Anaglyph 3D - Bild von Losso
Anaglyph 3D - Bild von Losso

Anaglyph 3D: die Demoszene in der dritten Dimension

Das Anaglyph 3D-Verfahren verwendet die Demoszene schon seit rund 30 Jahren. Doch die Technologie dahinter ist wahrlich schon uralt.

Das Verfahren Anaglyph 3D wird in der Demoszene schon seit rund 30 Jahren angewendet. Doch das eigentliche Verfahren dahinter ist schon viel älter. Wir werfen einen Blick auf die Technik und wollten von einem Kölner Programmierer wissen, was ihn so sehr daran reizt. Wenn das Verfahren so spannend ist, warum kommt es bei Demos und Intros trotzdem so selten zum Einsatz? Wir haben einmal genauer nachgehakt.

Leipziger erfand Anaglyph 3D im Jahr 1853

Das eigentliche Anaglyphen-Verfahren ist weit mehr als 100 Jahre älter als die Demoszene sebst. Der Leipziger Wilhelm Rollmann entwickelte es schon im Jahr 1853. Ein Farbanaglyphenbild ist ein Stereogramm. Bei diesem stellt man die Teilbilder nicht nebeneinander dar, sondern sie werden überlagert. Das Verfahren war in den letzten 50 Jahren so beliebt, weil es so preiswert ist.

Die 3D-Brillen enthielten anfangs noch den roten Filter vor dem linken Auge, den grünen vor dem rechten. So richtig bekannt wurden die Brillen in den 70er Jahren, als Jugendzeitschriften wie Yps oder FRÖSI (DDR) häufiger dreidimensionale Darstellungen für ein Brillenglas in Rot und eines in Cyan abgedruckt haben. Diesen Comic-Zeitschriften lagen ab und zu auch solche Brillen aus Pappe bei. Heutige Kinos verwenden übrigens eine ganz andere Technik, bei der sogenannte Polfilter-Brillen zum Einsatz kommen.


fractus von deFarce – Anaglyph 3D Demo auf einem ZX Spectrum Enhanced.

Wie funktioniert das Ganze?

Die beiden menschlichen Augen haben voneinander einen feststehenden Abstand. Somit nimmt jedes Auge die Umwelt mit einer geringfügig anderen Perspektive auf. Die beiden dreidimensionalen Eindrücke der Augen setzt das Gehirn dann zu einem einzelnen 3D Bild zusammen. Beim Anaglyph-Verfahren lässt das rote Glas (links) nur rote Farbtöne durch, alle anderen werden gefiltert. Das rechte Brillenglas in Cyan (zwischen Blau und Grün) lässt nur Töne in Cyan, Grün- und Blautönen durch. Das gleiche Objekt wird dargestellt in verschiedenen Farben, abhängig von links oder rechts, das Gehirn setzt das Bild dann dreidimensional zusammen. Coder haben damit gleich die doppelte Arbeit, weil jede Fläche doppelt dargestellt werden muss. Also für jedes Auge einmal.


3D für Windows PCs: Gravity of the Moon von Farbrausch

Geschichtliche Aspekte von Anaglyph 3D

Die ersten in der Demoszene bekannten Produktionen tauchen in den Datensätzen im Jahr 1990 auf, als die Gruppe Exit mit ihrem 3D Demo „Quo Vadis“ die Theatre and Network Party gewonnen hat. Dicht gefolgt vom Anaglyph 3D Demo „Third Dimension“ der weitaus bekannteren Gruppe Cryptoburners. Danach tauchten Produktionen, die mit dem Anaglyph 3D-Verfahren erstellt wurden, nur noch sporadisch auf. Einzig die in Berlin stattfindende Party Deadline organisiert jedes Jahr aufs Neue eine 3D Competition.

Das mag auch der Grund sein, warum Pouet für 3D Demos keine eigene Kategorie erstellt hat. Derartige Produktionen findet man vermischt mit anderen Werken in „Alternative Demo“, das kann nichts und alles bedeuten. Lediglich die Online-Datenbank Demozoo hat dafür eine eigene Kategorie eröffnet, wo 26 3D-Produktionen verewigt wurden. Darunter auch ein Javascript-Demo, ein 3D Bild, Videos und Intros bzw. Demos auf den verschiedensten Computer Plattformen. Die am häufigsten benutzte Plattform ist wenig überraschend Windows, gefolgt von Amiga OCS/ECS Demos.

Anwendung auf dem Amiga, KC 85/4 oder einem Windows-PC

Die Hardware von Windows PCs dürfte mit der Technik die wenigsten Probleme haben. Schließlich sind hier leistungsfähige Grafikkarten Standard. Die GPU muss halt jede Szene zweifach darstellen aus einer geringfügig anderen Perspektive. Beim Amiga hilft einem die Hardware des Gerätes selbst. Mithilfe von Bitplanes geht das Coden laut Doc K. von Moods Plateau recht einfach von der Hand. Zwar muss auch hier jedes Bild 2x dargestellt werden. Aber die Berechnung des Resultats geschieht automatisch durch eine geschickte Wahl der Farbpalette. Allerdings muss man bei Überlappung die Mischfarben berechnen lassen.

Der Amiga zeichnet die Bilder auf die unterschiedlichen Bitplanes, die daraus resultierende Mischfarbe entsteht dann mehr oder weniger automatisch. Kompliziert wird es beim Kleincomputer KC 85/4 aus der DDR. Hier kommt ein spezieller Bildschirmmodus zum Einsatz, der kein Standardmodus ist. Während die Farbpalette nicht mehr geändert werden kann, funktioniert die Umsetzung ähnlich wie beim Amiga mithilfe der Bitplanes. Der KC 85/4 ist aufgrund der Palette eher zufällig geeignet für die Anaglyph 3D Technologie mit den beiden Farben Rot und Cyan.


Anaglyph 3D auf einem Amiga 500 – Peek von Spaceballs.

Was reizt Coder an diesem Verfahren?

Wir haben uns ausführlich mit Doc K. von Moods Plateau unterhalten, der selbst schon mehrere 3D Produktionen erstellt hat. Laut seiner Auffassung ist es für die Programmierer eine größere Herausforderung, bis dreidimensionale Demos tatsächlich funktionieren. Zudem erzeugen die Eindrücke mehr AHA-Effekte und können das Publikum besser begeistern. Für ihn ist die etwas kompliziertere Umsetzung interessant, weil man nicht tagtäglich damit zu tun hat. Zu gerne erinnert er sich an seine Kindertage zurück, als er 3D Bilder in Comicheften betrachtet hat. Das Ganze erinnert ihn ein wenig an die Faszination für Lego-Bausteine, die bis heute manche Erwachsene in ihren Bann zieht.

Doch die Technik dahinter ist noch aus andern Gründen faszinierend: Auf einer völlig flachen Leinwand entsteht aufgrund der Technologie plötzlich etwas Dreidimensionales. Die räumliche Dimension ist ein zusätzlicher Aspekt, der bei anderen Wettbewerben schlichtweg nicht vorhanden ist.


Outskirts von The Electronic Knights (TEK), läuft ebenfalls auf einem Amiga 500

Warum gibt es nicht mehr Anaglyph 3D Demos?

Im Prinzip ist die Technologie dahinter ein alter Hut. Demoszener hegen hingegen oft den den Wunsch, sich am Puls der Zeit zu bewegen. Doch es sprechen auch rein organisatorische Gründe dagegen. Bei Demopartys müssten alle Teilnehmer entweder eigene Brillen mitbringen oder die Möglichkeit erhalten, auf der Party eine 3D-Brille zu kaufen. Ohne zusätzliche Hardware entfällt der Effekt vollständig. Die Deadline Party hat sich auf diese Technik spezialisiert. Entwickler bekommen im Vorfeld eine 3D Brille zugeschickt. Außerdem legt man ihnen eine Karte mit einem motivierenden Spruch bei. Wer keinen Assembler etc. beherrscht, kann die Brillen natürlich bis heute im Internet oder sonst wo kaufen. Leider musste diese Veranstaltung in 2020 coronabedingt ausfallen, auch online fand die Deadline nicht statt. Die Organisatoren haben sich dagegen entschieden.

Fazit

Die Werke aus 2018 und 2019 stammen allesamt von der „Three-Dee competition“ der Deadline.

Würden sich die Organisatoren von mehr Partys die Mühe machen, die 3D Brillen zu verkaufen und jedes Jahr eine 3D Competition abhalten, würde es natürlich viel mehr solcher Produktionen geben. Auch wenn die Anaglyph 3d Technologie weiterhin eine Nische darstellt, so ist die verwendete Technik dennoch sehr interessant. Wer aufgrund dieses Artikels Lust auf einen tieferen Einblick bekommen hat, braucht bei der Suchmaschine seiner Wahl nur „Anaglyphbrillen kaufen“ eingeben und erhält bei Amazon, eBay & Co. Brillen ab knapp 1,60 EUR pro Stück. Die Anschaffungskosten sind also mehr als überschaubar. Und wem die paar Demos nicht reichen, im Web gibt es unzählige 3D-Bilder, die man sich damit kostenlos anschauen kann. Wer eine Suchmaschine bedient, findet Massen und kann sich bei Gefallen mit dem Betrachten stundenlang beschäftigen.

Tarnkappe.info

Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Außerdem brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, seit 2014 an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert.