Der satirische Jahresrückblick 2016, denn letztes Jahr gab es wieder jede Menge Anlass zum fassungslosen Kopfschütteln und viel Gelächter.
Der satirische Jahresrückblick. Das Jahr 2016 wird wohl als das Jahr der Celebrity-Todesfälle in die Geschichte eingehen. Das gab uns manches Mal Anlass zur Trauer (und kreierte nebenbei eine eigene Meme-Kategorie). Anlass zu Gefühlen ganz anderer Art gab dagegen die Tatsache, dass manche alten Gewohnheiten und Traditionen, so dumm und destruktiv sie auch teilweise sind, sich weigerten, das Zeitliche zu segnen. So gab es wieder viel Anlass zum fassungslosen Kopfschütteln, zu Galgenhumor und ungläubigem Gelächter.
Jahresrückblick – WikiLeaks: zwischen Weltpolitik und RTL2
Eine lieb gewonnene Tradition, mit der wir auch 2016 nicht brechen wollten und konnten, waren natürlich häufigere Status-Meldungen des nach wie vor in der ecuadorianischen Botschaft in London ausharrenden Julian Assange. Die Maslowsche Bedürfnispyramide dürfte dem Einen oder Anderen aus der werten Leserschaft ein Begriff sein – doch in der Assangeschen Version stehen zweifellos “Internetzugang” und “mediale Aufmerksamkeit” irgendwo sehr weit oben.
Daher erfuhren wir so einiges aus der Welt des Julian A., sei es, dass er aufgrund seines Zwangsaufenthalts in geschlossenen Räumen unter gesundheitlichen Problemen leidet – eine Tatsache, die ihn wenigstens zum Idol wie zur Ausrede jugendlicher World-of-Warcraft-Spieler macht, die nun stolz verkünden können, unter Morbus Assange zu leiden -, seien es wirre politische Rants oder ständige Updates über das Fortschreiten seiner Befragung durch Schweden mit dem Informationsgehalt eines CDU-Wahlwerbespots. Im Grunde fehlt nur noch die eigene Reality-Show.
Jahresrückblick 2016
Versuche von WikiLeaks, neben diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten auch politisch relevant zu bleiben, zeigten wechselnden Erfolg. So bewies ein groß angekündigter Leak aus dem Umfeld der türkischen Regierungspartei AKP nur mäßige Relevanz, sorgte aber durch die Verbreitung von Datenschutz-mäßig bedenklichen Links im Umfeld des Leaks für negative Schlagzeilen. Die Leaks über die nicht ganz sauberen Finanzgeschäfte der demokratischen US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton und ihres ebenfalls nicht ganz unpolitischen Ehemannes waren dagegen durchaus informativ. Dafür ließen sie in ihrer Einseitigkeit bald den Verdacht aufkommen, dass Assange entweder eine Privatfehde gegen Frau Clinton führt – in Anbetracht der Historie der beiden nicht ganz unwahrscheinlich oder unverständlich – oder sogar vom bösen Russen angestiftet wurde.
Gut, letzteres klingt eher nach einer Idee von Leuten, die ihren Aluhut schon in der McCarthy-Ära gefaltet und seitdem niemals abgesetzt haben. Allerdings war Wladimir Putin wohl kaum beim KGB, weil er so ein netter und taktischen Winkelzügen abgeneigter Mensch ist, und hält sich bekanntermaßen eine Horde begeisterter junger Hacktivisten. Insofern wäre ihm ein solcher Schachzug durchaus zuzutrauen. Und man muss zugeben, dass es angesichts von Donald Trumps legendärem Charme und seiner nicht minder legendären Ehrlichkeit schon verwundert, dass er sich in all den Jahren anscheinend keinerlei Feinde gemacht hat, die etwas Peinliches über ihn veröffentlichen wollen…
Jahresrückblick: Es gab aber auch Positives zu vermelden.
So feierte WikiLeaks 2016 schon seinen zehnten Geburtstag. Bei Menschenkindern meist Anlass für eine ausgelassene Feier mit reichlich Süßigkeiten, ist dies für ein Internet-Projekt schon eher ein Alter, bei dessen menschlichem Äquivalent „Tanzen im Altenheim, anschließend Kaffee und Torte“ eher das zu erwartende Party-Programm wäre. Darauf können die beteiligten Aktivisten durchaus stolz sein – auch wenn Assanges Festtags-Bilanz mal wieder bewies, dass Bescheidenheit eine Zier ist, ohne die der Australier ganz hervorragend zurecht kommt. Hoffen wir, dass dieser Geburtstag Anlass dazu gibt, sich wieder mehr auf die wirklich bedeutenden Werte der Seite zu besinnen. Diese sind nach wie vor großartig und wichtiger denn je. Das macht die Kleinkriege und Nabelschauen, in denen das Projekt derzeit oft versinkt, nur um so ärgerlicher.
Abenteuer im Krypto-Land
Verschlüsselung – oder für Nerds „Kryptographie“, was sich für Nicht-Nerds zweifellos, nun ja, kryptisch anhört – war im vergangenen Jahr wenn schon nicht in aller Munde, so doch endlich, endlich auf fast allen Smartphones. WhatsApp, seines Zeichens der vom Baby bis zur Oma meist verwendete Smartphone-Messenger, führte eine (sehr überzeugende) Verschlüsselungstechnik für alle Chats ein. Die meisten Konkurrenten zogen nach. Somit wurde unsere Kommunikation wieder einmal ein bisschen sicherer. Die Geheimdienste reagierten erwartungsgemäß in etwa so wie das eifrig an der Tür lauschende Kind, das von den Eltern erwischt und auf sein Zimmer geschickt wird, und schmollten. Wahrscheinlich hilft bei der NSA auch keine Bestechungs-Schokolade.
Somit sind nun unsere wichtigen Staats- und Geschäftsgeheimnisse und die Abgründe hinter unserer bürgerlichen Fassade – oder auch der peinliche Mangel an all dem – vor den lauschenden Behörden weitgehend sicher. Es bleibt natürlich der menschliche Faktor: klaut die kleine Schwester das nicht PIN-geschützte Smartphone, nützt der beste Messenger nichts. In diesem Sinne, constant vigilance und achtet auf eure OPSEC, wie Mad-Eye Moody und Agent Jack Ryan sagen würden. Oder würde sie vielmehr auf den Jahresrückblick hinweisen?
Deutschland, ein Land voller Terroristen und extremistischer Cybers
Die Sicherheitspolitik in Deutschland verlief auch 2016 wieder einmal nach dem inoffiziellen Motto der Unionsparteien: „Wenn Leute schlimme Dinge machen, hilft nur: alle überwachen!“ Das ging über die Quengelei über verschlüsselte Messenger weit hinaus. Schließlich könnte sich an jeder Straßenecke der nächste Attentäter oder zumindest ein extremistisches Cyber verbergen. Man braucht keinen Jahresrückblick, um das zu wissen.
Da sich natürlich unsere überwachende Klasse ebenso durch Lernresistenz wie durch Paranoia auszeichnet, begann das Jahr standesgemäß mit einer Wiederaufnahme der Geheimdienst-Kooperation zwischen BND und NSA. Nachdem der BND wegen Unregelmäßigkeiten bei den von den USA angegebenen Zielen (den viel zitierten Selektoren) zeitweise aufgehört hatte, von der Abhör-Anlage Bad Aibling aus für unsere Verbündeten in den USA Leute zu überwachen, fing er damit bereits im Januar wieder an. Das muss mir auch mal einer erklären.
Diese Leute misstrauen absolut jedem – mir, euch, Oma Frieda (die noch nie ein Smartphone besessen hat), Oma Erna (die ihrs nur nutzt, um mit den Enkeln WhatsApp-Nachrichten auszutauschen, was sie aber, seit WhatsApp verschlüsselt ist, wahrscheinlich eh zur Terroristin macht), dem freundlichen Hippie von nebenan und dem nicht minder freundlichen Dönerbuden-Besitzer. Konfrontiert mit Leuten allerdings, die bekanntermaßen die Menschenrechte mit Füßen treten, alles und jeden überwachen und im Namen ihres Landes knallharte Wirtschaftsspionage betreiben (nämlich den US-Behörden) legen sie auf einmal eine Gutgläubigkeit an den Tag, die ein elfjähriger Pfadfinder aus Hintertupfingen am Dorfbach wohl mit einem entnervten Kopfschütteln kommentieren würde.
Alles, was von den „Verbündeten“ kommt, wird schon seine Richtigkeit haben. Das lässt einige Interpretationen zu. Handelt es sich um eine merkwürdige Variante des Stockholm-Syndroms? Um ein Ausmaß an kognitiver Dissonanz, für das es einen Eintrag ins Guiness-Buch geben sollte? Oder aber lügen uns unsere Behörden schlichtweg an? Sucht es euch aus.
Wollt ihr eine Pause?
Nein! Wollt ihr Verlängerung? Nein! Wollt ihr Elfmeterschießen? Nein! Was wollt ihr denn? Bundestrojaner, Online-Durchsuchung, Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung! So oder so ähnlich muss es auf Unions-Parteitagen zugehen. Das Ergebnis heißt dann Mainzer Erklärung und ist zwar nicht originell, aber in seiner Dreistigkeit doch schon wieder irgendwie beeindruckend. Die Begründungen für so viel Überwachung sind wie üblich eher fadenscheinig. Es könnte ja irgendwer irgendwas tun, ohne dass die Regierung es weiß. Und dann könnte das Abendland untergehen.
Allerdings sind die Behörden offenbar zu dumm, um ihre Spionage-Software selbst zu programmieren. So war ein erster Versuch des selbst entwickelten Bundestrojaners angesichts seiner zahlreichen Fehler „kaum brauchbar“ und nicht gesetzeskonform. Gib dich nicht auf, lern‘ coden und programmieren. Vierzehnjährige Scriptkiddies in aller Welt, die nicht mehr können, als DDoS-Tools zu bedienen und mit Trojaner-Baukästen zu hantieren, können demnächst in ihre Bewerbungen schreiben, dass sie Informatik auf dem Niveau der deutschen Bundesbehörden beherrschen.
Ich liebe euch (fast) alle!
Das vergangene Jahr ist in einer Mischung aus Kuriositäten- und Gruselkabinett an uns vorbeigezogen. Da bleibt mir nur, euch ein frohes neues Jahr zu wünschen. Mögen eure Wünsche in Erfüllung gehen (außer ihr seid bei der CDU/CSU). Mögt ihr viel lernen und eure Berufung finden (außer ihr schreibt Trojaner für die Behörden). In diesem Sinne, macht es gut, bis zum nächsten Jahresrückblick!
Eure Annika Kremer!
Bildquellen v.o.n.u.: Julian Assange als Blood Elf by keks0719, Assange im Diplomatengepäck? von North Coast Curmudgeon,
Picard says WTF von KnowYourMeme, Internetkurort „Bad Gateway“ by Mathias Richel, thx!
Tarnkappe.info