Bereits im April wurde bekannt, dass Mitglieder des Vereins Digitale Kultur e.V. dafür sorgen konnten, dass in Nordrhein-Westfalen die Demoszene im ersten Schritt als Kulturerbe der UNESCO nominiert wurde. Bis zur endgültigen Erreichung des Titels müssen nächstes Jahr noch mehrere Hürden überwunden werden. Immerhin hat das Kultusministerium NRW die Demoszene nominiert. Drei von 18 Kandidaten erreichten das erste Ziel, mit allen anderen Einreichungen wird man sich hingegen nicht weiter beschäftigen.
Es geht um weitaus mehr, als nur Geld oder einen Titel
Wir haben einen der beiden Macher hinter den Kulissen befragt. Melkor von Haujobb aka Tobias Kopka schrieb uns zurück, niemand bekomme automatisch Gelder. Auch dann nicht, wenn die Verleihung durch sein sollte.
Doch mithilfe der Verleihung als europäisches Kulturerbe wäre es einfacher, Gelder künftig bei den entsprechenden Stellen zu beantragen. Wir wollten von Tobias wissen, was man denn eigentlich unter dem Strich als Demoszener davon hat, wenn man sich ganz offiziell als Teil des Kulturerbes betrachten darf!? Bis auf den schönen Titel fiel uns auf den ersten Blick nichts Konkretes auf, was man dem Video (siehe unten), der Ankündigung oder den FAQ entnehmen kann.
In Finnland konnte man die Anerkennung bereits erwirken, von daher stehen die Chancen hierzulande nicht schlecht. Neben dem finanziellen Aspekt könne man Türöffner für andere digitale Kulturen werden. Also immer wenn es darum geht, nicht kommerziell und dezentral digitale Werke zu erstellen. Beispiele gefällig? Kein Problem! Wie wäre es mit den Erstellern von Open Source Software? Nehmen wir den Browser Firefox oder den VideoLan (VLC) als zwei Beispiele von vielen. Oder Netlabels? Digitale Projekte wie Open Street Map, wo die ganze Welt kartografiert wird. Vieles davon ist äußert nützlich, besitzt keinen kommerziellen Charakter und wäre es auch wert, gefördert zu werden.
Video: UNESCO Kulturerbe in .de: Melkor (Tobias) erklärt den Stand der Dinge.
Und was haben wir in der Demoszene davon?
Die Macher hoffen, dass sich im Fall einer Anerkennung auch Wissenschaftler professionell mit dem Thema Demoszene beschäftigen werden. Also mehr Forscher als Dipswitch von Black Maiden oder Marq von Fit. Und auch mehr wissenschaftliche Abhandlungen oder ganze Bücher, die sich eingehend mit dem Thema beschäftigen.
Wir wären dann eben keine verrückten Computerfreaks mehr, die lediglich etwas Verrücktes tun. Sondern wir wären Schützer eines immateriellen und anerkannten Kulturerbes. Neben Geldern für die Durchführung der Szene wäre es theoretisch auch möglich, dass man die Ausbildung zum Demoszener finanziell unterstützt. Wie wäre es also mit vom Land bezahlten Kursen, wo man den Teilnehmern das Coden, Pixeln, Rendern oder den Umgang mit einem Tracker beibringt?
Die Möglichkeiten wären vielfältig, wenn man ein wenig seiner Fantasie freien Lauf lässt. Demopartys, wenn sie nach Corona wieder stattfinden, könnte man zumindest zu einem nicht unerheblichen Teil mit öffentlichen Geldern bestreiten. Für die Veranstalter würde ein Großteil des finanziellen Risikos wegfallen.
Doch eigentlich geht es um etwas viel Grundlegenderes…
Es ist total aus der Mode gekommen, bis auf die Textverarbeitung den Computer mit der Tastatur zu bedienen. Bis auf ein paar Linux-Fanatiker nutzt kaum noch jemand eine Shell und gibt dort einzelne Kommandos ein. Es wäre Zeit den Anwendern wieder ein wenig mehr Kontrolle über ihre Geräte zu geben. Und ihnen zu zeigen, dass man nicht nur konsumieren sondern auch etwas damit herstellen kann. Ja, es ist nicht einfach, vor allem am Anfang. Und nicht jeder hat das Zeug zu einem guten Coder, Musiker oder Grafiker. Aber dennoch sollte man die Menschen ein wenig daran erinnern, dass der Umgang mit dem Computer keine Einbahnstraße sein muss. Ein solcher Kurs wäre ein Versuch wert.
Demoszene 2020: Wir werden alle nicht jünger.
In jedem Fall werden wir die weitere Entwicklung mit Interesse verfolgen. Daraus könnten sich viele neue Möglichkeiten für die Szene ergeben. Vielleicht auch solche, die dafür sorgen, dass das Durchschnittsalter innerhalb der Aktiven etwas gesenkt werden kann. Wenn es so weitergeht, werden die ersten Szener ihre Demos in 20 Jahren im Rollstuhl präsentieren oder mit Gehstöcken durch den Saal gehen. Und das ist mehr als nur ein Scherz.
Wenn man mit staatlicher Förderung für die Demoszene werben könnte, käme frisches Blut rein. Vielleicht kann man die ganze Angelegenheit ein bisschen aus ihrem Nischendasein herausholen und für mehr Aufmerksamkeit sorgen. Wäre das nicht großartig?
Tarnkappe.info