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Bildquelle: piqsels

Unter dem Radar – der satirische Monatsrückblick (Mai/2015)

Unter dem Radar - der satirische Monatsrückblick. Im Mai 2015 dreht sich alles um die Vorratsdatenspeicherung, den BND und andere Schlapphüte.

Alles neu macht der Mai? Von wegen – der letzte Monat bot uns vor allem eines: mehr vom altbekannten und wohl vertrauten Wahnsinn. Manche Dinge, so scheint es, ändern sich nie – vermögen aber gerade deswegen immer wieder zum Kopfschütteln Anlass zu geben. Der Monatsrückblick für Mai.

Eilos in Bad Aibling

Ein ewiger Quell des gepflegten „WTF“ ist natürlich die Geheimdienst-Kooperation zwischen den deutschen Schlapphüten und ihren Kollegen aus dem Land der Freiheitsfritten, wo man „Schlapphüte“ zwar nicht aussprechen kann, dafür aber eine erstaunliche Anzahl davon hat. Die Rede ist natürlich von den USA, dem Land der unbegrenzten Abhörmöglichkeiten. Die allerdings sind in diesem Monat unter Umständen ein klein wenig weniger unbegrenzt geworden. Das klingt jetzt zwar in etwa so verwirrend wie unsere Vorlesung in theoretischer Informatik (abzählbar und nicht abzählbar unendlich – die Anzahl der Menschen, die das jemals wirklich begriffen haben, liegt wahrscheinlich irgendwo zwischen 0 und 1), stimmt aber irgendwie trotzdem.

maulwurfshuegel bnd geheimdienst schlapphug
NSA & BND im Untergrund tätig?

Der BND nämlich hat nach einigem Hin und Her beschlossen, der NSA Internet-Daten aus der Abhöranlage Bad Aibling nicht mehr wie bisher zur Verfügung zu stellen. Anlass ist der unsägliche BND-Skandal, in dessen Rahmen die Damen und Herren Schlapphüte auf Geheiß der amerikanischen, ähm, Verbündeten, fleißig diejenigen ausspioniert haben, die sie eigentlich beschützen sollen, nämlich uns Deutsche und unsere europäischen Nachbarn. Ob das alles eine große Geheimdienst-Verschwörung gegen uns Normalos ist oder ob der BND und die Bundesregierung einfach nur ein Haufen gigantischer Weicheier sind, die sich gegen eine Horde Cowboys mit Weltmacht-Allüren nicht behaupten können, bleibt noch abzuwarten.

Ich tippe aber auf Variante zwei, einfach weil man ja nichts mit einer Verschwörung erklären soll, das auch durch Inkompetenz und Feigheit schlüssig begründet werden kann. Warum jetzt also der plötzliche Sinneswandel? Sind den Herrschaften vom BND in der Zwischenzeit ein paar entsprechende Körperteile gewachsen? Eher nein. Grund dürfte vielmehr sein, dass es heftigste Kritik am Verhalten der Schlapphüte hagelte und das dann irgendwie zu unangenehm war.

Wie schlapp sind die Schlapphüte?

Wenn man’s positiv sieht: Auch Feigheit und Opportunismus der Behörden können wir als Bevölkerung für uns nutzen – wir müssen nur genug politischen Druck ausüben. Die NSA sitzt derweil in der Ecke und schmollt. Der BND hatte nämlich angekündigt, Abhördaten nur noch dann zu liefern, wenn deren Anforderung von den amerikanischen Kollegen schlüssig begründet wird. Klingt sinnvoll – ist es aber nicht, jedenfalls nicht aus Sicht der NSA. Weltmächte müssen ihre Forderungen nicht begründen. Alles andere wäre entweder ein Zeichen von Schwäche oder würde den Normalsterblichen verraten, dass man wahrscheinlich keine besseren Begründungen hat als „aus Gründen“, „aufgrund der Konjunktion von Mars und Jupiter“ oder „angesichts der Gefahren durch extremistische Cybers“.

Aus Sicht der NSA ist das natürlich inakzeptabel. Somit werden in Bad Aibling derzeit nur noch Faxe und Telefongespräche abgehört. Das bringt uns zu einer ganz anderen Frage, nämlich wer im Jahr 2015 noch Faxe versendet, aber das ist wohl ein Mysterium für ein andermal. Interessant wäre natürlich, wenn Anonymous in irgendeinem Museum ein Faxgerät finden würde und es zum Meme würde, sich gegenseitig gezeichnete Penisse zu faxen… zuzutrauen wäre es den Jungs…

Die feine englische Art

britische flaggen glosse tarnkappe.info, Monatsrückblick
very british!

In England haben die konservativen Tories mit unerwartet großem Vorsprung die Wahl gewonnen. Das wollen sie nach Angaben von Theresa May jetzt nutzen, um alte britische Traditionen wieder aufleben zu lassen. Nein, nicht den Fünf-Uhr-Tee. Die staatliche Telekommunikationsüberwachung. Die fällt jedem schließlich als erstes ein, wenn er an England denkt. Vergesst die White Cliffs, den Tower und die unzähligen alten Burgen – bei meinem nächsten England-Trip fahre ich erst einmal nach Cheltenham und besuche das GCHQ. Das ist es schließlich, was das Land erst groß gemacht hat. Schon den Hundertjährigen Krieg haben die Engländer nur verloren, weil 1453 das Abhören französischer Social-Media-Chats noch in den Kinderschuhen steckte. Die Rosenkriege gewann Henry Tudor letztendlich nur durch das gezielte Verwanzen von König Richards Helm. Und die größte kulturelle Errungenschaft der Insel ist weder die Dichtung Chaucers, Shakespeares und Byrons, noch die Architektur oder die Film- und Theaterszene – es sind einwandfrei Abhörstationen und Überwachungskameras. Weiß doch jeder. Gut, dass sich die Tories darauf jetzt besonnen haben. Man fürchtete schon den Niedergang der britischen Kultur.

Klein-Julien und die Endlösung der Bahnstreik-Frage

Bahnstreik (Screenshot aus dem Video von "JuliensBlog")
(Screenshot aus dem gesperrten Video)

Wenig mit Kultur zu tun hatten auch die Äußerungen des populären YouTubers „Julien“, der in seinem gleichnamigen Blog unter anderem das Thema Bahnstreik aufgriff. Obwohl nach eigenen Angaben „reich, berühmt und gutaussehend“ und damit – im Gegensatz zu beispielsweise mir, die keins davon ist und daher dauernd Bahn fährt – gar nicht auf den ÖPNV angewiesen, nahm „Julien“ das Thema aus irgendeinem Grund anscheinend ziemlich mit. Seiner Frustration machte er Luft, indem er zunächst einmal die berufliche Kompetenz und Integrität der Lokführer in Frage stellte. Das tat er in einer Art und Weise, die selbst auf meiner Chaoten-Gesamtschule locker für ein paar Strafarbeiten wegen mangelnder Manieren gereicht hätte, aber soweit ist das ja noch normaler Internet-Standard. Dann jedoch dachte sich „Julien“ anscheinend „Okay, was kommt im Internet  immer gut?“ Richtig, ein Nazi-Vergleich. Leider aber ist der YouTuber anscheinend selbst für diesen absoluten Klassiker mangelnder Netiquette zu dumm.

Statt die Lokführer, wie es ein normales Rage-Kid getan hätte, mit Adolf Hitler zu vergleichen (immerhin dürfte auch dieser durch den Zweiten Weltkrieg dafür gesorgt haben, dass so einige Züge ausfielen, was für die Anwendung von Godwin’s Law eine mehr als ausreichende Parallele gewesen wäre und gut zum rhetorischen Niveau des Blogeintrags gepasst hätte), versetzte „Julien“ sich kurzerhand selbst in die Rolle der Nazis und wollte die Lokführer vergasen. Da hörte dann selbst für hartgesottene Internetnutzer die Toleranz auf und „Julien“ wurde angezeigt.

Manche wollen wirklich alles sehen

Er entschuldigte sein Verhalten daraufhin kurzerhand mit „schwarzem Humor“ und „Satire“. Okay, Nachhilfestunde für Klein-Julien und ähnliche geschichtsvergessene Würstchen. Wenn Jeremy Clarkson in seiner Auto-Show „Top Gear“ vor einem deutschen Kleinwagen den Hitlergruß macht und sagt, er habe dem Navi mittlerweile beigebracht, nicht mehr standardmäßig auf Polen eingestellt zu sein, ist das ein schwarzer Naziwitz. Wenn man streikende Lokführer vergasen will, ist man einfach – um mich mal dem sprachlichen Niveau der Zielgruppe anzupassen – scheiße und man ist ein Arschloch. Ich hoffe, der Gute wird für schuldig befunden. Es wäre schpn wenn man ihn zu einer Menge gemeinnütziger Arbeit sowie drei Tagen n24 ohne Bewährung verurteilt.

(Nachtrag der Redaktion: Das Video wurde zwischenzeitlich gesperrt. YouTube gibt an, dieses Video wurde aufgrund einer Verleumdungsbeschwerde für Zuschauer mit einer deutschen IP-Adresse gesperrt. Aber es gibt immer Leute, die alles sehen wollen, so wurde dieser Beitrag erneut hochgeladen.)

Alter Wein auf neuen Smartphones

Grafik: Ketcham1009, thx! (CC BY 3.0), Monatsrückblick
Grafik: Ketcham1009, thx! (CC BY 3.0)

Nachhilfe in Geschichte – und vor allem im Lernen aus dieser – brauchen auch die Verfechter der Vorratsdatenspeicherung. Diese passierte nämlich kürzlich das Kabinett. Nein, ihr befindet euch nicht im „netzpolitischen Jahresrückblick 2007“.

Das kann ich euch aber leider nur beweisen, indem ich euch auf das Gerät verweise, auf dem ihr diese Glosse lest. Sehr ihr? 2007 gab es weder günstige Quadcore-Rechner noch schicke Android-Smartphones in allen aus „My Little Pony“ bekannten Farben. Leider ist das aber auch der einzige Beweis dafür, dass ihr nicht in einer Zeitschleife gelandet seid. Die zugrunde liegende Politik ist eher… nun, heutzutage sagt man wohl höflich „vintage“ oder „retro“. Das wenig überraschende, aber trotzdem treffende Fazit deutscher Datenschützer: Die Bundesregierung ist unerträglich lernresistent. Dem ist wohl nicht viel hinzuzufügen.

Damit verabschiede ich mich für diesen Monat von euch und hoffe, ihr habt trotz aller euch umgebener Lernresistenz auch eure Lichtblicke im Wonnemonat gehabt.

Ich hoffe, ihr seid alle gut in den Juni gekommen. Wir lesen uns beim nächsten Monatsrückblick bzw. Glosse an gleicher Stelle wieder.

Eure Annika Kremer!

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