Encrochat-Hack: Haben ausgewertete Daten vor Gericht Bestand?
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Encrochat-Hack: Haben ausgewertete Daten vor Gericht Bestand?

Ermittler entschlüsseln Encrochat-Nachrichten aus der Welt des organisierten Verbrechens. Haben aber diese Trophäen auch vor Gericht Bestand?

Anfang Juli letzten Jahres ist Ermittlern aus mehreren Ländern mittels Entschlüsselung von EncroChat ein Schlag gegen die Organisierte Kriminalität (OK) in Europa gelungen. In einer groß angelegten Aktion, die Hunderte von Festnahmen mit sich brachte, konnten sowohl Geld, als auch Drogen und Waffen sichergestellt werden, wie Eurojust damals mitteilte. In dem aktuellen Spiegel-Artikel „Daten, Drogen, Dynamit“ gehen Journalisten allerdings der Frage nach: Können auf diese Weise erlangte Daten vor Gericht überhaupt verwendet werden?

EncroChat trotz Anonymitätszusagen von Ermittlern geknackt

EncroChat Logo

EncroChat Handys wurden den Kunden als Garant für perfekte Anonymität angepriesen. Anfang 2020 war EncroChat einer der größten Anbieter von verschlüsselter digitaler Kommunikation mit einem sehr hohen Benutzer-Anteil. Wie bereits vermutet, waren diese maßgeblich an kriminellen Aktivitäten, wie dem Handel mit Kokain und Cannabis sowie an Geldwäsche, beteiligt. Kurz darauf stellten französische Ermittler fest, dass Encrochat auch über einige Server in der Stadt Lille verfügte. Entgegen der Zusagen von Seiten des Herstellers, gelang es Spezialisten infolgedessen, das Chatnetzwerk zu knacken. Gemäß der Spiegel-Recherchen gelang es französischen Ermittlern, eine Sicherheitslücke auszunutzen. Infolge schleusten die Beamten über den Server Schadsoftware auf sämtliche Encrochat-Handys. So gelang es, die Daten unbemerkt von den Geräten abzufangen und auf einen anderen Server auszuleiten. Spiegel schreibt, „das sei so, als kopierte man fortlaufend den Telefonspeicher – bevor die Daten darauf verschlüsselt würden“.

Den Ermittlungen um den Encrochat-Hack ist in den Jahren 2017 und 2018 eine Handy-Beschlagnahme der Marke BQ, Modell Aquaris X mit verstecktem Encrochat-Betriebssystem von Dealern, Hehlern und Autodieben durch französische Polizisten vorausgegangen. Da der Import nicht autorisierter Verschlüsselungs-Technologie in Frankreich nicht gestattet ist, beauftragte die Staatsanwaltschaft in Lille eine Sondereinheit zur Bekämpfung von Cyberkriminalität mit weiterführenden Ermittlungen. Sogar von Kriminellen angelegten To-do-Listen kamen aufgrund einer geknackten Notizfunktion auf dem Server zutage.

Abhöraktion lief über ca. drei Monate – Razzien folgten

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So waren die Strafverfolgungsbehörden seit April 2020 live dabei, wenn es um Drogen- und Waffengeschäfte und einen Auftragsmord ging. Das Abfangen der EncroChat-Nachrichten wurde allerdings am 13. Juni 2020 eingestellt. Das Unternehmen stellte fest, dass eine Behörde in die Plattform eingedrungen war und diese dadurch kompromittiert war. EncroChat schickte daraufhin eine Warnmeldung an alle Benutzer.

Zahlreiche Razzien in mehreren europäischen Ländern erfolgten unmittelbar auf die Nutzer-Warnung des EncroChat-Betreibers. In Großbritannien kam es in Folge zu 746 Festnahmen. Die Behörden stellten hier 54 Millionen Pfund (umgerechnet knapp 60 Millionen Euro), 77 Schusswaffen und mehr als zwei Tonnen Drogen sicher. In Frankreich waren mehr als 60 Sonderermittler unter dem Codenamen «Emma 95» in die Aktion involviert. In den Niederlanden waren in die Operation «Lemont» mehrere Hundert Ermittler im Einsatz gewesen. Hier hat man 100 Personen verhaftet, 19 Chemielabore enttarnt und 20 Millionen Euro Bargeld sichergestellt. Die Erkenntnisse der knapp dreimonatigen Abhörzeit halfen, viele Verbrechen zu unterbinden, darunter Mordversuche und Drogentransporte.

EncroChat-Dienste verschwunden – Frage nach Datenverwertbarkeit vor Gericht bleibt

Inzwischen sind die EncroChat-Dienste eingestellt. EncroChat-Server haben die Behörden heruntergefahren. Es gab 66.134 Benutzer weltweit, davon rund 10.000 Benutzer allein in Großbritannien. Die Behörden nehmen an, ausschließlich Kriminelle nutzten EncroChat. Sie organisierten darüber Straftaten wie Drogenhandel, Geldwäsche oder Morde. Vielfach ging es um den Mord an Angehörigen rivalisierender Banden.

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Zwar geben sich gemäß Spiegel deutsche Strafverfolger entspannt, wenn es um die Nutzung der aus dem Encrochat-Hack gewonnenen Beweise vor Gericht geht. Für sie gilt der Grundsatz, „dass in einem EU-Land rechtmäßig erhobene Beweismittel über den Weg der Rechtshilfe auch in anderen EU-Ländern genutzt werden dürfen. Es war dort legal, also ist es hier verwendbar“. Rechtsanwälte hingegen sehen die Sache differenzierter. Demgemäß äußerte sich der Frankfurter Strafverteidiger Oliver Wallasch gegenüber Spiegel:

»Die Behörden gehen offenkundig davon aus, dass der Zweck die Mittel heiligt. Die Maßnahme in Frankreich war weder zielgerichtet noch auf einzelne Beschuldigte beschränkbar. Es wurden Geheimdienstmethoden angewendet, die in Deutschland in jedem Fall unzulässig wären.«

Als Verteidiger möchte er erreichen, dass die Daten in den anstehenden Prozessen gar nicht erst zur Verwertung zugelassen sind. Da aber Oberlandesgerichte einer gerichtlichen Nutzung bereits zustimmten, wird infolge darüber das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen.

Auch der Berliner Rechtsanwalt Ehssan Khazaeli hält die von der französischen Polizei erhobenen Daten in einem deutschen Strafverfahren nicht für verwertbar:

»So lange nicht klar ist, auf welcher Rechtsgrundlage die Daten in Frankreich erhoben wurden, dürften sie in einen encrochat panic wipedeutschen Strafprozess nicht eingeführt werden«, erklärte Ehssan Khazaeli der Tarnkappe gegenüber. Entscheidend sei auch, dass französische Behörden nicht im Rahmen der Amtshilfe für deutsche Ermittlungsbehörden tätig geworden seien, sondern selbstständig gehandelt hätten und deutsche Ermittlungsbehörden ausermittelte Ergebnisse zur Verfügung gestellt hätten.

Tarnkappe.info

Über

Antonia ist bereits seit Januar 2016 Autorin bei der Tarnkappe. Eingestiegen ist sie zunächst mit Buch-Rezensionen. Inzwischen schreibt sie bevorzugt über juristische Themen, wie P2P-Fälle, sie greift aber auch andere Netzthemen, wie Cybercrime, auf. Ihre Interessen beziehen sich hauptsächlich auf Literatur.