Bahnhof Südkreuz
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Bahnhof Südkreuz: Start frei Probelauf für moderne Gesichtserkennung

Im Berliner Bahnhof Südkreuz startete planmäßig das Pilotprojekt für die "Erprobung intelligenter Videotechnik zur Gesichtserkennung".

Seit Dienstag (01.08.2017) läuft am Bahnhof Südkreuz ein sechsmonatiges Pilotprojekt. In diesem testet man die Möglichkeit, aus Menschenmassen heraus Personen per Kamera automatisch zu erkennen, deren Gesichter zuvor gespeichert wurden. Damit will man künftig Terroristen, Gefährder und Straftäter aufspüren.

Bahnhof Südkreuz hat grünes Licht für Probelauf

Geplant ist, dass man ein halbes Jahr die Leistungsfähigkeit der Gesichtserkennungssoftware erprobt. Später befasst sich ein zweiter Test mit einer Mustererkennung. Dabei will man hilflose Personen, herrenlose Koffer und andere „Gefahrenszenarien“ erkennen.

Nach Angaben der Bundespolizei haben sich 275 Testpersonen bereits im Vorfeld des Starts registriert, um freiwillig bei der Gesichtserkennung mitzumachen. Als Belohnung bekommen sie einen Amazon-Gutschein über 25 Euro. Den erhalten sie, wenn sie die Versuchsanordnung in sechs Monaten mehr als 25 Mal durchqueren. Die drei Personen, die den Testbereich am häufigsten passieren, erhalten eine Smartwatch, eine Fitnessuhr oder eine Kamera.

Für die Tests sind sie ausgerüstet mit einem Responder, der signalisiert, wer von den Testern an den Lesegeräten vorbeigeht. In drei Testbereichen in der Westhalle des Bahnhofs Südkreuz nehmen drei Spezialkameras die Gesichter der Reisenden auf. Eine Kamera erfasst Menschen, die vom Hildegard-Knef-Platz in den Bahnhof gehen, ein weiteres Gerät filmt all jene, die ihn durch die blau markierte Tür verlassen. Eine dritte Kamera nimmt eine Rolltreppe ins Visier.

Abgleich mit Testdatenbank

Die Aufnahmen werden direkt eingespeist in eine Gesichtserkennungssoftware, die diese dann mit Fotos in einer Testdatenbank abgleicht. Die Hoffnung der Behörden: Jedes Mal, wenn eine Person aus der Testdatenbank durch die markierten Zonen am Bahnhof Südkreuz geht, meldet die Software zeitnah einen Treffer. Die von den Kameras erfassten Bereiche hat man besonders markiert. Damit kann man diesen ausweichen. Die Aufnahmen der Testteilnehmer speichert man maximal für ein Jahr lang. Alle anderen Bilder löscht man umgehend. Laut einem Bericht von netzpolitzik.org wären die Probanden nicht bevölkerungsrepräsentativ ausgewählt, auch fehlten konkrete Zielvorgaben dahingehend, wie hoch die Erkennungsrate sein müsse.

Zum Start des Testes wurden die am Test beteiligten Firmen bekannt gegeben, wobei die Rechner von Dell kommen, die Kameras von Elbex und zudem werden drei Softwaresysteme erprobt, wie das Bundespolizeipräsidium mitteilt, nämlich Bio Surveillance Next von Herta Security, EXAV-FRS 2.0 von AnyVision und Morpho Video Investigator von L-1 Identity Solutions.

Bundesinnenminister betont die positive Wirkung intelligenter Videoüberwachung

In der Pressemitteilung zum Projektstart stellt Bundesinnenminister Thomas de Maizière noch einmal die erhebliche Bedeutung des Projektes heraus, entsprechend hoch sind die Erwartungen: „Videoüberwachung leistet hier einen wichtigen Beitrag, indem sie abschreckt und bei der Aufklärung von Straftaten hilft. Außerdem führt der Einsatz von Videotechnik dazu, das Sicherheitsbefinden unserer Bürgerinnen und Bürger nachhaltig zu stärken.“ […] „Durch den Einsatz intelligenter Gesichtserkennungssysteme können zukünftig wesentlich bessere Ergebnisse für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger erzielt werden.“ Bisher sind die Handlungsmöglichkeiten der Polizei begrenzt: Zwar gibt es momentan viele Kameras an öffentlichen Plätzen, allerdings zeichnen diese nur auf, eine Auswertung der Bilder erfolgt ausschließlich anlassbezogen und meist im Nachhinein.

Nach dem Grund gefragt, warum sich Personen freiwillig zu den Tests melden, hat rbb24. So gab Robin Kreißig, einer der Testpersonen, an: „Ich interessiere mich extrem für neue Technologien, und weil ich selbst weiß, dass so ein Projekt einfach einen Testlauf braucht, um später mal zuverlässig zu funktionieren, wollte ich es gerne unterstützen“. Der 21-Jährige studiert Elektrotechnik beim Projektpartner Deutsche Bahn. So hat er auch aus dem firmeneigenen Intranet von den Tests erfahren.

Gefahren in Großstädten minimieren

Sandra von Kuczkowski meinte, ihr „Gerechtigkeitssinn“ sei der Grund dafür, dass sie bei dem Projekt mitmacht: „In einer Großstadt wie Berlin passiert immer wieder etwas auf Bahnhöfen, und da kann es nicht sein, dass Leute einfach andere angreifen und ungestraft davonkommen.“ Die 42-Jährige arbeitet für eine Fluggesellschaft. Datenschutz-Bedenken habe sie nicht, schließlich werde der Versuch von einer Bundesbehörde durchgeführt.

Von dem Pilotprojekt versprechen sich sowohl Bundesinnenministerium, als auch Bundespolizei und Bundeskriminalamt neue Erkenntnisse zur Abwehr möglicher Terrorakte. Datenschützer dagegen halten den Einsatz biometrischer Gesichtserkennungs-Programme für rechtswidrig. Auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) kritisiert den Einsatz von Gesichtserkennungssystemen an öffentlichen Plätzen.

Kritik von vielen Seiten

Berlins Datenschützerin Maja Smoltczyk warnt. „Die große Gefahr besteht darin, dass umfangreiche Bewegungsprofile von Bürgerinnen und Bürgern erstellt werden können und damit das Recht, sich frei und unbeobachtet in der Öffentlichkeit zu bewegen, infrage gestellt wird.“ Je mehr „sensible Daten in der Welt sind, desto höher werden auch die Missbrauchsmöglichkeiten“, sagt Smoltcyk weiter. Zudem sehe sie die Gefahr, dass Unbeteiligte in Ermittlungen reingezogen würden – zum Beispiel, weil sie in der Nähe eines Straftäters waren.

Auf dem LAW-Blog der Rechtsanwälte Vetter & Mertens wird die Kritik von DAV-Präsident Ulrich Schellenberg zum Start des Gesichtserkennungsprojektes gut zusammengefasst: “Wenn massenhaft Gesichter von unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern an Bahnhöfen gescannt werden, dann greift der Staat schwerwiegend in Grundrechte ein“. […] “Dieses Scannen führt zu einem nicht hinnehmbaren Gefühl des Überwachtwerdens und der Einschüchterung“.

Man überwacht und schüchtert die Bürger systematisch ein

Das Bundesverfassungsgericht habe in mehreren Entscheidungen ausdrücklich vor derartigen Effekten gewarnt. So beispielsweise in dem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung oder im Urteil zum automatisierten Erfassen von Kfz-Kennzeichen. Die rechtlichen Bedenken des DAV richten sich nicht gegen den sechsmonatigen Testbetrieb. Jedoch gegen den späteren Einsatz der Gesichtserkennung im Echt-Betrieb. “Angesichts dieser neuen technischen und rechtlichen Möglichkeiten stellt sich die Frage, auf welcher rechtlichen Grundlage das massenhafte Scannen von Gesichtern gerechtfertigt wird“. Dies kommentierte der DAV-Präsident. “Eine wasserdichte Norm, die diesen Angriff auf die informationelle Selbstbestimmung rechtfertigen kann, gibt es nicht.“

Anlassloser Eingriff in die Privatsphäre

Bernd Schlömer von der Berliner FDP sprach von einem „anlasslosen Eingriff in die Privatsphäre unbescholtener Bürger“. Dies hebele das Recht auf informationelle Selbstbestimmung weitgehend aus.

Laut einem weiteren Bericht von netzpolitik.org äußert der Hamburgische Datenschutzbeauftragte Johannes Caspar Bedenken: „Soweit hier auch Passanten betroffen sind, die nicht ausdrücklich eine Einwilligung zu den Aufnahmen erteilt haben, ist die Annahme, es bedürfe lediglich eines Hinweisschildes, um sie im Rahmen des Pilotbetriebs rechtmäßig zu erfassen, mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht vereinbar.“ Demnach würde es nicht genügen, Passanten am Bahnhof Südkreuz nur mit Hinweisschildern auf das automatische Gesichtserkennungssystem aufmerksam zu machen.

Tarnkappe.info

Über

Antonia ist bereits seit Januar 2016 Autorin bei der Tarnkappe. Eingestiegen ist sie zunächst mit Buch-Rezensionen. Inzwischen schreibt sie bevorzugt über juristische Themen, wie P2P-Fälle, sie greift aber auch andere Netzthemen, wie Cybercrime, auf. Ihre Interessen beziehen sich hauptsächlich auf Literatur.