Nach mehr als 7 Jahren aktiver Mitarbeit habe ich heute bei gulli.com schweren Herzens meine Kündigung als freier Journalist ausgesprochen.
Die Probleme fingen wenige Tage nach der Übernahme von gulli.com an. Es ging um ein kleines Team von Personen, die eigentlich schon lange nichts mehr mit gulli.com zu tun haben, die aber den IRC-Kanal #gulli administrierten. Der Kanal wurde kurzfristig unter die firmeneigene Kontrolle gebracht. Moderator Dexter war an der Verwaltung des IRC-Kanals beteiligt. Er bat die Geschäftsführung des neuen Betreibers um ein wenig Bedenkzeit. Er wollte in Ruhe darüber nachdenken, ob er bei dieser Verfahrensweise als Moderator aktiv bleiben möchte. Ohne seine Antwort abzuwarten, wurden ihm alle Rechte im Board genommen. Auch die Rechte an Bereichen vom g:b, die mit dem IRC nichts zu tun haben.
21 Sperren an einem Tag: 4/5 des Teams von gulli gefeuert
Das erzeugte viel Unfrieden im Team von gulli.com. Wenig später wurde ohne jede Absprache bekannt gegeben, dass man neue Moderatoren sucht. Bisher wurden normale Benutzer langfristig beobachtet um sie bei Bedarf zu fragen, ob sie bei der Moderation mithelfen wollen. Frei nach dem Motto: Don’t call us, we call you. Ein zusätzlicher Bedarf an Moderatoren bestand zum Zeitpunkt der Bekanntmachung aber eben nicht. Daraufhin bemängelten viele Aktive, dass es an jeder Form der Absprache mangelte. Zudem wurde gestern eine Mitarbeiterin der Firma zur Moderatorin erhoben, obwohl sie seinerzeit keinen einzigen Beitrag im Forum geschrieben und gerade neu registriert war. Die Atmosphäre im Team wurde so langsam aber sicher explosiv.
Kleine Statistik: Gestern wurden im gulli:board 21 Personen gesperrt. Darunter auch einige ehemalige Mitglieder der Board:Crew, Moderatoren und Co-Moderatoren, wie beispielsweise Gandalph, WoodstockimWeb, Larius, Hezu, Sitecom, Sebone, Enteo, Badboyoli, Kuppy etc. Eine umfangreiche Diskussion mit den Betreibern StefanRecht und Amigo endete nach über zwei Stunden damit, dass sich alle aktiv moderierenden Personen bis heute 18 Uhr entscheiden sollen, ob sie die neuen Eigentümer bei der Verfolgung ihrer Strategie unterstützen wollen.
Der Knackpunkt: Die Anwesenden wollten die exakten Gründe für die jeweiligen Sperren altgedienter Mitglieder des gulli:boards erfahren. Die genauen Gründe hat man den Teilnehmern der Shoutbox nicht mitgeteilt. Angeblich ging es stets um Beleidigungen. Mit Ausnahme von Gandalph wurden aber keine Namen genannt. Man forderte das Entsperren der Accounts und eine öffentliche Entschuldigung von der gamigo Advertising GmbH. Die gesperrten Accounts würden so bleiben, hieß es. Dies sei nach dem Verhalten der Gesperrten nach Auskunft des gamigo-Geschäftsführers nicht diskutabel. Man würde den Mods „entgegenkommen„, indem man eine öffentliche Erklärung abgibt. Dann aber ohne jede Entschuldigung. Auch würde man zumindest künftig die Regeln beachten, die seit vielen Jahren zwingend für alle Moderatoren gelten. Auf diesen „Kompromiss„, der keiner ist, haben die Betroffenen verzichtet.
Weitere 13 Sperren
Am heutigen Freitag wurden insgesamt bis kurz vor 17 Uhr 13 weitere Personen gesperrt, darunter auch viele Zweit- und Dritt-Accounts von Ehemaligen. Der Rest der früheren Aktiven hat einer Zurückstellung auf Userstatus zugestimmt (Kugelfisch23 etc.) Viele andere Mitglieder mit mehr als 10 Jahren Zugehörigkeit im Forum und vielen Tausend Einträgen wurden ebenfalls zurückgestuft. Von den Moderatoren sind insgesamt noch einige wenige da. Zwei haben bisher bekannt gegeben, weiter zu machen. Viele reagieren überhaupt nicht oder sind möglicherweise gerade im Urlaub. Deren Status stuft man auf reguläre User herab. Offenbar will man damit vermeiden, dass Informationen aus dem internen Bereich nach außen dringen können.
Maulkorb verteilt
Michael Stadler (Amigo) bat mich heute früh per Skype keine öffentlichen Aussagen mehr zu diesem kritischen Thema zu machen. Ich selbst empfand diese Aufforderung ehrlich gesagt als Maulkorb, weswegen ich zum Ende dieses Monats gekündigt habe. Unter diesen Bedingungen bin ich nicht weiter bereit, bei der Hamburger gamigo Advertising GmbH tätig zu sein – und sei es auch nur als Freiberufler.
Ich habe mir diesen Schritt lange überlegt. Dieses Portal war für mich von Anfang an weit mehr als nur ein Geld- oder Auftraggeber. Es wurde im Laufe der Jahre zu einer Art Heimat. Jetzt ist es einfach nur noch verbrannte Erde.
Die Betreiber wollen nach eigenem Bekunden „Ruhe“ hinein bringen in dieses Projekt. Zugriffszahlen und die Anzahl der anwesenden Nutzer will man steigern. Das g:b ist aber eine sehr empfindliche Gemeinschaft, die extrem stark auf jede Kleinigkeit reagiert. Mit derart radikalen Maßnahmen wird man gewiss keine Ruhe erreichen. Mittlerweile haben zwei haupt- oder nebenberufliche Mitarbeiter der Firma die Moderation des Forums übernommen. Manche Bereiche waren ohne deren Hilfe nicht mehr besetzt.
Ausblick
Wenn sich der Trend fortsetzt, wird die Firma noch viele weitere Mitarbeiter mit der Moderation des gulli:boards beauftragen müssen. Einem Mitarbeiter kann man Anweisungen geben, auch im Kommandoton. Ehrenamtlich tätige Personen nehmen keine Befehle an. Sie müssen von der Richtigkeit einer Entscheidung überzeugt werden. Wer bei dem rauen Ton bleibt, dem laufen die Leute weg. Wichtig ist auch eine Atmosphäre des Vertrauens. Wer seinen eigenen Moderatoren per se nicht trauen sollte, der vergrault sie. Es gibt Menschen, die extremen Druck und das Ausbleiben von Vertrauen für ihr Umfeld brauchen, das sind aber glücklicherweise nicht viele. Von daher bleibt die weitere Entwicklung von gulli.com kritisch abzuwarten.
Auch kann man nicht ernsthaft glauben, völlig neue User können Personen mit 10 Jahren und mehr Erfahrung einfach so ersetzen.
Was gulli.com fehlt, ist ein Alleinstellungsmerkmal und eine schlüssige Strategie des Betreibers. Für eine erfolgreiche Fortsetzung muss sich rumsprechen, dass die User dort etwas finden, was sonst im Web nirgendwo zu finden ist. Beides konnte ich bislang nicht entdecken. Man hat ja gesehen, wohin diese Radikalkur Jahre später geführt hat…
Tarnkappe.info