Nach Recherchen des NDR und vom Spiegel durfte sich die verfassungsfeindliche "Identitäre Bewegung" zum Sonderpreis im Cyberbunker einmieten.
Nach Recherchen des NDR und vom Spiegel durfte sich die verfassungsfeindliche „Identitäre Bewegung“ zum Sonderpreis im Cyberbunker einmieten. Statt mehrerer Hundert Euro mussten sie für das Webhosting laut der Ermittlungsakten nur 30 EUR monatlich bezahlen.
Im Cyberbunker 2.0 haben sich genau die Mieter eingefunden, die auf absolute Sicherheit aus waren. Unzählige Clear- und Darknet-Foren, Online-Dienstleister und Marktplätze waren dort untergebracht, wo es alles gab, was verboten ist. Wer DDoS-Angriffe, Drogen, gefälschte Dokumente, geklaute Daten oder kinderpornografische Werke verkaufen wollte, fand sich dort genauso ein, wie Mitglieder der völkisch-rechtsextremen Identitäre Bewegung. Journalisten des NDR und des Spiegels war es ofenbar erlaubt, einen umfassenden Einblick in die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft zu nehmen.
Nazi-Rabatt im Cyberbunker für Identitäre Bewegung & Co.?
In den Unterlagen fand man einen Hosting-Vertrag der rechtsextremen Gruppe über einen Cloudserver. Als „Identitäre Bewegung“ (IB), auch als Identitäre Generation bekannt, bezeichnen sich mehrere aktionistische, völkisch orientierte Gruppierungen. Diese glauben, dass unsere Kultur von einer regelrechten Islamisierung Europas bedroht wird. Laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) werden derartige Gruppierungen überwacht, weil ihre Positionen nicht mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vereinbar seien. Laut der Ermittlungsakten habe ein Mitarbeiter vom Cyberbunker zu Protokoll gegeben, dass man politisch extremistische Gruppierungen als eine „Marktlücke“ angesehen habe. Statt mehrerer Hundert Euro monatlich musste die IB nur einen Bruchteil dessen bezahlen.
Identitäre Bewegung – keine Verantwortung, kein schlechtes Gewissen?
Gegenüber dem Spiegel und NDR bestritt der Geschäftsführer der Einrichtung, Herman X., überhaupt etwas von illegalen Inhalten gewusst zu haben, die man dort vorgehalten hat. Für den Cyberbunker müsse das gleiche Recht gelten wie für andere „Provider“, wie die Telekom. Man müsse das Ganze mit Schließfächern vergleichen. Die Mitarbeiter einer Bank wüssten auch nicht, was man bei ihnen deponiert hat. Folglich hätten alle Beschäftigten geglaubt, legalen Geschäften nachzugehen und ihre Kunden nicht bei illegalen Tätigkeiten durch ihr Webhosting zu unterstützen.
Schutz vor den Behörden inklusive
Dabei warb man explizit damit, die Kunden vor der Strafverfolgung der Behörden zu schützen. Für dieses Versprechen waren viele Mieter bereit, besonders tief in ihre Taschen zu greifen. Schon vor Wochen gab die zuständige Staatsanwaltschaft bekannt, man habe bislang keinen einzigen legalen Mieter ausfindig machen können. Wer keinen besonderen Schutz für die Durchführung seiner Geschäfte braucht, wählt lieber einen deutlich preiswerteren Webhoster mit einer ähnlich schnellen Anbindung. Ohne entsprechenden Hintergrund ist niemand bereit, ein Vielfaches des üblichen Marktpreises zu bezahlen.
Es soll sogar eine Art Tarnkappen-Service gegeben haben, bei dem die Kunden zwecks Unsichtbarkeit im Web einen weiteren Aufpreis bezahlt haben. Der CEO Herman X. glaubt, er habe wegen des früheren Hostings der Enthüllungsplattform Wikileaks die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich gezogen. Oberstaatsanwalt Jörg Angerer gab hingegen bekannt, er gehe von einer Mitwisserschaft mancher Mitarbeiter vom Cyberbunker aus. Die Verantwortlichen würden versuchen, sich mit derartigen Aussagen als Opfer darzustellen. Man habe für die Story mit Wikileaks noch keine Beweise finden können.
In der Vergangenheit hat man sich damit versucht herauszureden, es handele sich bei der Razzia um einen Rechtsbruch, weil jeder Webhoster dem Grundsatz der Netzneutralität unterstehe. Deswegen habe man sich gar nicht dafür interessieren wollen, was auf den eigenen Servern so alles geschah. Außerdem habe man keinen Zugriff auf die verschlüsselten Bereiche der eigenen Festplatten gehabt. Das galt angeblich für Kipos genauso wie für illegale Foren oder Seiten der Identitären Bewegung.
Extra sichere Chat App für die Mafia?
So unwissend, wie sich der Geschäftsführer gibt, könne er nicht sein, heißt es aus Behördenkreisen. So habe Hermann X. angeblich dabei geholfen, eine Chat App zu entwickeln, über die sich die Mitglieder der Organisierten Kriminalität austauschen konnten. Laut der brodelnden Gerüchteküche soll bei der Finanzierung ein irischer Drogenbaron behilflich gewesen sein. Dieser wurde vor Monaten von britischen Boulevard-Blättern im Zusammenhang mit dem Management des Cyberbunker erwähnt. Doch das alleine ist natürlich noch kein Beweis für die Entwicklung einer extra sicheren Kommunikations-App für Kriminelle.
Von Kamphuis: Das LKA RLP ist eine Ansammlung von Heuchlern
Wir haben den früheren Techniker vom Cyberbunker, Sven Olaf Von Kamphuis (SovK), kontaktiert. Aus Insiderkreisen wurde uns davon abgeraten. Den solle man am besten ignorieren, weil er kürzlich den IP Space von Herman X. geklaut habe. Ehre unter Kriminellen sei ein Fremdwort. Herr Kamphuis, der den Cyberbunker 1.0 in den Niederlanden gegründet hat, glaubt ernsthaft, die Bundesrepublik Deutschland sei auch nicht mit unserem Grundgesetz vereinbar. „Also was wollen die Hypokriten (= Heuchler) ?“
Ob die Aussage mit dem Preisnachlass für die rechte Vereinigung stimmt, könne er nicht beurteilen. Für die Verwaltung der Kunden sei er seit 2013 nicht mehr zuständig. Viel Licht kann SovK sowieso nicht ins Dunkel bringen. Dafür sind seine Statements nicht minder unterhaltend. So stellt der auf der Flucht befindliche Techniker in den Raum, vielleicht sei es besser, wenn die ‚Identitäre Bewegung‘ die Regierung der BRD mal eine Weile übernehmen würde. Für ihn sehe es aus aus, als wenn sie sich besser an das eigene Grundgesetz halten können. Es seien schließlich Behörden der BRD gewesen, die gegen das TMG und GG verstoßen hätten, als der Cyberbunker gestürmt wurde und keine rechtsradikale Bewegung.
Identitäre Bewegung: geschickte Ausreden und wirre Theorien
Jetzt würde man im Zuge der „Corona Hysterie“ weitere Grundgesetzverstöße begehen, weil die Anordnungen gegen „jegliche universelle Menschenrechte“ verstoßen. Es sehe im übrigen so aus, als wenn diese ‚Identitäre Bewegung‘ und AfD „so um die 80% der Wähler ausmachen“ würden, gibt Kamphuis bekannt. „Freiheit, Recht und Frieden“ setze man in einer Demokratie nicht durch, indem „650 Wannabe Polizisten“ einen Internet Service Provider raiden (= überfallen). Insbesondere nicht, da der ISP (Cyberbunker) gar nicht unter die Hoheit der BRD gefallen sei.
Angebot und Nachfrage bestimmen stets den Preis
An das LKA gerichtet, sagt SOvK, ein Produkt habe grundsätzlich den Preis, den der Kunde zu zahlen bereit ist. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Dies sei abzulegen unter der Schublade: „Was Kommunisten nicht wissen dürfen“. Auf die Kommunikations App für die Mafia angesprochen, schreibt er uns, es gebe schon so etwas. Das nenne sich Briefgeheimnis. „Noch so ein Fremdwort für die BRD.“ Derartige Apps gebe es doch schon, die von anderen Firmen entwickelt werden. Man sollte mit dieser Geschäftsidee mal einen Börsengang machen, empfiehlt er. Vielleicht sollten sich die LKA-Mitarbeiter oder andere Staatsbedienstete mal ein paar Aktien kaufen.
Doch nachdem die Regierung die Wirtschaft mit den ganzen Ausgangsbeschränkungen an die Wand gefahren habe, komme dies laut SoVK wohl nicht mehr infrage. Ob er etwas von der Identitären Bewegung wusste, lässt er offen.
Statement von Rechtsanwalt Ehssan Khazaeli von der Kanzlei von Rueden.
Kennt und seine Mitstreiter berufen sich auf das so genannte Providerprivileg aus dem Telemediengesetz. »Onlinemedien müssen als Inhalteanbieter für illegale Inhalte selbst haften. Dagegen müssen Provider erst dann reagieren, wenn sie auf illegale Inhalte hingewiesen worden sind, oder anders davon erfahren«, Das könne im Einzelfall eine funktionierende Verteidigungsstratege sein, dürfte aber dann scheitern »wenn das gesamte Geschäftsmodell auf das Hosten von illegalen Inhalten ausgerichtet war«.
Dies sagt der Berliner Medienrechtler Ehssan Khazaeli, der den Mammutsprozess um den Cyberbunker 2.0 beobachtet.
Tarnkappe.info