Rechenzentrum, uploader, ul.to
Rechenzentrum, uploader, ul.to

Warum in die Ferne schweifen, wenn das Rechenzentrum liegt so nah?

Und gegen das Rechenzentrum in Tonga könne man ohnehin nichts ausrichten. Stimmt das? Volker Rieck geht der Sache einmal auf den Grund.

Im Internet hält sich schon seit langer Zeit das Gerücht, dass man die parasitären Geschäftsmodelle ja ohnehin nicht verhindern könne, das Ganze wäre viel zu international. Und gegen die Server oder das Rechenzentrum in Tonga könne man ohnehin nichts ausrichten. Stimmt das? Volker Rieck geht der Sache einmal genauer auf den Grund.

Domain-Endung und Rechenzentrum – zwei Paar Schuhe

Selbstverständlich stehen in Tonga keine Server, jedenfalls keine, die Inhalte unreguliert über Datenleitungen nach Europa schaufeln. Praktisch jedes Rechenzentrum (oder Datacenter) auf der Welt kann die Daten einer solchen exotischen Domain beherbergen.

Eine .to Domain als Beispiel (Länderkennung für Tonga) bietet mehrere Vorteile. Sie liegt phonetisch dicht an Torrent und sie ist quasi anonym zu registrieren. Domainendung und tatsächliches Rechenzentrum (für den Webspace) sind also getrennt zu betrachten. Aus der Analyse unserer Daten wissen wir aber, das Geschäft findet in Europa quasi vor der Haustür statt. Und das aus vielen Gründen.

Um die tatsächliche Herkunft von Piraterieseiten, oder besser deren Content, etwas deutlicher zu verstehen, haben wir unsere Datenbank von Mitte Mai bis Mitte Juni einmal detaillierter ausgewertet und bei Bedarf weitere Analysen erstellt.

Die beliebte EU

Fast alle der Top 10 File- oder Streaminghoster, die bereits 95% des Traffics innerhalb dieser Analyse darstellen, haben ihre Datenheimat in Europa, die meisten sogar in der EU. Einziger Ausreißer ist OVH Kanada. Es ist aber davon auszugehen, dass man beim Rechenzentrum OVH beliebige IPs aus allen Ländern buchen kann, in denen das Unternehmen tätig ist. Kanada gehört dazu und es ist daher keineswegs sicher, dass die Daten auch wirklich dort liegen. Sie könnten auch in einem deutschen Rechenzentrum von OVH liegen. Daneben spielen die Länder Russland und die Schweiz noch eine Rolle.

Rechenzentrum
Abbildung: Der Anteil verschiedener File- und Streaminghoster mit Rechenzentrum im Zeitraum Mai/Juni 2018 für den Bereich Filme und Serien aus den Top 30 der FDS Datenbank. Rechenzentren in der EU sind hellblau unterlegt.

Die Rolle von Content Delivery Networks (CDN)

Bereits bei der Betrachtung der Top 10 fällt auf, dass etliche Filehoster einen Content Delivery Network (CDN) benutzen. Einfach gesprochen läuft der Webtraffic dann nicht mehr direkt über die IP-Adressen einer Webseite sondern über einen Dritten, nämlich über das CDN. Solche CDNs erfüllen mehrere Aufgaben. Sie können die schnelle Auslieferung einer Webseite auf der ganzen Welt sicherstellen oder auch vor DDoS-Attacken schützen. Ihr hauptsächlicher Vorteil liegt aber in der Verschleierung der IP des tatsächlichen Rechenzentrums, denn statt der Original IP wird nur die IP des CDNs (z. B. Cloudflare) angezeigt.

Cloudflare gibt die IP auch auf berechtigte Anfrage nicht heraus, sondern benennt nur das Rechenzentrum von dem die Daten kommen. Angaben, die dem Rechenzentrum helfen würden, den jeweiligen Kunden in den Serverfarmen zu identifizieren, werden nicht gemacht. Insoweit kann davon ausgegangen werden, dass der Sinn des CDNs für Piraterieseiten im Wesentlichen auf der Funktion der Verschleierung beruht.

Bei den Top 10 benutzen 40% der Sharehoster Cloudflare für die Webseiten, von den TOP 30 sind es 47%.

Da aber die Auslieferung von Streams über ein CDN sehr teuer ist, kann man zumindest oft feststellen, wo die Daten der Streams liegen. Dies kann auch ein anderen Datacenter-Standort sein, als der der eigentlichen Seite des Streaminghosters.

Frankreich, nicht nur im Fußball weltmeisterlich

In der nächsten Betrachtung geht es um die Länder, in denen die Rechenzentren der Hoster beheimatet sind. In diesem Fall wurden die Top 30 Hoster ausgewertet. Die EU-Länder sind in der nachfolgenden Tabelle hellblau unterlegt, fast 2/3 der Top 30 File- und Streaminghoster haben ein Rechenzentrum mit Sitz in der EU. Es führt Frankreich.

Rechenzentrum Hoster
Abbildung: Herkunft der Rechenzentren der Top 30 File- und Streaminghoster, ohne Gewichtung..Rechenzentren in der EU sind hellblau hinterlegt.

Standort für Rechenzentren: Piraten bevorzugen die EU

In der Tat gibt es viele Vorteile sich für Pirateriedienste eines Rechenzentrums innerhalb der Europäischen Union zu bedienen. Der Markt ist von starkem Wettbewerb geprägt, was sich in vergleichsweise niedrigen Preisen niederschlägt. Die Anbindung ist sehr gut, Pirateriedienste und Rechenzentren haben zumeist die gleiche Zeitzone, was bei technischen Problemen hilfreich sein kann. Sprachprobleme dürften ebenfalls marginal sein, weil man mit Englisch überall in der EU zurechtkommt.

Letztendlich sind nur wenige Markteilnehmer für einen Großteil der Hoster verantwortlich. Neben OVH gibt es bei den Rechenzentren mit M247, Netvillage und Solarcom Kandidaten, deren Geschäftsmodell wohl (auch) auf der Unterstützung dubioser Dienste beruht, denn sie tauchen auch an anderen Stellen immer wieder auf. So ist OVH auch bei illegalen IPTV-Streams führend. Laut einer aktuellen Untersuchung auf Basis von 8.000 illegalen IPTV Streams, die FDS gerade durchführt, stammen fast 28% der untersuchten illegalen IPTV Streams von Rechenzentren von OVH.

Rechenzentrum Hoster
Abbildung: Die häufigsten Rechenzentren der Top 30 Filehoster, ungewichtet. Rechenzentren in der EU sind hellblau unterlegt.

Was bedeutet eigentlich unmittelbar?

Es gibt sowohl in den USA (Digital Millenum Copyright Act (DMCA)) als auch in der EU (E-Commerce Directive), Regeln die das Löschen von urheberrechtlich geschützten Werken nach Kenntnis vorschreiben.
In beiden Rechtsräumen gilt das unmittelbare Löschen. In der Realität sieht unmittelbar dann aber doch sehr unterschiedlich aus. Der größte Teil der Hoster löscht erst nach 7 – 60 Tagen. Ganz besonders Streaminghoster sind sehr großzügig bei dem Wort unmittelbar. Sie ermöglichen die Zugänglichkeit von Filmen für einen langen Zeitraum, denn nur so ist gewährleistet, dass der geneigte Konsument mit Werbung beglückt wird, weil das die Grundlage des Geschäfts ist.

Abbildung: Löschverhalten von 205 File-& Streaminghostern. Auswertung nach Anzahl der Tage vom Antrag bis zum Löschen.

Auch auf Einzel-URL Basis lohnt sich der Blick in die Zahlen. Die Mehrheit der Links waren in 2-3 Tagen gelöscht. Das ist aber genau die Zeit, in der insbesondere neue Titel am häufigsten heruntergeladen werden. Zudem ist der Re-Upload in dieser Tabelle nicht berücksichtigt. In der Kombination von relativ langen Löschzeiten und erneuten Uploads sind viele Werke kontinuierlich verfügbar.

Abbildung: Löschverhalten von 205 File-und Streaminghostern. Auswertung nach Einzel-URLs und wie schnell sie gelöscht wurden.

Fazit zum Thema Rechenzentrum

Das Geschäft mit File- und Streaminghostern findet nicht in der Karibik oder der Südsee statt sondern mehr oder weniger vor unseren Augen.

Regelungen wie die E-Commerce Directive, deren nationale Umsetzungen oder der US Digital Millenium Copyright Act (DMCA) sind nahezu wertlos. Zwar ist die Löschung rechtswidriger Inhalte vorgeschrieben, aber weder konkrete Zeiten noch Konsequenzen aus ständiger Erneuerung einmal gelöschter Daten sind vorgesehen. Beide Regelungen stammen aus einer Zeit als ein Urheberrechtsverstoß die Ausnahme aber nicht die Basis eines Geschäftsmodells sein sollte. Die Regelungen gehören daher dringend überarbeitet.

Dank der Einziehung neuer Ebenen wie CDNs wird es Rechteinhabern zusätzlich erschwert, Rechteverletzer überhaupt zu ermitteln.

Rechenzentren sind bei Diskussionen rund um das Thema Piraterie bisher ein nahezu blinder Fleck, dabei sind sie der Schlüssel zur Lösung etlicher Probleme in dem Bereich der unregulierten Distribution. Eine Übertragung von Verantwortung an die Rechenzentren könnte zu einer erheblichen Verbesserung der Lage für Rechteinhaber in Sachen Piraterie führen.

 

Über den Autor:

Volker Rieck ist Geschäftsführer des Content Protection Dienstleisters FDS File Defense Service, welcher für zahlreiche Rechteinhaber tätig ist. Das Unternehmen erstellt zudem Studien zum Thema Piraterie und unterstützt Strafverfolgungsunternehmen mittels seiner erhobenen Daten.

Volker Rieck bloggt regelmäßig auf Webschauder und unregelmäßig auf dem US Blog The Trichordist zu verschiedenen Aspekten der unregulierten Inhalte-Distribution. Seine Artikel erscheinen auch bei Tarnkappe.info.

Quelle Beitragsbild, thx! (CC0 1.0)

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Volker Rieck ist Geschäftsführer des Content Protection Dienstleisters FDS File Defense Service, der für zahlreiche Rechteinhaber tätig ist. Das Unternehmen erstellt zudem Studien zum Thema Piraterie und unterstützt Strafverfolgungsbehörden mittels seiner erhobenen Daten. Volker Rieck bloggt regelmäßig auf Webschauder und unregelmäßig auf dem US-Blog The Trichordist zu verschiedenen Aspekten der unregulierten Inhalte-Distribution. Seine Artikel erscheinen auch in unregelmäßigen Abständen hier bei Tarnkappe.info.