Da Profil von Kastriot und Kreshnik Selimi, die in ihrem Kinderzimmer in Lübeck gewohnt haben, will nicht zu ihren Kontakten passen. Mafia?
Die Welt hat gestern einiges zu den Hintergründen der augenblicklichen Gemengelage von Organisierter Cyberkriminalität (OK) und Filesharing-Szene zusammengetragen. Wie können wir das Profil der Selim-Brüder mit den Anklagepunkten in Deckung bringen? Wie passt ein Lübecker Kinderzimmer zur russischen Mafia?
Die Selimis als Köpfe der Mafia?
Waren die Gebrüder Selimi die Köpfe der Internet Mafia? Ich will mich mal aus Innensicht der Warez Szene den Brüdern Selmi nähern. Innensicht bedeutet nichts. Mit ein bisschen Phantasie kann jeder von euch eine Innensicht erstellen. Ich bin halt nur der Erste, der sowas macht ;)
Wie man zwei harmlose Kinderzimmer mit OK in Einklang bringen kann, ist unterschwellig die Frage, die sich allen stellt. Die WELT AM SONNTAG beantwortet sie im letzten Abschnitt:
Vielleicht nehmen die Selimi-Brüder die Welt ja durch die Augen von Computerspielern wahr. In Strategiespielen dienen Geld und Gewalt nur als Mittel zum Zweck: dem Aufbau eines Imperiums.“
Sehr schön. Aber es geht natürlich besser ;)
Das Alter der Brüder hat für Verwunderung gesorgt. Sie müssen 13 und 16 Jahre alt gewesen sein, als sie den Hoster Bitshare gegründet haben. Nun, das Alter spielt in der Szene keine Rolle, da niemand weiß, wie alt der Gegenüber ist. Jedenfalls spielt das Alter keine Rolle. Bei den Leuten, mit denen ich lange und intensiv zu tun hatte, wusste ich das Alter schlicht nicht. Es hat auch niemanden interssiert.
Eine entscheidende Rolle spielen die Kenntnisse. Das müssen nicht immer technische Kenntnisse sein. Illegalität ist ein weites Feld. Und hier fängt das Problem an, wenn es eines ist: Die Selim Brüder können weder technische Kenntnisse noch Erfahrung mit dem Betrieb von Seiten gehabt haben. Die Selims waren vielleicht Gamer, aber keine Nerds (wie z. B. Gottfrid Svartholm von The Pirate Bay). Das Alter ist nicht das Problem, aber sie haben keinerlei Hintergrund für das Begehen der bekannt gewordenen Straftaten gehabt. Soweit zum Thema Mafia aus dem Kinderzimmer.
Bei Razzia keine Vermögenswerte gefunden
Kommen wir mal zum Geld. Bei den Brüdern wurden keinerlei Vermögenswerte gefunden, obwohl sie mit Millionen jongliert haben müssen. Nun, das ist leicht zu erklären. Diese Millionen waren real nicht abrufbar. Es war kein Spielgeld, aber es war virtuelles Geld. Nehmen wir den Betreiber einer gut laufenden Webseite. Er hat Einnahmen, mit denen er seine Kosten begleicht. Er sammelt Rücklagen, aber abheben kann er das Geld nicht. In diesem Kreislauf gibt es kein Bargeld (jedenfalls nicht in Lübeck). Dass die Brüder in bescheidenen Verhältnissen gewohnt haben, bedeutet also nicht, dass sie keine Millionen besaßen.
Wenn ich mich frage, wie ihr Profil zu den Anklagepunkten passt, dann fallen mir nur ihre sprachlichen Fertigkeiten ein. Es ist nach ihrem Lebenslauf durchaus vorstellbar, dass sie mehrere osteuropäische Sprachen gesprochen haben. Ich kenne einen Albaner, der eine ähnliche Vita hat. Er spricht Türkisch, Bulgarisch, Rumänisch und Russisch. Jedenfalls mit Männern. (Bei Frauen weigert er sich zu übersetzen.) Und ich habe mir von ihm sagen lassen, dass seine Vielsprachigkeit keine Ausnahme ist.
So, wechseln wir mal die Perspektive. Wenn ich eine Webseite bei einem osteuropäischen Hoster anmelden will, dann habe ich bis vor 1 oder 2 Jahren schon auf der Webseite erhebliche sprachliche Schwierigkeiten gehabt. Nur mal als Beispiel eine wirklich harmlose Seite: 2×4.ru. Die Techniker dort beherrschen das technische Englisch, sprechen aber darüber hinaus nur Russisch (Deutsch sowieso nicht!). Sie wissen, was ein Switch ist, aber ich kann schlichtweg keinen Account bei ihnen verlängern. Wer mal Webmoney versucht hat, weiß, wovon ich rede. Das ist (oder war) Paypal auf Russisch.
Sprachliche Barrieren
Jetzt drehen wir erneut die Perspektive. Sprachliche Barrieren sind ja auf beiden Seiten vorhanden. Ausgeschlossen, dass ein russischer Hacker die bekannt gewordenen Seiten betrieben hat. Hacks und technisches Setup, ja. Auftritt und Betrieb, nein. Es brauchte also Leute, die auf westeuropäischen Seiten wussten, wo oben und unten ist. Ich denke, dass die Selim-Brüder als Übersetzer fungiert haben. Sie haben alle Seiten angemeldet, weil nur sie sich dort zurecht fanden. Sie haben für die Bezahlung die TANs bekommen, die jemand anders auf seinem Handy entgegennahm. Sie haben die Korrespondenz übermittelt und den Überblick über die Laufzeiten gehabt. Das war’s.
Nur so macht diese Mafiageschichte Sinn. Die Selims dürften schnell in ihre Rolle hineingewachsen sein. Sie waren im Darknet (= den Seiten im Tornetz) im osteuropäischen Cybergrund unterwegs und haben ihren ‚Partnern‘ (als deutsche Onlinekids) bald einen guten Überblick über die Szene geben können. Und dann kam es in der Folge zu gewissen Vorfällen – von Hacks bis Brandstiftung.
Ich denke, die Selim-Brüder waren Übersetzer und Aufklärer. Und ich denke, die GVU hat noch eine Menge Arbeit vor sich.
Tarnkappe.info