Dreamer
Dreamer
Bildquelle: Facebook

Dreamer – ein Musiker, Filmemacher, Fotograf und Professor für Physik im Interview

Als Dreamer 1993 der Öffentlichkeit seine ersten Musikstücke präsentierte, war er gerade einmal 14 Jahre alt. Wir haben ihn an´s Mikro geholt.

Der Musiker Dreamer (Andrzej Dragan) ist zusammen mit Lazur, Norby und einigen anderen einer der bekanntesten Polen, die früher in der Amiga-Demoszene aktiv waren. Heutzutage hat Andrzej nicht mehr viel mit dem Komponieren von Musik zu tun. Erst recht nicht mit dem Amiga oder dem Protracker.

Aber er ist offenbar ein Tausendsassa geworden, der zwischen zwei Städten und Universitäten pendelt, als auch sich mit sehr unterschiedlichen Dingen beschäftigt, sowohl privat als auch beruflich. Wir haben ihn kürzlich ausführlich interviewt.

Der AMIGA 500 – Ein erstaunliches Werkzeug

Lars Sobiraj: Hallo Dreamer! Andrzej, Du bist seit den frühen 90ern in der Amiga-Demoszene aktiv. Wie hat das alles für Dich angefangen?

Dreamer: Ich bekam dieses erstaunliche Werkzeug, den Amiga 500, der es mir erlaubte, Dinge zu tun, die man auf keine andere Weise tun konnte. Ich fühlte sehr schnell, dass ich ein Teil davon sein muss.

Lars Sobiraj: Du hast gesagt, dass Du Deinen ersten Musikwettbewerb gewonnen hast, als Du etwa 14 Jahre alt warst. Das ist ziemlich jung – wie hat sich das angefühlt?

Dreamer: „…die Leute wollten das hören“

Dreamer: Ja, das war 1993, ich habe ein Stück orchestrale Filmmusik namens „Light & Sound IV“ gemacht, anstelle der üblichen Elektronik- oder Techno-Vibes, die alle anderen zu dieser Zeit machten. Es war toll zu sehen, dass die Leute etwas anderes hören wollten.

Lars Sobiraj: In welchen Gruppen warst Du im Laufe der Jahre, wie kam es zu dem Wechsel?

Dreamer: Da fallen mir als erstes die Flying Cows, TRSI und TPDL mit Nah-Kolor ein, die ich mitgegründet habe. Aber ich bin sicher, dass ich einige von ihnen ausgelassen habe…

Dreamer
Andrzej Anfang der 90er Jahre.

„Die beliebtesten Module waren Party-Gigs“

Lars Sobiraj: Vierkanalige Musikstücke wie „Cigarette Smoke„, „Doclandia“ oder „Folx-vagen“ werden vielen Szenern wohl noch lange in Erinnerung bleiben. Warum klingen viele Deiner Tracks so verrückt und schräg? Wolltest Du den Zuhörern zeigen, wie komisch das Leben sein kann? Oder was steckt sonst dahinter?

Dreamer: Ach, das waren alles Party-Gigs. „Cigarette Smoke“ war mein zweiter Wettbewerbssieg in Folge, „Doclandia“ wurde Dritter und „Folx-vagen“ wurde Zweiter bei The Party 1994, wenn ich mich recht erinnere.

Aus irgendeinem Grund machte es mir Spaß, die Leute mit neuen Genres zu überraschen, die es in der Demoszene noch nicht gab. Ich wollte herausfinden, wie weit man diese kleinen, begrenzten Maschinen treiben kann. Die typische elektronische Musik erschien mir zu langweilig und vorhersehbar.

Andrzej Dragan wollte den Horizont erweitern

Lars Sobiraj: Ja, das stimmt. Wie kam es dazu, dass Du in so kurzer Zeit Deinen Musikstil und die von Dir verwendeten Instrumente so oft gewechselt hast? Wenn man von anderen Komponisten spricht, hört man sofort, dass dieses eine Stück zu allen anderen passt, aber bei Dir kann man das bei der Vielfalt nicht sagen.

Dreamer: Ich habe versucht, nichts zweimal zu machen. Solange ich die Grenzen dessen, was an Genres und Klängen mit diesen vier miserablen 8-Bit-Kanälen möglich war, ein wenig durchbrechen konnte, war die Jugend spannend.

Haben den Dreh raus: Dreamer und der Schauspieler Mads Mikkelsen.

Überall in Europa respektierte man ihn, auch wenn er viel jünger war.

Lars Sobiraj: Haben Dir die Musiker aus dem Westen jemals das Gefühl gegeben, dass sie Dich für einen Musiker zweiter Klasse halten, weil Du aus Polen kommst? Oder waren die anderen Leute auf den Partys meist offen und tolerant? Was ist mit den anderen polnischen Mitgliedern von TRSI und später Nah Kolor? Oder spielt das Talent wirklich die einzige Rolle in der Szene?

Dreamer: Du meintest den erstklassigen Musiker, weil ich aus Polen stamme, richtig? ;-) Es hat Spaß gemacht, durch Europa zu reisen und einige Wettbewerbe zu gewinnen, und ich habe nie etwas anderes als Liebe und Respekt von der Demoszene in ganz Europa gespürt. Ich war immer noch ein Kind, 5 Jahre jünger als die anderen, aber das hat nie jemanden gestört.

Lars Sobiraj: Wie kam es, dass Du Dich später nicht nur auf Phsysik konzentriert hast? Du hast im Jahr 2005 mit Auszeichnung in Quantenphysik promoviert. Im Jahr 2001 verlieh Dir die Polnische Physikalische Gesellschaft den Preis für die beste Masterarbeit in Physik in Polen. Du hast auch an verschiedenen Universitäten Studenten unterrichtet, aber anscheinend war Physik allein nicht genug für Dich. Brauchst Du einfach mehr Abwechslung mit Fotografie, CGI-Effekten und Deinem eigenen Filmproduktionsstudio „Weird“? Oder wie kam es dazu? Hier der Link zu seinem Instagram-Account.

„Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass die Amiga-Szene stecken geblieben ist…“

Dreamer: Ich bin derzeit Professor für Quantenphysik und teile meine Zeit zwischen zwei Universitäten (Warschau und Singapur). Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass die Amiga-Szene stecken geblieben ist und sich nicht mehr weiterentwickelt hat, während der Fortschritt woanders stattfand.

Zur gleichen Zeit war ich von der zeitgenössischen Physik so begeistert, dass ich einfach einen anderen Gang einlegte. In der Zwischenzeit bin ich auch Werbefotograf und Regisseur geworden, also habe ich einen Haufen Aktivitäten am Laufen.

Die Zeit hat ihre Spuren sehr deutlich hinterlassen. Sein Amiga 1200.

Dreamer – ein Videoproduzent, Fotograf und Professor für Physik

Lars Sobiraj: Das kann man wohl laut sagen. Womit verdienst Du Deinen Lebensunterhalt? Welcher Job macht dir am meisten Spaß? Die Tätigkeit mit dem höchsten Einkommen muss ja nicht zwingend die sein, die auch am meisten Spaß macht. Wie siehst Du das?

Dreamer: Nun, wenn man Glück hat, kann die Werbefotografie der bestbezahlte Job im Universum sein, mit 30k EUR oder mehr an Tantiemen für eine 1/125tel Sekunde Deiner Arbeit. Bei diesem Stundenlohn dauert es weniger als 24 Stunden, um der reichste Mann der Welt zu werden. Doch die wertvollsten Werke sind immer die, die Du umsonst machst, einfach aus Spaß an der Sache. Dasselbe gilt für das Drehen von Videos. Ich mache das hin und wieder, um mich von der Physik zu erholen.

Das Wichtigste ist die Physik

Lars Sobiraj: Was sind Deine Pläne für das Filmproduktionsstudio „Weird“? An welchem Festival würdest Du gerne teilnehmen, um möglicherweise zu gewinnen?

Dreamer: Meine Kurzfilme wurden beim Werbefestival in Cannes für den Cannes-Löwen nominiert. Sie gewannen den Best in Show Award von Creative Review, gewannen das London Short Fashion Film Festival und kamen in die engere Auswahl für das Berlin Commercial mit Madonna, FKA Twigs und A$AP Rocky. Das war ziemlich verrückt, wenn man bedenkt, dass ich mit meinen privaten Projekten, die ich ohne Budget zu Hause gemacht habe, dazu beigetragen habe. In der Zwischenzeit habe ich Werbespots für die Playstation, Energizer, Converse und so weiter gedreht. Aber ich betrachte das immer noch als meinen Nebenjob. Die Physik ist das Wichtigste.

Simulation hypothesis from Andrzej DRAGAN on Vimeo.

Lars Sobiraj: Ein Video wie „Simulation Hypothesis“ (siehe oben) muss viel Zeit in Anspruch nehmen, um vorbereitet und gedreht zu werden. Wie lange hat es gedauert, das Video zu realisieren und zu produzieren? Ich schätze, das war ziemlich teuer, oder? Wie hast Du die ganzen Kosten tragen können?

Dreamer: Nein, ich habe ein paar Facebook-Follower gesammelt, während ich in Singapur gearbeitet habe, und wir haben das alles in ein paar Drehtagen gedreht. Das Gesamtbudget lag bei etwa 1.000 Euro, die ich hauptsächlich für Taxifahrten und Essen ausgegeben habe, also nicht viel. Dann habe ich mich ein paar Wochen lang in die Bearbeitung und Nachbearbeitung gestürzt, aber da ich das alles selbst gemacht habe, hat es nichts gekostet, nur die Zeit.

Andrzej Dragan pendelt zwischen England und Asien

Lars Sobiraj: Du lebst mit Deiner Frau und eurem Sohn in den USA. Gab es für einen Kreativen wie Dich einfach zu wenig Möglichkeiten, sich in Europa zu entfalten?

Dreamer: Woher hast Du denn diese Information? :)

Lars Sobiraj: Äh, Facebook, natürlich. Ist das falsch?

Dreamer: Ich pendle derzeit zwischen Europa und Asien hin und her. Davor habe ich einige Zeit in Großbritannien verbracht, hauptsächlich in London, Oxford und Nottingham.

Sein Sohn hat offenkundig Angst vor dem Affen, der das Handy klauen will.

„In der polnischen Politik stehen die Dinge völlig auf dem Kopf…“

Lars Sobiraj: Was hälst Du vom Rechtsruck der polnischen Regierung in den letzten Jahren? Euer Leben hat sich seit der Geburt eures Sohnes sicherlich verändert, oder? Würdst Du unter den derzeitigen politischen Bedingungen wieder in Deinem Heimatland Polen leben wollen? Oder bereiten Dir die politischen Verhältnisse nicht so viele Sorgen? (Anmerkung: Das Interview entstand bereits mehrere Monate bevor die konservative PiS-Partei die Regierung nach der letzten Wahl nicht mehr stellen konnte.)

Dreamer: In der polnischen Politik stehen die Dinge völlig auf dem Kopf. Die Regierung ist ideologisch weit rechts, aber wirtschaftlich weit links, was für mich die denkbar schlechteste Kombination ist. Und doch ist Warschau einer der coolsten Orte zum Leben, neben Tokio, London und New York.

Lars Sobiraj: Wenn ich richtig liege, hast Du zum letzten Mal in der Demoszene an der AGA-Demo „Side FX“ teilgenommen mit einem Track, der mich an einige Stücke von „The Prodigy“ erinnert. Stimmt die Jahreszahl? Warum hast Du seitdem nichts mehr in der Demoszene gemacht?

Dreamer: Nein, das hat wahrscheinlich jemand eingereicht, ohne dass ich es wusste. Meine letzte ernsthafte Party war 1997, die Assembly. Dann bin ich 2019 in die Riverwash reingestürzt, wo ich mit meiner Musik zwar nichts gewonnen habe. Ich habe aber bei einer verrückten GFX-Compo den ersten Platz gemacht und auch eine verrückte Demo-Compo mit meiner Fotografie und einem Kurzfilm gewonnen.

„Ein Module für die Szene zu komponieren, macht keinen Sinn mehr.“

Lars Sobiraj: Gibt es eine Chance, jemals wieder etwas von Dir in einer Demo etc. zu hören? Andere polnische Szenemitglieder, die auch eine lange Pause hatten, sind plötzlich wieder aktiv geworden.

Dreamer: Tja, obwohl die Szene natürlich nicht mehr so ist, wie sie einmal war. Ich sehe nicht viel Sinn darin, außer sentimental zu sein. Ich genieße es immer noch, eine Menge Freunde aus der Vergangenheit zu treffen, aber die Demoszene machte nur in der Ära wirklich Sinn, als wir an die Grenzen gingen und das Unmögliche taten. Seitdem der Computer Amiga auf der Strecke geblieben ist, habe ich das Gefühl, dass ich im Umgang mit anderen Medien auf kreative Weise mehr erreichen kann.

Lars Sobiraj: Wo wirst Du in 10 Jahren sein, was wirst Du dann tun? Und nicht zuletzt: Welche Art von Karriere wünschst du Dir für euren Sohn?

Dreamer: Ich entwickle gerade eine verrückte Erweiterung der Einsteinschen Relativitätstheorie. Mehr dazu hier.

Aber die Zukunft wird von der KI dominiert werden. Das ist momentan das Feld, wo das Unmögliche wieder passiert. Vielleicht werde ich mich dort mehr engagieren?

Lars Sobiraj: Nun, wir werden sehen. Dreamer, vielen Dank für das ausführliche Gespräch. Weitere Informationen, Fotos und Kurzfilme findet man hier auf Dreamers Website. Seine Kurzfilme bei Vimeo sind dort verfügbar.

Lars Sobiraj

Über

Lars Sobiraj fing im Jahr 2000 an, als Quereinsteiger für verschiedene Computerzeitschriften tätig zu sein. 2006 kamen neben gulli.com noch zahlreiche andere Online-Magazine dazu. Er ist der Gründer von Tarnkappe.info. Außerdem brachte Ghandy, wie er sich in der Szene nennt, seit 2014 an verschiedenen Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen den Teilnehmern bei, wie das Internet funktioniert.