EncroChat als "sicherer" Chat
EncroChat als "sicherer" Chat
Bildquelle: artursz, Lizenz

EncroChat: Kassationsgerichtshof Frankreichs stellt Daten-Verwertung in Frage

Der Oberste Gerichtshof Frankreichs wies einen Fall an das Berufungsgericht zurück. Es wurde versäumt, EncroChat-Details offenzulegen.

Der französische Oberste Gerichtshof wies aktuell ein EncroChat-Urteil zurück. Anwälte stellten diesbezüglich die Geheimhaltung der Anfang Juli 2020 von französischen Ermittlern durchgeführten Hacking-Operation vor Gericht in Frage. Der Strafprozess stützte sich dabei auf Beweise aus dem gehackten verschlüsselten Anbieter digitaler Kommunikation, EncroChat. Darüber berichtete The Epochtimes.

Auch in Deutschland ließ der Hack bereits Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Daten-Verwertung aufkommen. Allerdings entschied der Bundesgerichtshof hier, dass die durch französische Behörden gewonnenen Erkenntnisse per EncroChat im Ergebnis verwertbar sind.

Die Strafkammer des Kassationsgerichtshofs Frankreichs in Paris hat am Dienstag einen Strafprozess, der sich auf Beweise aus dem gehackten, verschlüsselten EncroChat-Netzwerk stützte, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Gericht hob das Urteil des Berufungsgerichts von Nancy im Fall von Saïd Zaoui auf. Diesen haben Ermittler im Juni 2020 verhaftet. Wegen der Einfuhr von Betäubungsmitteln sowie des Besitzes von Waffen und Munition wurde er angeklagt.

Sind Daten aus Encro-Chat-Hack illegal erlangt worden und damit vor Gericht unzulässig?

Das Gericht stellte fest, dass französische Ermittler und Staatsanwälte es versäumt hatten, die Authentifizierung von abgefangenen EncroChat-Chats vorzulegen. Die von der französischen Polizei angewandte Ermittlungsmethode fiel dabei unter die Kategorie der nationalen Sicherheit, sodass die Verteidiger und der Angeklagte die Einzelheiten des Hacks nicht kennen durften. Die französische Polizei und Staatsanwälte weigerten sich deshalb, offenzulegen, wie genau sie die durch niederländische und französische Behörden gemeinsame Operation zum Hacken von EncroChat durchführten. Dies schreibt das französische Recht gemäß den Angaben jedoch zwingend vor.

Die untere Instanz entschied noch, dass die französische Polizei keine solche Bescheinigung vorlegen muss. Der Oberste Gerichtshof Frankreichs hob jedoch diese Entscheidung auf und wies das Berufungsgericht in Nancy an, zu prüfen, ob eine solche Bescheinigung existiert. Zudem fehlten technische Daten über die Hacking-Operation, stellte das Gericht weiterhin fest.

Kommen erneut Zweifel an Rechtmäßigkeit der Daten-Verwertung auf?

Verteidiger Robin Binsard, Mitbegründer der Anwaltskanzlei Binsard Martine, die den Fall vor den Obersten Gerichtshof brachte, äußerte auf Twitter, dass der Fall vom Berufungsgericht erneut verhandelt werde, um festzustellen, ob infolge angemessene, rechtlich verwertbare Beweise vorhanden seien:

„Der Oberste Gerichtshof stellte fest, dass die unter das Verteidigungsgeheimnis fallenden Beweise nicht rechtmäßig sein können, wenn keine Bescheinigung über die Echtheit der Angaben vorliegt. Der Fall wird an ein anderes Gericht verwiesen, um zu prüfen, ob eine solche Bescheinigung zur Verfügung steht. In der Zwischenzeit gibt es keine Garantie für die Gültigkeit von Beweisen aus EncroChat.“

Robin Binsard argumentierte in Eingaben an den Obersten Gerichtshof, dass die Geheimhaltung der EncroChat-Hacking-Operation das Recht der Angeklagten auf ein faires Verfahren verletze. Es enthielte ihnen Informationen darüber vor, wie die Beweise gegen sie erlangt wurden.

Rechtsanwalt Guillaume Martine twitterte unterstützend:

„Wir laden unsere Kollegen in ganz Europa ein, ihre Berufungen fortzusetzen und zu argumentieren, dass die Beweise von Encrochat illegal sind, da sie nicht von der erforderlichen Authentifikation begleitet sind, wie das Kassationsgericht heute zugegeben hat.“

EncroChat trotz Anonymitätszusagen von Ermittlern geknackt

EncroChat Handys wurden den Kunden als Garant für perfekte Anonymität angepriesen. Anfang 2020 war EncroChat einer der größten Anbieter von verschlüsselter digitaler Kommunikation mit einem sehr hohen Anteil an Benutzern, die vermutlich an kriminellen Aktivitäten, wie dem Handel mit Kokain und Cannabis sowie an Geldwäsche, beteiligt sind. Allerdings stellten französische Ermittler fest, dass Encrochat auch über einige Server in der Stadt Lille verfügte. Entgegen der Zusagen von Seiten des Herstellers, gelang es Spezialisten infolgedessen, das Chatnetzwerk zu knacken.

EncroChat-Abhöraktion lief über knappe drei Monate

Mittels aufgespielter Trojanersoftware waren die Strafverfolgungsbehörden seit April 2020 live dabei, wenn es um Drogen- und Waffengeschäfte und einen Auftragsmord ging. Ermittler bekamen infolge Zugriff auf Tausende Chatnachrichten zwischen den Nutzern. Die Aktion zog bis in die Gegenwart zahlreiche Razzien, Verfahren und Verurteilungen nach sich. Das Abfangen der EncroChat-Nachrichten wurde allerdings im Juni 2020 eingestellt. Das Unternehmen stellte fest, dass eine Behörde in die Plattform eingedrungen war und diese dadurch kompromittiert war. EncroChat schickte daraufhin eine Warnmeldung an alle Benutzer.

Am Donnerstag setzte das Landgericht Berlin überraschend ein solches Verfahren aus. Gemäß Angaben von moz.de, soll der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte darüber entscheiden. Demgemäß halten Anwälte in ganz Deutschland solche Encrochat-Prozesse für Unrecht.

Über

Antonia ist bereits seit Januar 2016 Autorin bei der Tarnkappe. Eingestiegen ist sie zunächst mit Buch-Rezensionen. Inzwischen schreibt sie bevorzugt über juristische Themen, wie P2P-Fälle, sie greift aber auch andere Netzthemen, wie Cybercrime, auf. Ihre Interessen beziehen sich hauptsächlich auf Literatur.