Schutzmaßnahme oder Diskriminierung: Sowohl die Polizei von Niedersachsen als auch die Bremer Polizei speichert AIDS-Infizierte in ihren Datenbanken.
Sowohl bei der Polizei in Niedersachsen als auch bei der Bremer Polizei wurden im Januar laut einem Medienbericht knapp 4500 Menschen gespeichert, die mit HIV, Hepatitis B oder C infiziert sind. Bei einer Personenabfrage wird zu diesen Menschen dann der Hinweis „Ansteckungsgefahr“ (für AIDS) im Computer angezeigt.
AIDS als Merkmal für Datenbanken der Polizei
Nach Angaben des sächsischen Innenministeriums wurden in Niedersachsen allein im Januar diesen Jahres 4498 Personen unter der Abkürzung „ANST“ für Ansteckungsgefahr im Polizeisystem POLAS gespeichert, berichtet die „Neue Osnabrücker Zeitung“ (NOZ). Laut Ministerium wurden im vergangenen Jahr 1.355 solcher erstellten oder überarbeiteten Hinweise in die Datenbank aufgenommen.
Jedoch können auch andere Bundesländer auf diese Angaben zurückgreifen. Das Niedersächsische Innenministerium hält diese Praxis für notwendig und unverzichtbar: „Der personenbezogene Hinweis ,Ansteckungsgefahr´ ist mit Blick auf die Eigensicherung der eingesetzten Polizeibeamtinnen und -beamten sowie zur Vermeidung einer Gesundheitsgefährdung Dritter ein sehr wichtiger und nahezu unverzichtbarer Hinweis.“
Während also ein Ministeriumssprecher diese Speichung für absolut notwendig erachtet, äußert sich Matthias Stoll, leitender Oberarzt an der Medizinischen Hochschule Hannover und Experte für Infektionskrankheiten dazu genau gegenteilig: „Gegen Hepatitis B sollten die betroffenen Polizisten geimpft sein. Hepatits C kann man inzwischen heilen. Bleibt also noch HIV (AIDS). Die Polizei hat vor allem Probleme mit der zunehmenden Gewaltbereitschaft der Menschen – mit Auseinandersetzungen, bei denen Blut fließt. Da gibt es ein gewisses Risiko der Übertragung wenn virushaltiges Blut in offene Wunden gelangt. Es liegt allerdings bei unter einem Prozent, also im Promillebereich.“
Arbeit der Polizei wird dadurch nicht sicherer
Häufig wäre die Gefahr sogar noch wesentlich geringer, nämlich wenn Ärzte den HIV-Patient behandeln. Der Hinweis mache die Arbeit der Polizisten sogar in keinerlei Weise sicherer. Denn in der Datenbank würde man nur die Personen erfassen, die von ihrer Infektion wüssten. Diese Menschen befinden sich meistens in einer medizinischen Behandlung. „Mit Abstand am ansteckendsten – und für die Übertragungssituation in Deutschland von herausragender Bedeutung – sind diejenigen, die sich neu infiziert haben und davon noch nichts wissen.“ Die Datenbank sorge also möglicherweise für ein falsches Gefühl der Sicherheit. Der Mediziner ist abschließend der Meinung: „Solche Register sind vor allem diskriminierend.“
Bezogen auf 7,9 Millionen Einwohner in Niedersachsen sind jeweils rund 0,3 Prozent der deutschen Bevölkerung mit Hepatitis B oder C (47.560 Personen) und rund 4100 Menschen in Niedersachsen mit HIV infiziert, laut Aussagen des Robert-Koch-Instituts. Insgesamt ist also eine Größenordnung von gut 50.000 Menschen, die in Niedersachsen an Hepatits B, C oder HIV erkrankt sind, realistisch. Die Polizei hat aber nur rund 4500 Personen in ihrer Datenbank erfasst. Das entspricht weniger als zehn Prozent aller Erkrankten. Folglich liefert der Polizeicomputer bei mindestens neun weiteren Überprüfungen keinen Hinweis, obwohl Infizierungen vorliegen.
Öffentliche Kritik wächst
Kritik kommt auch von der Deutschen Aids-Hilfe. „Menschen mit HIV oder Hepatitis werden durch den Warnhinweis ANST stigmatisiert. Der Vermerk leistet außerdem überhaupt nicht, was er soll: den Schutz von Polizisten verbessern. Hilfreich sind Informationen über das beste Vorgehen nach einem eventuellen Infektionsrisiko. ANST erzeugt hingegen nur Scheinsicherheit. Der Hinweis „Ansteckend“ im Computer hat keinerlei Aussagekraft. Eine absurde Praxis!“ Vorstandsmitglied Winfried Holz fordert daher die bundesweite Abschaffung. „Wenn einzelne Länder – wie jetzt Berlin – mit gutem Beispiel vorangehen, ist das ein Fortschritt“, sagt er der NOZ.
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