Nobelpreisträger Subrahmanyan Chandrasekhar die in dieser Dissertation ausgearbeitete Theorie in einer in der Sowjetunion nicht erhältlichen Zeitschrift bereits 1943 veröffentlicht hatte. Nach seinem Studium der Stellarastronomie an der mathematisch-technischen Fakultät der Leningrader Universität arbeitete er als Astronom an der Sternwarte in Pulkowo. Später war er als als Programmierer tätig im Pulkowo-Observatorium bei Leningrad.

Die Handlung des Romans führt uns an einen „blanken, hellen und bunten Ort mit viel Sonne über den graublauen Bergen, wie es für Kurorte typisch ist“. Es gibt orangefarbene und rote, blanke Busse mit drängelnden Touristen davor, doch der schöne, paradisische Schein trügt. Iwan Shilin wurde als Ermittler dorthin gesandt, um etwas über eine neue Droge, das Sleg, herauszufinden, von dem zunächst nur sein hohes Suchtpotential und seine tödlichen Auswirkungen bekannt sind. Er wurde mit dieser Aufgabe betraut, an der andere Agenten vor ihm schon gescheitert sind. Als Tourist und Literat getarnt soll er zuerst seinen Kollegen Riemaier kontaktieren, doch ist der nicht ansprechbar, ganz offensichtlich völlig drogenabhängig, letztlich stirbt er an einer Überdosis.

Hinter der Fassade des schönen Scheins

So nimmt Shilin seine Ermittlungen auf und er erkennt, was sich hinter der Fasade dieser heilen Welt eigentlich verbirgt. Die Menschen dort leben in einer Überflussgesellschaft. Der Wissenschaft ist es gelungen, dem Menschen jeden nur denkbaren Wünsch zu erfüllen. Es wird uns ein Bild von einem Millieu und den dort herrschenden Idealen gezeigt, in denen der Mensch befreit ist von aller Mühsal. Er muss nicht mehr denken, kaum noch arbeiten und er kann sich pausenlos einem grenzenlosen Genuss hingeben. Die Aufgaben der Wissenschaft sind es, neue Quellen des Genusses zu finden. Sie soll die Befriedigung aller materiellen Bedürfnisse sorgen. Auf seiner Suche lernt Shilin etliche Facetten dieser Welt kennen, wie die allgemeine Geringschätzung und Ablehnung jeglicher Bildung.

Kulturgüter und Moral sind Fremdwörter in dieser Welt des Luxus. Geht es am Tag noch einigermaßen gesittet zu, so verwandelt sich die Stadt nachts in ein regelrechtes Irrenhaus. In den nächtlichen Straßen und Bars ist ausnahmslos jeder auf der Jagd nach dem schnellen Vergnügen. Großveranstaltungen mit Kollektivrausch vom „Traumgenerator“, ein Nervenkitzel der besonderen, meist tödlichen Art in alten U-Bahn-Schächten sind an der Tagesordnung. Zu den einzigen, wenigen Lichtblicken zählen die „Intels“, eine Gruppe von Intellektuellen, die mit Guerilla-Methoden gegen das exzessive Vergnügen antreten, und die noch unverdorbenen Kinder.

Luxus ohne Ende

Iwan Shilin stößt bald auf eine Spur. Sleg wird zwar nur hinter vorgehaltener Hand erwähnt, ist „unanständig“ und fast ein Schimpfwort, scheint aber gleichzeitig das Nonplusultra des Genusses für diejenigen zu sein, die alles andere schon kennen und stets auf der Suche sind, ihre Sinnesfreuden noch zu steigern. Das Ergebnis von Shilins Nachforschung ist überraschend. Er findet heraus, dass Sleg keineswegs in geheimen Laboren erzeugt wird. Es ist eine – wohl eher zufällig – entdeckte Kombination zweckentfremdeter Dinge des Alltags. Das Rezept verbreitet sich über Mundpropaganda. Es gibt weder eine geheim agierende Organisation, noch einen Hersteller, den man dafür zur Rechenschaft ziehen kann.

Fazit der Rezension: Die gierigen Dinge des Jahrhunderts

Obwohl schon in den 60er Jahren erschienen, überzeugt die treffsichere Satire auf die übersättigende Wohlstandsgesellschaft, Gedankenlosigkeit und hemmungslose Genuss-Sucht bis zur Dekadenz auch heute noch. Aus derzeitiger Sicht kann der Roman wohl auch als Kritik an der jetzigen Gesellschaft gelten. „Wir leben im Zeitalter der Überarbeiteten und Untergebildeten: dem Zeitalter, in dem die Menschen so betriebsam sind, dass sie völlig verdummen.“ – Oskar Wilde

Wenn den Menschen alles von allein zufällt, sie selbst dabei völlig passiv bleiben, so macht die Übersättung die Individuen, wie die Strugazkis formulieren, zu Dummköpfen. Man identifiziert sich nur noch über das Äußere, das Innere des Menschen verkümmert. Der Roman warnt vor allgemeinen gesellschaftlichen Sättigungserscheinungen. Wie in den meisten Büchern der Strugazkis geht es jedoch weniger um Ideologie als vielmehr um den Menschen selbst. Hier wird besonders deutlich, wie schnell der Mensch aufhört, Mensch zu sein, wenn seine Bedürfnisse auf das Materielle beschränkt bleiben und geistige Lebensinhalte und Werte vernachlässigt werden.

Das Taschenbuch von „Die gierigen Dinge des Jahrhunderts“ kann man u.a. hier käuflich erwerben.

Unsere Autorin Antonia hat für Tarnkappe.info noch zahlreiche weitere Rezensionen veröffentlicht.

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Über

Antonia ist bereits seit Januar 2016 Autorin bei der Tarnkappe. Eingestiegen ist sie zunächst mit Buch-Rezensionen. Inzwischen schreibt sie bevorzugt über juristische Themen, wie P2P-Fälle, sie greift aber auch andere Netzthemen, wie Cybercrime, auf. Ihre Interessen beziehen sich hauptsächlich auf Literatur.