Kommentar von Kaspar Dornfeld:
Lieber Thomas,
ich gebe Dir in einigen Punkten recht, in anderen nicht. Worin wir uns, denke ich, einig sind, ist die Tatsache, dass Schreiben allein, wenn man den Versuch macht, es beruflich zu tun, für lau nicht lange gut geht. Und, wie ich in meinem Text schon erwähnte, haben viele Profis durchaus viele Projekte in Wartestellung, die sie (intrinsisch) gern machen wollen, aber (extrinsisch) in Reihenfolgen einordnen, je nachdem, welches Projekt bezahlt wird. Die Logik und Stimmigkeit dieses Verhaltens werde ich nie bestreiten. Und ein bisschen ärgert es mich schon, dass mein Text als „Schriftsteller-sollen-mal-die-Fresse-halten-und-nehmen-was-sie-kriegen“ Kommentar gesehen wird, denn er ist so garnicht gemeint, und ich behaupte immernoch, dass das mit keinem Wort da steht. Schuld daran, dass man es trotzdem so lesen kann, ist zum einen, dass er an einem Ort erschienen ist, wo der pure Pirateriestreit offenbar Hauptthema ist - das war mir vorher nicht ganz klar, mein Fehler - und dann auch noch eingeordnet wurde in die Kategorie Ebook-Piraterie. Ich kann dazu nur sagen, auch wenn er das Thema streift, ist ein Diskussionsbeitrag dazu nicht meine Absicht gewesen. Ich wollte lediglich darauf hinweisen, dass es Folgen hat, die intrinische Motivation des Schreibens, deren Existenz Du hoffentlich nicht bestreitest, in diesen Diskussionstopf zu werfen. Das ist unverantwortlich und grundfalsch.
Warum?
Genau hier beginnt, der Punkt, an der ich mich zumindest Deiner Argumentation nicht anschließen kann. Ich glaube nicht, dass die „Schreibmotivationsbündelvarianten“ so zahlreich sind, wie Menschen unter der Sonne leben. In den wichtigen Punkten sind sie, denke ich, sehr leicht quantifizierbar. Entweder ich habe eine Sache zu erzählen, dann tue ich das, oder ich habe (oder glaube zu haben), mehr als eine Sache zu erzählen, dann will ich das zum Beruf machen. Dann gibt es noch eine Untergruppe von Kategorie 1. Die, die mit der einen Sache, die sie der Welt mitzuteilen haben, so erfolgreich sind, dass sie im Goldrausch der Illusion verfallen, mehr zu sagen zu haben und es wieder versuchen. Alle anderen graduellen Abstufungen unter Gefühle nach anderen Gefühlen kommend (Mitteilungsdrang beinhaltet immer mindestens eine Spur Narzissmus) sind nach meinem Dafürhalten zu vernachlässigen. Egal, wohin man eher gehört, die Intrinsik ist immer der Ausgangspunkt, oder nennen wir sie, Motivator I.
Wenn Du sagst, dass für viele „Profis“ der Schwerpunkt, wenn auch nur leicht zur extrinsischen Motivation (also Schreiben erst, wenn Geld in Aussicht, resp. schon da) verschoben ist, setze ich Deiner Behauptung die folgende entgegen: Vielleicht liegt darin ein wesentlicher Punkt dafür, dass die meisten neuen Werke, auch von Profis, eher mittelmäßige Imitate eines zurückliegenden Erfolges sind, der selbst, ich denke, soweit kann ich mich aus dem Fenster lehnen, mit Sicherheit stärker intrinsisch motiviert war. (Damit meine ich nicht „ausschließlich“) Um es mal ganz banal zu sagen: Ich bin überzeugt davon, dass Dein Drang, das Buch zu schreiben, sich auf die Leserschaft übertragen wird, oder eben das Ausbleiben oder Verringern des einen auch das andere verringert.
Eigentlich verstehe ich nicht, warum gerade Du auf den Mehrwert der äußerlichen Anreize klopfst (das heißt, ich verstehe es natürlich, aber ich sehe da einen Fehler in Deiner Argumentation), denn Du hast genau das gemacht, was ich propagiere. Als Dein Verlag, der groß genug ist, um etwas mutig zu sein, und der ja auch nach Deinen früheren Werken wusste, dass Du ein Schreibprofi bist, Dich nach Deiner eigenen „Aussage“ mit Deinem neuen Projekt wegschickte, weil es eine nach seinem Dafürhalten Genreunschärfe hatte, hast Du Dich der intrinsischen Motivation ergeben und gesagt: „Ich glaube daran. Ich mache das selbst.“ Ich finde das großartig und genau richtig, auch wenn Du, denke ich, selbst ohne Raubkopiererei nicht wirklich davon ausgegangen sein wirst, dass das Ding nun gleich bombastisch verkauft werden wird. Vielleicht hast Du davon taggeträumt, aber geglaubt hast Du wahrscheinlich nicht daran, oder? (Wenn es Dir zu unverschämt ist, dass ich hier über Deine Motive spekuliere, gib mir ruhig eins auf den virtuellen Schnabel) Doch wo bleibt die Aufregung über den fehlenden Mut des Verlages? Vielleicht hattest du die und sie war Teil Deiner Motivation, das Buch auf eigene Faust zu veröffentlichen, aber warum lese ich in Deinem Beitrag und in vielen Wortmeldungen von Schriftstellern über die Unerträglichkeiten unserer Zeit als Künstler kaum etwas (für gewöhnlich garnichts) darüber? Dein Verlag, der wie fast alle Verlage ausschließlich als Händler denkt, richtet sich nach Statistiken und Zielgruppeneinteilungen, die zum einen von ihm selbst geschaffen worden sind und die zum anderen wie goldene Kälber behandelt werden.
Der Leser, der immer nur das und jenes erwartet und nie was anderes nehen würde, ist ein Mythos, dafür geschaffen, ihn zum Literaturraucher zu erziehen, der immer nur schnell das gleiche Erlebnis braucht. Doch dabei werden zwei elementare Dinge schlichtweg negiert: Zum einen ist Erfolg nur in sehr kleinen Mengen vorhersagbar. Folglich braucht es den rein intrinsischen Schreibdrang, um den großen Erfolg von morgen zu erzeugen. Zum anderen ist die Hauptaufgabe von Verlagen eigentlich nicht oder zumindest nur in zweiter Linie das möglichst häufige Verkaufen, sondern das verfügbar halten von lohnenswerten Texten. Und genau diese Kategorie, die Frage nämlich, was „lohnenswert“ ist, wird durch die zu starke Konzentration auf das Geld zu häufig zu schnell beantwortet und da fallen dann schon Texte aus dem Raster, deren experimenteller Verdienst nur darin besteht, zwei Genres zu vermischen. So feige ist das Geschäft mittlerweile! Höre ich darüber Empörungsschreie von Autorinnen und Autoren? Nun ja, manchmal schon. Schließlich haben wir hier einen Verlag gegründet, der im Besitz der Schreibenden selbst ist und zwar als wachsendes „Organ“. Aber nur allzu häufig gibt es nur die Empörungsschreie über die böse Raubkopierei, die ich nicht gut finde, als die Raubkopiererei. Das sei hier klar festgehalten, aber ein bisschen kommt es mir vor, als schaute man da ans falsche Ende.
Ich habe das alles vor Jahren schon im Filmgeschäft miterleben müssen. Da war einerseits das große Aufstöhnen Hollywoods über schwindende Zuschauerzahlen. Man zeigte mit großer Geste auf die Raubkopierer, um von der schlichten Tatsache abzulenken, dass die müden alten Säcke, die zynisch nur auf den Erfolg vom letzten mal starrend immer wieder den selben Film rausschissen, einfach keine Ideen mehr hatten und haben wollten, die noch jemand sehen wollte.
Und dann war da der heimische Film. Damals war ich Student und es war normal, dass man sogar Stars bekam, wenn sie Zeit hatten UND ihnen die Rolle gefiel. Für viele von ihnen waren die Studentenfilme sogar eine willkommene Abwechslung. Sie konnten hier oft interessantere Rollen finden, als der ewig wiederholte gleiche Wortbausteinmüll, den sie sonst meistens vorgesetzt bekamen. Doch das änderte sich alles, als die großen Produktionen und Fernsehanstalten entdeckten, dass man auch mit wenig Geld und viel jugendlicher Leidenschaft Filme machen kann. Ja wenn das so geht, zahlen wir auch nichts mehr. Wenn einer fragt, sagen wir: Leider sind wir soooo knapp bei Kasse… Das stimmte in manchen Fällen sogar, kam aber eben auch daher, dass die Risikobereitschaft drastisch abnahm. Oft genug stimmte es aber auch nicht. Ein Sender wie das ZDF muss keine Filme machen, in der jede Head-of-Department Position von Praktikanten besetzt ist. Aber das fand statt. Ich habe es erlebt. Ergebnis: Heute ist es zum einen vollkommen normal, Preise zu drücken. Jeder kennt den Satz: Wir haben kein Geld. Zum anderen kommen auch die Stars nicht mehr zu den wenigen wagemutigen Produktionen, die geblieben sind. Wenn nirgends mehr genug Geld rumkommt, ist die Trennschärfe nicht mehr gegeben und die einen, die wirklich nicht zahlen können, werden in Sippenhaft für die genommen, die es könnten.
Doch auch da blieb der große Protest der Kreativen gegenüber den Medienkonzernen einfach aus. Wir haben uns einreden lassen, dass der Markt entscheidet, dass wir mit dem leben müssen, was man uns gibt und vor allem, dass jeder ersetzbar ist.
Und hier ist es doch das gleiche! Nicht, dass dummes Raubkopieren in Ordnung wäre. Aber anstatt mal die großen zu fragen: Wenn Ihr immer sagt, das Geld ist weg, wo zum Teufel ist es bitteschön hin? wird die Selbstrechtfertigung übernommen, mit der sie den Schreibenden Verträge aufrücken, die sich meilenweit von dem bewegen, was mal als Mindest-Standard-Vertrag ausgehandelt worden war und statt dessen die Leserschaft als geizige Saubande beschimpft. „Wenn keiner mehr raubkopiert, geht die Sonne der Kultur wieder auf.“ Das klingt mir zu sehr nach einem Ablenkungsmanöver, auch wenn ich die Motivation der einzelnen wie Dich dabei nicht in Frage stellen will.
Kaspar Dornfeld