ZeroNet-Gründer Tamas Kocsis im Gespräch. Er will das Internet umkrempeln. Warum aber steht dort der Schutz der Nutzer nicht an 1. Stelle?
ZeroNet ist wie ein sicherer Hafen für das Internet, wo die Regeln von den Menschen selbst bestimmt werden!
Tarnkappe.info: Hallo Tamas! Vielleicht magst Du Dich unseren Leserinnen und Lesern einmal vorstellen? Tamas Kocsis: Hallo! Mein Name ist Tamas. Ich bin 34 Jahre alt und lebe in Budapest, Ungarn. Ich liebe das Internet, seitdem es Modems und Akustikkoppler gibt. Neben dem Programmieren genieße ich alle Aktivitäten, die ein sinnvolles Endergebnis hervorbringen. In den letzten Jahren habe ich mich mit der Erstellung von Möbeln und diverser Objekte mithilfe von Holz, Beton und Papier beschäftigt. Tarnkappe.info: In deiner Heimatstadt Budapest gibt es, gemessen an europäischen Standards, die meisten Geldautomaten, die den Bitcoin (BTC) akzeptieren, wenn ich richtig informiert bin. Welche Beziehung hast Du zu dieser Kryptowährung? Warum hast Du den Bitcoin als Basis für ZeroNet ausgewählt? Tamas Kocsis: Das erste Mal habe ich vom Bitcoin im Jahr 2013 gehört. Ich mochte die Idee mit der Dezentralisation sehr und auch, dass man dabei so viele Banken wie möglich los wird. Im Umfeld fand ich eine tolle Gemeinschaft. Ich wollte zu einem nützlichen Mitglied dieser Gruppe werden. Der Wunsch, ein konstruktives Mitglied in der Community rund um den Bitcoin und dezentraler Kryptowährungen zu werden, war Teil meiner Motivation, Ende 2014 mit der Entwicklung von ZeroNet zu beginnen. Tarnkappe.info: Heutzutage gibt es doch viel modernere Kryptowährungen mit schnelleren Transfers, geringeren Kosten etc. Warum hast Du Dich für den Bitcoin entschieden? Oder ist der BTC die einzig gültige Kryptowährung für Dich? Tamas Kocsis: Ich glaube, der Bitcoin bleibt in naher Zukunft die Kryptowährung, der man am meisten vertraut. Als ich mit der Entwicklung begonnen habe, gab es neben dem Bitcoin keine andere bedeutende Kryptowährung. Das Bitcoin-Netzwerk (Blockchain) spielt bei ZeroNet gar keine Rolle. Wir nutzen die Kryptographie des BTC lediglich unter der Haube. Die Transaktionsgeschwindigkeit des Bitcoin spielt daher für uns gar keine Rolle.„Der beste Weg sich in dieses Projekt einzubringen ist, selbst Inhalte und Anlaufstellen zu erstellen.“

Tarnkappe.info: Wie viele Personen arbeiten bei der Entwicklung von ZeroNet mit? Kannst Du Dir damit ein geregeltes Einkommen sichern? Tamas Kocsis: Im Augenblick kommen mehr als 90% der Änderungen von mir selbst. Vor zwei Jahren fing ein deutsches Unternehmen an, mich finanziell zu unterstützen. Seitdem verbringe ich die meiste Freizeit damit, die Entwicklung voranzutreiben.Just installed @HelloZeroNet. I have to say, it’s a really impressive #decentralised website platform! Very modern looks, and some good content too.
— Michel de Joode (@mdejoode) 18. März 2018
Das Netzwerk an sich ist nicht anonym. Man muss dafür andere Lösungen einsetzen, um die Identität zu schützen.
Tarnkappe.info: Sprechen wir doch mal aufgrund der Entwicklung dieses Netzwerkes von möglichen Verstößen gegen das Straf- oder Zivilrecht: Gibt es als Träger einen Verein? Oder anders gefragt: Wie sicherst Du Dich gegen juristische Angriffe ab? Tamas Kocsis: Hinter ZeroNet steckt kein offizielles Unternehmen. Es ist nur eine Open Source-Anwendung, die jeder verändern kann. Soweit ich weiß, verstoße ich gegen keine Gesetze, indem ich diese Software herstelle. Es ist für die Anwender wichtig zu wissen, dass dieses Netzwerk nicht von sich aus anonym ist. Wer seine Spuren im Internet verwischen will, muss dafür andere Lösungen wie das Tor Netzwerk etc. in Anspruch nehmen.
Anonymität ein Problem
Tarnkappe.info: Anonymität ist ein gutes Thema. ZeroNet kann man nämlich mit dem Tor-Netzwerk verknüpfen. Doch die Anonymität ist nicht per Voreinstellung gewährleistet. Warum eigentlich nicht? In Deutschland, den USA und vielen anderen Staaten bekommen Personen immer wieder erhebliche Probleme, weil Anwaltskanzleien massenhaft Abmahnungen verschicken. Die kosten dann bis zu 1.400 Euro pro Schreiben. Und Tor ist heutzutage alles andere als langsam. Gibt es andere Gründe, weshalb Du Dich für die fehlende Anonymität per Voreinstellung entschieden hast, die wir wissen sollten? Tamas Kocsis: Die Geschwindigkeit von Tor ist hierzulande und in der EU sehr gut. In anderen Teilen der Welt stellt sich die Situation nicht so positiv dar. In vielen Nationen wird das Tor-Netzwerk komplett blockiert. Ich denke, es ist das Beste, die Anwender entscheiden zu lassen, ob sie ihre IP-Adresse verbergen wollen oder nicht.
Play File-Seite problematisch
Tarnkappe.info: Ich kann lediglich den Trailer des Films mithilfe von YouTube aus dem Clearnet anschauen und nicht den ganzen Film. Wie kommt’s ? Tamas Kocsis: Ganz einfach, Du brauchst einen BitTorrent Client, um den kompletten Film herunterzuladen.
„Die Torrent-Seiten befinden sich in einer Grauzone“
Tarnkappe.info: Zu unserer Überraschung ist „Play“ eines der Höhepunkte, wenn man die Suchmaschine von Google benutzt, um mehr über ZeroNet in Erfahrung zu bringen. Wie findest Du das? Tamas Kocsis: Nach meiner Meinung befinden sich die Torrent-Seiten in einer Grauzone. Moralisch gesehen werden sie von den Menschen akzeptiert. Es ist noch nicht endgültig entschieden, ob sie gegen gültiges Recht verstoßen. Aber die Rechteinhaber wollen sie natürlich alle schließen. Ich kann Torrent-Seiten nicht grundsätzlich verdammen, weil ich keine Beweise dafür finden kann, dass Filesharing-Programme die Filmindustrie „zerstören“. Die Einnahmen der Kinokassen haben sich verzehnfacht, seitdem BitTorrent populär wurde. Und auch Streaming-Plattformen wie Netflix erleben einen ähnlichen Anstieg ihrer zahlenden Kunden.
Einmal besuchte Seiten sind bei ZeroNet auch ohne Verbindung zugänglich
Tarnkappe.info: Ist es wirklich unmöglich, jemanden bei ZeroNet unsichtbar zu machen, indem man eine heftige DOS- oder DDoS-Attacke gegen ihn fährt? Tamas Kocsis: Es wäre möglich, die anderen Teilnehmer anzugreifen, die das fragliche Material verbreiten. Ich glaube aber, das wäre sinnlos, weil das die meisten Nutzer gar nicht mitbekommen würden. Wurde eine Seite schon einmal besucht, lädt man die Daten auf den eigenen Computer herunter. Somit ist die Seite auch ohne eine Internet-Verbindung zugänglich. Tarnkappe.info: Du empfiehlst diese Übersicht ), wo die Seiten aufgrund ihrer Peer-Nummern sortiert wurden. Wie sieht es aus: Plant ihr eigentlich eine eigene Suchmaschine für Euer Netzwerk? Tamas Kocsis: Ich finde, das ist eine tolle Möglichkeit, um die meisten bekannten Seiten kennenzulernen. Aber Du musst schon sehr wachsam sein, um zu entscheiden, welche Seiten Du wirklich besuchen willst. Eine Suchmaschine wäre eine tolle Sache. Aber das wird schwer umzusetzen sein, weil wir dafür unfassbar viele Daten speichern (und auswerten) müssten.„Ich kann Torrent-Seiten nicht verurteilen. Es gibt keine handfesten Beweise dafür, dass Torrent-Seiten die Filmindustrie zerstören.“

„Spam ist ein großes Problem, insbesondere in dezentralisierten, anonymen Systemen.„
Tarnkappe.info: Um das Forum ZeroTalk German zu nutzen, musste ich mich nur mithilfe von ZeroID anmelden. Wie sicher ist dieses Verfahren? Erleichtert es die Vorgehensweise von Internet-Trollen oder solchen Personen, die Fake-News usw. verbreiten wollen?
ZeroNet-Gründer unglücklich über missbräuchliche Inhalte
Tarnkappe.info: Wie sieht es mit dem Thema Kinderpornografie aus? Kannst Du das Problem als verantwortlicher Programmierer überhaupt verhindern? Oder beispielsweise den Verkauf von Drogen, Waffen und derartigen Waren? Natürlich werden solche Seiten, sofern sie existieren, nicht von dir betrieben. Doch das Problem dürfte auch bei Euch bestehen. Wie denkst Du über derartige Anbieter, die Netzwerke wie I2P, Freenet oder Tor für ihre Zwecke missbrauchen? Tamas Kocsis: Natürlich bin ich nicht glücklich, derart problematische Inhalte wie die angesprochenen zu entdecken. Doch da es sehr einfach ist, an solche Dinge bei Tor/I2P oder Freenet zu gelangen, wird ZeroNet hierbei keine große Rolle spielen.
„Edward Snowden hat dabei geholfen zu realisieren, dass sich die Regierungen nicht immer an die Regeln halten…“
Tarnkappe.info: Was glaubst Du: Konnte Edward Snowden etwas verändern, indem er die Dokumente den Journalisten übergab? Tamas Kocsis: Ich denke, Edward Snowden hat dabei geholfen zu verstehen, dass sich (selbst) die Regierungen nicht immer an die Regeln halten. Die meisten Leute interessiert das noch immer nicht. Deswegen hatten die Snowden-Leaks keine größeren Auswirkungen auf die staatliche Massenüberwachung.ZeroNet: Ausblick in die Zukunft
Tarnkappe.info: Was glaubst Du, wie wird das Clearnet (WWW) in fünf oder zehn Jahren aussehen? Wird es komplett reguliert sein? Sprechen wir doch einmal von Aspekten wie Privatsphäre, Netzsperren, Netzneutralität etc. Tamas Kocsis: Ich glaube daran, dass das Internet mehr reguliert sein wird. Es würde mich nicht wundern, wenn die Regulierung eines Tages einen Zwang beinhalten wird, der jeden Autor mit mehr als ein paar Hundert Besuchern oder Followern dazu zwingt, eine Lizenz für Inhalte-Hersteller zu kaufen. Tarnkappe.info: Uns würde das auch nicht verwundern, traurig aber wahr. Tamas, vielen Dank für Deine ausführlichen Antworten!(*) Alle mit einem Stern gekennzeichneten Links sind Affiliate-Links. Wenn Du über diese Links Produkte oder Abonnements kaufst, erhält Tarnkappe.info eine kleine Provision. Dir entstehen keine zusätzlichen Kosten. Wenn Du die Redaktion anderweitig finanziell unterstützen möchtest, schau doch mal auf unserer Spendenseite oder in unserem Online-Shop vorbei.